Christoph Eschenbach: „Karajans Ochsentour blieb mir erspart“

Interview: kb im Gespräch mit Christoph Eschenbach, Teil I  klassik-begeistert.de, 18. Juni 2025

Christoph Eschenbach © Marco Borggreve

Bei Christoph Eschenbach geht es Schlag auf Schlag. Rechtzeitig zum 85. Geburtstag wurde seine formidable  Biographie  Lebensatem Musik veröffentlicht. Meine Buchbesprechung lesen Sie bitte hier bei Klassik-begeistert. Nun läuft der Countdown zum Schleswig-Holstein Musik Festival 2025. Da gab es Gesprächsbedarf. Ich habe Maestro Eschenbach in Hamburg getroffen. Vorab ein paar Inhalte in Stichworten: Jet Set, Cancel Culture, Opern für die Insel, Stille, das Klavier als Orchester. Und vieles mehr.

Jörn Schmidt im Gespräch mit Christoph Eschenbach, Teil I

klassik-begeistert: John Neumeier ist Ihr Freund und Fan. Ihre Interpretation von Schumanns Kinderszenen hat Neumeier 1974 inspiriert, dieses Stück zu choreographieren. Hatten Sie desgleichen Einfluss auf die Choreographie?

Christoph Eschenbach: Nein, nicht im Sinne von Tipps zur schöpferischen Gestaltung oder  Einarbeitung von tänzerischen Bewegungsabläufen. Das war nicht nötig, John ist ein überaus musikalischer Choreograph. Aber wir hatten einen intensiven künstlerischen Austausch. Meine Musikalität, mein Klavierspiel… das waren sicherlich Anregungen mit Einfluss auf die Choreographie. Sie können sich das wie einen Liederabend mit Dietrich Fischer-Dieskau vorstellen, wir haben uns jedes Mal aufs Neue gegenseitig inspiriert.

klassik-begeistert:  Wie viel Mut erfordert es, John Neumeier nachzufolgen?

Christoph Eschenbach: Das ist ganz klar ein Himmelfahrtskommando, egal wie gut Sie sind… John hat Hamburg in 51 Jahren Schritt für Schritt zur Ballett-Stadt gemacht. Das hat kein anderer Choreograph geschafft. Auch nicht John Cranko in Stuttgart. Vielleicht, wenn ihm mehr Zeit geblieben wäre… außerdem hat John die Arbeit nicht eingestellt, er wirkt aktuell in München und an der Scala in Mailand. Auch dem Vergleich muss sich jeder Nachfolger stellen.

klassik-begeistert:  Orchestergraben kam bei Ihnen nach Ballett, Sie haben 1978  am Staatstheater Darmstadt mit La Traviata debütiert. Danach gleich das Tonhalle-Orchester Zürich. Haben Sie eine Lieblingsoper, oder eine Premiere, die Sie besonders gerne erinnern?

Christoph Eschenbach: Stimmt, ich bin schon mit 13 Jahren in die Ballettwelt eingetaucht. Maurice Béjart hat mich seinerzeit für diese große Kunst begeistert… Die eine Oper für die Insel gibt es nicht. Aber Richard Wagners Opern, dann Salome und Elektra von Richard Strauss. Das entspricht  meiner ästhetischen Prägung.

klassik-begeistert:  Wieso dann als erste Oper La Traviata?

Christoph Eschenbach: Manchmal sind das ganz schlichte Beweggründe wie Neugierde… Vor Darmstadt  hatte ich wenig Kontakt mit italienischer Oper. Da habe ich mir gesagt – wenn Oper, dann La Traviata. Die Inszenierung von Intendant Kurt Horres war wundervoll, wir haben eine Übereinstimmung von Musik und Regie angestrebt. Mich hat das begeistert.

Christoph Eschenbach © Jonas Holthaus

klassik-begeistert:  Mit dem US-amerikanischen Regisseur  Robert „Bob“ Wilson verbindet Sie eine langjährige Künstlerfreundschaft, in Houston haben Sie Parsifal auf die Bühne gebracht und später in Paris den kompletten Ring. Sie sind ein Anhänger des Regietheaters, aber hat das Grenzen?

Christoph Eschenbach: Eingriffe in Libretto und Partitur sind unschicklich. Das ist übrigens auch ein Fehler, den Cancel-Culture-Aktivisten begehen, wenn sie den Text einer Oper abändern. Das sehe ich wie Riccardo Muti. Es ist Niemanden damit geholfen, wenn man ein geniales Kunstwerk zerstört.

klassik-begeistert:  Die größten Pianisten waren Stimmenverehrer oder Opernkenner, haben Sie mal gesagt. Für Sie sind die Tasten des Klaviers zum Orchester geworden. Inwiefern?

