Omer Meir Wellber: „Vor wichtigen Entscheidungen werfe ich schlichtweg eine Münze“, Teil III

Interview: Jörn Schmidt im Gespräch mit Omer Meir Wellber (Teil III)  Hamburgische Staatsoper, 8. November 2026

Das Paradies und die Peri 24.10.25 (c) Félix L. Salazar

Omer Meir Wellber wirft vor wichtigen Entscheidungen eine Münze. Selbst in der Liebe. Lesen Sie bitte, warum, und was Mozart damit zu tun hat. Und wie das weitergeht… Außerdem habe ich das Hamburg-Wissen des neuen Hamburger Generalmusikdirektors getestet.

Jörn Schmidt im Gespräch mit Omer Meir Wellber (Teil III)

klassik-begeistert: Haben Sie sich gut in Hamburg eingelebt?

Omer Meir Wellber: Ja. Es ist einfach, sich in einer so spannenden Stadt einzuleben.

klassik-begeistert: Thomas Hengelbrock, ehemaliger Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters, war es in Hamburg Eppendorf zu laut. Er ist dann irgendwann umgezogen. Sie wohnen nicht weit weg, im Nachbarstadtteil Hamburg Winterhude. Dort ist es nicht wirklich ruhiger?

Omer Meir Wellber: [erstaunt]  Ich fühle  mich sehr wohl in Winterhude. Der Stadtteil ist vielfältig, aber sicher nicht zu laut.

 klassik-begeistert: Wird Künstliche Intelligenz (KI) jemals so zusammenwirken, lieben und leiden können, um so höchst menschliche und gleichsam geniale Meisterwerke zu schaffen wie Mozart und Da Ponte?

Omer Meir Wellber: Ich möchte das unter dem Aspekt der Interaktion beantworten. KI kann für einen Künstler allemal ein Partner sein, der inspiriert, etwas zu erarbeiten. Anderseits, wenn Sie genügend Phantasie haben, dann kann Sie alles inspirieren. Selbst ein Stuhl taugt dafür…

Tobias Kratzer (links im Bild), Omer Meir Wellber © Stern Anne Hamburger

klassik-begeistert: Mozart und Da Ponte waren indes beide Genies auf Augenhöhe. Das würde ich von einem Stuhl nicht behaupten…

Omer Meir Wellber: Das ist vielleicht der große Unterschied. Wenn man mit KI arbeitet, empfiehlt sich eine ausgeprägte Wachsamkeit, welchem Input man folgt und was man verwirft. Bei Mozart und Da Ponte war das anders, jeder wusste die Beiträge des anderen zu wertschätzen… So eine Partnerschaft bietet KI nicht. Und das könnte ein Grund sein, warum KI niemals das Niveau von Mozart und Da Ponte erreicht. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt. KI steht samt ihrer Vorteile und Gefahren erst am Anfang.

klassik-begeistert: Liebe ist für Sie kein Dogma. Sondern das, was man daraus macht – habe ich in Ihrem spannenden Mozart-Buch gelesen. Sie leiten dies daraus ab, wie Mozart in Così fan tutte die Klangfarben einsetzt.  Liebe ist in dieser Logik nicht mit Treue gleichzusetzen, sondern ein Zusammenspiel von Moll (Spiel) und Dur (Realität). Das klingt für mich sehr nach mathematischer Spieltheorie. Hat Mozart die  Spieltheorie antizipiert?

[Anm. Jörn Schmidt: Die verschiedenen Spieltheorien analysieren rationale Entscheidungsverhalten in Interaktionssituationen unter der Prämisse, dass die Ergebnisse der Handlungen eines Akteurs von den Entscheidungen Anderer abhängen. Wikipedia nennt als historischen Ausgangspunkt der Spieltheorie die Analyse des Homo oeconomicus, insbesondere durch Daniel Bernoulli, Joseph Bertrand, Antoine-Augustin Cournot (1838), Francis Ysidro Edgeworth (1881). Erst die formalisierte Analyse von Gesellschaftsspielen und der Beweis des Min-Max-Theorems durch John von Neumann im Jahr 1928 legte die Grundlage der modernen Spieltheorie. Mozart lebte von 1756 – 1791].

