Sabine Weyer und Dimitri Maslennikov © Vitùc
Die preisgekrönte luxemburgische Pianistin Sabine Weyer gehört zu den wichtigsten Musikerinnen ihrer Generation und spielte in ihrer jungen Karriere bereits auf Bühnen wie die Berliner Philharmonie, das Wiener Konzerthaus und die Royal Albert Hall.
Gemeinsam mit dem Cellisten Dimitri Maslennikov, dessen Einspielung der Schostakowitsch-Konzerte mit dem heutigen NDR Elbphilharmonie Orchester für Aufsehen sorgte, debütierte sie am Montag in der Hamburger Laeiszhalle. In unserem Interview sprachen wir über Cellosonaten, leere Konzertsäle und natürlich den Hamburger Komponisten Johannes Brahms.
Johannes Karl Fischer im Gespräch mit Sabine Weyer und Dimitri Maslennikov
klassik-begeistert: Frau Weyer, Herr Maslennikov, Sie spielen morgen in der Hamburger Laeiszhalle ein Konzert mit dem Titel “The Brahms connection.” Was macht es für Sie besonders, Brahms in Hamburg zu spielen?
Sabine Weyer: Ich habe in der Laeiszhalle noch nie gespielt, allein deswegen ist das für mich ein ganz besonderer Anlass! Ich habe gehört, auch der kleine Saal soll sehr schön sein und eine sehr gute Akustik haben. Aber ich war noch nie dort, ich bin sehr gespannt, diesen Saal kennenzulernen.
Dimitri Maslennikov: Ich habe in der Laeiszhalle mehrmals als Solist mit dem NDR Sinfonieorchester [Anm.: Seit 2016 als NDR Elbphilharmonie Orchester bekannt] gespielt, das letzte Mal 2005 unter dessen damaligen Chefdirigenten Christoph Eschenbach. Das habe ich sehr genossen, ich habe mit diesem Orchester 2008 auch die beiden Schostakowitsch-Cellokonzerte eingespielt. Jetzt als Kammermusiker zurück an diesen Ort zu kommen, das ist schon ein sehr emotionaler Moment. Wir spielen ein ganz tolles Programm mit dieser unglaublichen Brahms-Sonate, dazu zwei weniger bekannten Sonaten von Fuchs und Herzogenberg. Viele Leute wissen das vielleicht nicht, aber Fuchs und Herzogenberg zählten damals zu Brahms’ engeren Bekanntenkreis.

klassik-begeistert: Warum haben Sie ausgerechnet diese drei Sonaten gewählt?
Sabine Weyer: Die erste Cellosonate von Brahms wird sehr oft gespielt. Wir wollten nicht noch ein bekanntes Werk dazu spielen, einfach um mal etwas Abwechslung in die Konzertprogramme zu bringen, gleichzeitig aber auch im gleichen ästhetischen Rahmen der Musik bleiben. Wir haben dann mit Fuchs und Herzogenberg zwei Komponisten entdeckt, die fast gleichzeitig wie Brahms komponiert haben, und deren Musik auf jeden Fall sehr interessant ist. Daher auch die „Brahms connection.“

klassik-begeistert: Mussten Sie die Sonaten von Fuchs und Herzogenberg neu einstudieren?
Sabine Weyer: Ja, natürlich!
Dimitri Maslennikov: Die waren bislang kaum bekannt und wurden auch nie eingespielt, das war eine Entdeckung…
Sabine Weyer: Naja, von der Herzogenberg-Sonate gibt es eine Aufnahme. Aber die war für uns ehrlich gesagt nicht sehr inspirierend…
klassik-begeistert: Was macht diese Musik besonders, warum sollte man sie anhören?
Sabine Weyer: Die Fuchs-Sonate hat viele schöne Melodien und lässt sich genießen. Sie ist nicht sehr intellektuell, in diesem Sinne ein bisschen das Gegenteil der Brahms-Sonate. Das ist Musik, die man vielleicht nach dem Konzert im Auto nachsummt. Die Herzogenberg-Sonate ist sehr kontrapunktisch, in diesem Sinne wieder Brahms oder auch Bach nicht unähnlich. Die dürfte auf jeden Fall auch für das Publikum sehr interessant sein.
klassik-begeistert: Cellosonaten gibt es nicht so viele wie zum Beispiel Violin- oder Klaviersonaten. Herr Maslennikov, was ist das Besondere an der Cellostimme in diesen Werken?
Dimitri Maslennikov: Das Meisterwerk des morgigen Programms ist natürlich die Brahms-Sonate, ein unglaubliches Werk der Celloliteratur. Technisch gesehen ist die gar nicht so schwierig, die Fuchs-Sonate übrigens auch nicht. Das ist ein purer Genuss, diese Musik zu spielen. Die Herzogenberg-Sonate ist ein bisschen besonders, nicht nur zum Hören, sondern auch zum Spielen. Die ist ein bisschen unnatürlich gebaut und komponiert. Deswegen kann ich auch verstehen, warum die nicht so oft gespielt wird.
Sabine Weyer: Naja, gerade in der Herzogenberg-Sonate spiele ich die ganze Zeit die kontrapunktischen Stimmen und eben nicht nur Akkorde. Die Cellostimme mag relativ einfach sein, aber der Klavierpart ist sehr intensiv komponiert, sehr pianistisch und virtuos.

