Das Abschlusskonzert des Meisterkurses von Krassimira Stoyanova im KörberForum. Von links: Marie Maidowski, Aebh Kelly, Mziwamadoda Sipho Nodlayiya, Gabriele Rossmanith, Krassimira Stoyanova, Grzegorz Pelutis, Keith Klein und Georgiy Dubko (Klavierbegleitung) © Claudia Höhne
Jolanta Łada-Zielke im Gespräch mit Gabriele Rossmanith, Hamburger Kammersängerin und künstlerische Leiterin des Internationalen Opernstudios der Hamburgischen Staatsoper, und Hannes Wönig, Management und Kommunikation Internationales Opernstudio, Teil 2
klassik-begeistert: Was genau lernen die jungen Sängerinnen und Sänger im Internationalen Opernstudio der Hamburgischen Staatsoper?
Hannes Wönig: Bei jeder einzelnen Person muss man herausfinden, was sie brauchen, was man ihnen anbieten kann. Wichtig ist: ein Opernstudio ist keine Musikhochschule. Die Sängerinnen und Sänger sind keine Studierenden, sondern bei uns angestellt und sind ganz regulär in die Proben und Vorstellungen am Haus eingebunden.
Sie arbeiten unter den Anforderungen eines großen internationalen Opernhauses. Das kann man weder im Studium noch aus den Lehrbüchern lernen. Man muss selbst erfahren, was das bedeutet, von 10:00 bis 13:00 Uhr und 17:00 bis 20:00 Uhr szenische Proben zu haben, wie man sich professionell darauf vorbereitet und die Kräfte dafür einteilt.
Und bei den Vorstellungen: wie schafft man an jedem Abend auf dem Punkt zu sein, auch wenn zum Beispiel ein anderer Dirigent am Pult steht und andere Tempi wählt, oder wenn jemand von der Besetzung krank ist und eine andere Person für ihn/sie singen muss. Dies sind verschiedene Aspekte dieses Berufs, die man nur in der Praxis lernen kann. Gleichzeitig müssen sich die Sängerinnen und Sänger auf die Zukunft vorbereiten, die Partien studieren, ebenso die Hauptrollen, die sie zukünftig singen werden. Wenn sie nach zwei Jahren hier rausgehen, sind diese zusätzlich hier am Haus einstudierten Partien von Vorteil und erhöhen ihre Chancen auf dem Markt, unter Umständen können sie dann sogar übermorgen für jemanden einspringen. Vorsing-Arien werden unter anderem im Unterricht mit Frau Rossmanith oder in Masterklassen gearbeitet.
klassik-begeistert: Und wenn sich die Stimme einer Sängerin oder Sängers in eine andere Richtung entwickelt?
Gabriele Rossmanith: Das kommt auch vor, zum Beispiel wenn sich jemand bei uns als Bass-Bariton bewirbt, entwickelt sich aber später Richtung Bariton. So ist es kürzlich mit Grzegorz Pelutis geschehen. Er sagte mir: „Ich bin jetzt Bariton, meine Stimme entwickelt sich in die Höhe! Ist das ein Problem?“ Ich habe gesagt: „Nein, natürlich nicht“. Wir versuchen wirklich das zu entwickeln, was in dem Kehlkopf, Physis und auch in der Seele junger Sägerinnen und Sänger steckt.
klassik-begeistert: Wie viele Gesangsstunden muss jedes Studiomitglied bei Ihnen oder in einem Meisterkurs absolvieren?
Gabriele Rossmanith: Das ist eine ganz individuelle Angelegenheit. Die Meisterkurse sind obligatorisch, alle sollen daran teilnehmen und davon profitieren. Es gibt Sängerinnen und Sänger, die darüber hinaus einen Unterricht pro Woche brauchen. Manche benötigen weniger. Diese höre ich dann zum Beispiel in Orchesterproben und gebe ihnen anschließend Feedback.
Hannes Wönig: Natürlich lernen junge Sängerinnen und Sänger auch bei uns, das wichtigste ist jedoch ihre Karriere langfristig aufzubauen. Dafür brauchen sie ein Team, und dazu gehört vielleicht ein Coach, oder ein Gesangslehrer, mit dem sie die nächsten Jahre zusammenarbeiten können. Wir unterstützen und ermutigen sie dabei, diese Entscheidungen für sich zu treffen.
klassik-begeistert: Ist ein Vokal-Coaching wirklich notwendig oder gehört das eher zu der heutigen Mode?