Omer Meir Wellber: Das ist eine sehr interessante Sichtweise, das kann man absolut so sehen… Apropos Spieltheorie, vor wichtigen Entscheidungen in meiner Karriere werfe ich ein Münze. Die Ergebnisse sind erstaunlich gut bislang…

Omer Meir Wellber © Rori Palazzo

klassik-begeistert: Wie erklären Sie sich diese Erfolge?

Omer Meir Wellber: In komplexen Sachverhalten kann man so viel überlegen und abwägen, wie man möchte. Selbst wenn man glaubt, zu der richtigen Entscheidung gekommen zu sein, ist das Ergebnis nicht zwingend richtig oder gut. Die Münze dagegen bietet statistisch gesehen eine 50-prozentige  Erfolgschance. Wer kann das schon von seinen Entscheidungen behaupten…

klassik-begeistert: Wann haben Sie begonnen, so zu entscheiden?

Omer Meir Wellber: Vor ungefähr zehn Jahren. Probieren Sie es mal aus! Übrigens möchte ich ein Experiment machen und ein Jahr lang jede Entscheidung der Münze überlassen. Ich meine es wörtlich, wirklich alles:  Was esse ich, wen liebe ich…

klassik-begeistert: Darf ich Letzteres notieren? Falls Ihre Frau das jetzt liest, meine ich…

Omer Meir Wellber: [lacht herzlich] Gerne, ich möchte selber ein Buch über dieses Jahr schreiben.

klassik-begeistert: Es gibt Bruckner-Dirigenten und es gibt Mahler-Dirigenten. Diesbezüglich haben Sie noch keine Münze geworfen. Denn Sie lieben beide, Bruckner und Mahler?

Omer Meir Wellber: Das stimmt. Wobei ich Bruckner jeden Tag ein wenig mehr liebe. Und immer weniger Mahler dirigiere, wenn ich mich zu entscheiden habe…

klassik-begeistert: Sie lernen gerne Sprachen. Haben Sie weitere  Hobbys?

Omer Meir Wellber: Ich lese viel – in allen Sprachen… aber das größte Hobby sind Sprachen. Zuletzt habe ich Russisch gelernt. Ich habe gerade dem russischen Fernsehen ein live-Interview in Landessprache gegeben… als nächstes reizen mich die alten Sprachen. Aramäisch wäre klasse.

klassik-begeistert:  Kurz vor Schluss ein kurzer Test, wie gut Sie Hamburg schon kennen. Waren Sie mal im Café Leonar? Kleiner Tipp: Dort sollten Drucke von Originalnotenblättern des Komponisten György Ligeti  an der Wand hängen…

Omer Meir Wellber © Luca Pezzani

Omer Meir Wellber: [googelt auf seinem Mobiltelefon] Danke für den Hinweis, ist notiert.

 klassik-begeistert: Sie haben schon verraten, dass Le Grand Macabre von György Ligeti die Lieblings-Oper Ihrer Tochter ist. Was ist Ihr Liebling?

Omer Meir Wellber: Mamma mia! [dann ohne zu zögern] Carmen. Weil Bizet hier die perfekte Mischung aus Entertainment und Top Level abgeliefert hat. Auch Mahler hat gesagt, dass Carmen die beste Partitur sei, die er je dirigiert hat. Allein wie viele Geheimnisse in der Partitur stecken, an jeder Ecke ein Wunder.

klassik-begeistert: Ist Ihre Lieblings-Sinfonie ebenso schnell gesagt?

Omer Meir Wellber: Oh, ich muss denken…

klassik-begeistert: Ich helfe Ihnen…welche ist es in diesem Moment?

Omer Meir Wellber: [ohne zu zögern] Edward Elgars 1. Sinfonie. Ich habe  viele Jahre gebraucht, ein Orchester zu finden, mit dem ich das Werk aufführen kann… oft wird die 2. Sinfonie bevorzugt, weil bekannter bzw. beim Publikum beliebter… jetzt endlich, bei den Wiener Symphonikern, hatte ich Carte blanche. Am 4. Dezember spielen wir im Wiener Konzerthaus diese unglaubliche Sinfonie. Sie merken, ich bin  frisch verliebt…

klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Jörn Schmidt, 8. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Interview: Jörn Schmidt im Gespräch mit Omer Meir Wellber (Teil I) Hamburgische Staatsoper, 6. November 2025

Interview: Jörn Schmidt im Gespräch mit Omer Meir Wellber (Teil II) Hamburgische Staatsoper, 7. November 2025

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