Christoph Eschenbach: Klavier ist mehr als nur Klopf Klopf Klopf – es kann und muss singen! Ich habe immer versucht, aus dem Notentext heraus zu instrumentieren.

klassik-begeistert:  Haben Stille und Pianissimo in Kammermusik und Oper die gleiche  hervorgehobene Bedeutung?

Christoph Eschenbach: Ja, man entwickelt irgendwann ein übergeordnetes Gefühl für Stille und Pausen. Seiji Ozawa und mich hat dieses Gespür für den Stillstand der Musik über Jahrzehnte verbunden.

klassik-begeistert:  Was macht aus Ihrer Sicht einen Komponisten zum Opernkomponisten?

Christoph Eschenbach: Es braucht ein Gespür für Theater! Über das Bruckner als großer Sinfoniker nicht verfügte. Mahler dagegen hatte einen Touch für Oper, war  von 1891 bis 1897 Chefdirigent der Hamburger Staatsoper. Letztlich blieb es aber bei der Transkription von Carl Maria von Webers Die drei Pintos.

Christoph Eschenbach © Marco Borggreve

klassik-begeistert:  Ich sage gerne, der traditionelle deutsche Kapellmeister, das ist der beste Anwalt der Musik…

Christoph Eschenbach: [guckt von Sekunde zu Sekunde ein wenig strenger]

klassik-begeistert:  …lassen Sie mich bitte erklären… Sie sind das beste Beispiel, dass es auch ohne diese Ochsentour geht. Als Quereinsteiger. Vom Kammermusiker zum Weltklasse-Dirigent.  Woher rührt der gute Ruf der Kapellmeister?

Christoph Eschenbach: Es ist immer gut, wenn man sein Handwerk von der Pike auf lernt. Die Basisarbeit als  Korrepetitor, das Zusammenwirken mit den Regisseuren. Irgendwann kennt man alle Einzelheiten des Opernbetriebs. Und, noch wichtiger, der Partitur.

klassik-begeistert:  Wie haben Sie es geschafft, diesen Erfahrungsschatz zu ersetzen? Das Klavier als Opernorchester? Das hat auch bei Daniel Barenboim bestens funktioniert…

Christoph Eschenbach: Natürlich habe ich Dirigieren studiert, aber vielleicht noch wichtiger ist:  Wie ein Kapellmeister sammelt man auch  in der Kammermusik wichtige Erfahrungen. Partiturtreue zuvörderst. Aber auch, aufeinander zu hören, mit anderen Musikern zu interagieren.

klassik-begeistert:  Man sagt ja, sich 100% einer Partitur zu erschließen, das schafft man nicht. Stimmt das?

Christoph Eschenbach © Marco Borggreve

Christoph Eschenbach: 90% sind schon Weltklasse.

klassik-begeistert:  Karajan hat irgendwann einen anderen Weg beschritten, Richtung Jet Set. Aber als Künstler, da ist er immer Kapellmeister geblieben?

Christoph Eschenbach: So viel Jet Set gab es damals noch gar nicht. Metropolitan Opera hat Karajan gar nicht so oft gemacht, wie man denken sollte… Was Karajan in seiner Zeit in Ulm gelernt hat, hat er nie über Bord geworfen. Karajan hat mir mal seine Definition der Ochsentour erzählt. Ausgehend von der Einstudierung einer Rosenkavalier Aufführung.

klassik-begeistert:  Mögen Sie diese Anekdote teilen?

Christoph Eschenbach: Der Sänger des Baron Ochs von  Lerchenau offenbarte Karajan, dass er keine Noten könne. Karajan hat sich ohne zu murren ans Klavier gesetzt und so lange mit dem Sänger geübt, bis die Rolle saß. Das hat wohl gedauert. Der Klavierpart ist nicht einfach, muss man dazu wissen…

klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Jörn Schmidt, 18. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Teil 2 unseres Interviews mit Christoph Eschenbach lesen Sie
Donnerstag, 19. Juni 2025 hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at.

Auf den Punkt 52: Lebensatem Musik… klassik-begeistert.de, 4. April 2025

Auf den Punkt 48: Manfred Honeck Dirigent Elbphilharmonie, 6. März 2025

Interview: kb im Gespräch mit Alan Gilbert Elbphilharmonie, 7. Mai 2025

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