Gabriele Rossmanith: Stimmliche Kontrolle ist notwendig, auch in der späteren Karriere. Ich frage die Studio-Mitglieder aber jedes Mal: „Möchtest du Coaching haben?“, denn Eigenverantwortlichkeit zu entwickeln halte ich für sehr wichtig. Auch von unseren Pianistinnen und Pianisten sowie Spielleiterinnen und Spielleitern am Haus bekomme ich Feedback über die individuelle Entwicklung. Die Coaches geben uns Hinweise, worauf wir achten, und wie wir diese jungen Menschen sinnvoll begleiten sollen. Die künftigen Arbeitgeber verlangen von den Sängerinnen und Sängern eine Bühnenerfahrung, und wir geben ihnen einen Teil davon.
Hannes Wönig: Wie in jedem Beruf, müssen auch Sängerinnen und Sänger ihre individuellen Stärken und Schwächen kennenlernen, auch um daran zu arbeiten. Es gibt Künstlerinnen und Künstler, die gut vom Blatt singen können, und andere, die schnell auswendig lernen, oder über ein fotografisches Gedächtnis verfügen. Manche sind instinktive Darsteller auf der Bühne, und andere müssen sich jede Rolle wieder hart erarbeiten.
klassik-begeistert: Die Teilnehmer des Opernstudios kommen auch in Kontakt mit den Mitgliedern des Solistenensembles.
Gabriele Rossmanith: Es ist von unschätzbarem Wert, dass man auch von den großen Namen und erfahrenen Kolleginnen und Kollegen lernen kann, die hier auf der Bühne stehen. Seit ich 1988 ins Ensemble gekommen bin, habe ich mit jedem einzelnen Opernstudiomitglied auf der Bühne gestanden und war immer in Kontakt mit ihnen.
Wir veranstalten jetzt im Studio regelmäßig Gesprächsrunden mit erfahrenen Sängerinnen und Sänger, die man nach allem fragen darf, z.B.: „Wie gehst du mit diesen Problemen um? Wie kommst du mit den vielen Reisen klar, wenn Du deine Familie so lange nicht siehst? Wie gehst Du mit Auftrittsangst um?“ Bei uns gibt es tolle Sängerinnen und Sänger, die zu diesen Fragen antworten können.

klassik-begeistert: Die diesjährigen Mitglieder des Studios nahmen an der Meisterklasse von Krassimira Stoyanova teil. Das Abschlusskonzert im KörberForum, das von der Körber-Stiftung veranstaltet wurde, fand ich sehr beeindruckend. Frau Stoyanova machte bei jeder Sängerin und jedem Sänger ihre Anmerkungen und wählte zwei Stellen aus, die man verbessern sollte. Das Publikum konnte teilweise nachvollziehen, wie die Arbeit der erfahrenen Sängerin mit jungen Gesangsadepten aussieht.
Gabriele Rossmanith: Ja, das war aber nur ein Bruchteil davon, wie diese Arbeit wirklich aussieht. Manchmal verbringt man zehn Minuten oder mehr mit einem Takt oder einem Ton! So etwas würde Frau Stoyanova öffentlich nie tun. In dem Abschlusskonzert hat sie wirklich sehr sympathisch und aufbauend gezeigt, wo die Schwachpunkte sind und woran man im Kurs gearbeitet hat. Bei ihr entsteht eine herausragende Kombination von einer sehr strukturierten Arbeit und leidenschaftlichem Musizieren.
klassik-begeistert: Am besten hat mir gefallen, was Frau Stoyanova über das Rezitativ gesagt hat, dass man nicht alle Emotionen darin auf einmal zeigen, sondern etwas für die Arie „übriglassen“ sollte.
Gabriele Rossmanith: Ja, genau! Ein Dirigent hat mir einmal geraten: kühler Kopf, heißes Herz. Es muss eine Balance zwischen meinen Gefühlen und dem Bühnengeschehen geben. Zu viele Emotionen gleichzeitig auf der Bühne, können für das Publikum verwirrend sein, Klarheit ist hier ratsam. Der Sänger soll immer fühlen, aber gleichzeitig die Emotionen kontrollieren und sich nicht davon überwältigen lassen, denn das kann das Singen beeinträchtigen, zum Beispiel singen und weinen geht nicht zusammen.
Krassimira Stoyanova hat mit dieser Balance die ganze Woche lang gearbeitet. Es gibt einen Spruch von ihr, den ich besonders liebe: „Man kann eine Diva auf der Bühne sein, aber nicht im persönlichen Leben“.
klassik-begeistert: Vielen herzlichen Dank für das interessante Gespräch!
Jolanta Łada-Zielke, 4. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Interview mit der polnischen Sopranistin Ewa Vesin klassik-begeistert.de, 31. Oktober 2023
Interview: 10 Fragen an die Sopranistin Anna Lichorowicz klassik-begeistert.de
Liebe Frau Łada-Zielke,
Danke für dieses sehr schöne, informative Interview!
Ihr Ralf Wegner