Dimitri Maslennikov: Vielleicht ein kleines Klavierkonzert mit Cellobegleitung.
Sabine Weyer: Das ist schon ein bisschen übertrieben. Die Stimmen sind sehr gleichberechtigt.
klassik-begeistert: Kling ein wenig nach der Kreutzer-Sonate von Beethoven, die hat ja auch eine sehr fordernde Klavierstimme…
Sabine Weyer: Das Klavier ist für Harmonie und Kontrapunkt verantwortlich und spielt eben nicht nur einstimmig. Auch einstimmig zu spielen, kann sehr anspruchsvoll sein. Aber unsere Partien haben ganz unterschiedliche Funktionen.
Dimitri Maslennikov: Cello zu spielen ist eine ganz andere Welt als Klavierspielen…
klassik-begeistert: Brahms war ja ein sehr guter Pianist, aber es ist nicht bekannt, ob er überhaupt Cello spielen konnte, von Fuchs und Herzogenberg übrigens auch nicht. Merkt man das in der Cellostimme?
Dimitri Maslennikov: Ja. Bei Brahms fließt die Cellostimme sehr gut, er war einfach ein musikalisches Genie. Fuchs war auch ein sehr guter Komponist, aber er konnte in diesem Sinne mit Brahms nicht mithalten. Heutzutage kaufen die Komponisten sich erstmal Celli und Geigen, im Zweifel bei eBay, einfach um zu lernen, wie diese Instrumente funktionieren. Wie kann man überhaupt für ein Instrument komponieren, wenn man nicht weiß, wie es funktioniert? Leider war das vor ein paar Hundert Jahren noch anders. Zum Beispiel bei der Herzogenberg-Cellosonate merkt man, er konnte offenbar gar nicht Cello spielen. Musikalisch ist das sehr interessant, aber er hatte offenbar keine Ahnung von dem Instrument, für das er komponiert hat. Deshalb wird diese Musik auch nicht so oft gespielt.
Sabine Weyer: Man merkt, dass Brahms sehr gut Klavier spielen konnte, weil die Klavierstimme einfach sehr gut liegt. Die ist keinesfalls einfach zu spielen, aber sie fühlt sich für die Finger sehr logisch an. Bei Herzogenberg ist das anders. Ich weiß nicht, ob er ein guter Pianist war, aber ich habe da meine Zweifel. Das fühlt sich für die Finger sehr unnatürlich an.
klassik-begeistert: Man sagt auch über Beethoven, er hat einfach alles für Klavier geschrieben und alle anderen Instrumente mussten irgendwie in dieses sehr pianistische Weltbild passen…
Sabine Weyer: Es geht nicht immer nur darum, eine für das Instrument gut liegende Stimme zu schreiben. Viel wichtiger ist, was die Musik ausdrückt und wie sie zu uns spricht. Brahms war ein Genie, Fuchs und Herzogenberg zwei sehr gut Komponisten.
klassik-begeistert: Ich denke, wir freuen uns alle sehr auf das Konzert morgen. Leider sind bis heute nicht einmal 120 der 640 Plätze verkauft – in diesem Saal keine Ausnahme. Wie fühlt es sich an, vor einem halbleeren Saal zu spielen?
Sabine Weyer: Daran muss man sich gewöhnen. Wir spielen für die Leute, die da sind, nicht für die, die nicht gekommen sind. Wenn man sich über die leeren Plätze ärgert, wird man beim Spielen nur frustriert sein, das ist nicht gesund. Wir freuen uns über diejenigen, die da sind!
Dimitri Maslennikov: Ein alleiniger Zuhörer ist auch schon ein Publikum!
Sabine Weyer: Ich hatte mal ein Festival in Luxemburg. Da habe ich große Stars eingeladen, am Ende saßen in dem Saal mit 380 Plätzen trotzdem nur 40 Leute. Na und? Die 40 Leute waren da, sie haben die Musik genossen und die Musiker haben für sie gespielt. Finanziell ist das natürlich ein Problem. Musikalisch ändert das gar nichts.

klassik-begeistert: Wie bereiten Sie sich auf eine neue Akustik vor?
Sabine Weyer: Wir kommen an, wir haben eine Anspielprobe im Saal und gucken, was passiert. Wir reagieren darauf, wir können nicht vorher wissen, wie der Saal klingt und funktioniert oder eben auch nicht funktioniert. Deswegen sind wir auch schon immer zwei Stunden vorher da.
Dimitri Maslennikov: Wir müssen mit allem arbeiten, was passiert!
klassik-begeistert: Waren Sie von einem Saal schon einmal böse überrascht?
Dimitri Maslennikov: Natürlich, sogar öfters. Manchmal kommt man an und es ist nichts fertig, die Beleuchtung nicht eingestellt oder der Saal nicht für das Publikum vorbereitet. Aber damit muss man klarkommen, man wird ja schließlich dafür bezahlt. Akustisch ist zum Beispiel die St. Petersburger Philharmonie absolut suboptimal. Das ist meine Heimatstadt, ich habe dort mehrmals gespielt. Klanglich fühlt man sich da wie in einer Kiste, man hört von der restlichen Bühne absolut gar nichts.
klassik-begeistert: Was soll das Publikum von ihrem morgigen Konzert mitnehmen?
Sabine Weyer: Zwei neue Komponistennamen, dass man immer noch viele neue Musik entdecken kann. Wobei, das ist vielleicht die intellektuelle Perspektive. Am Ende sollen die Menschen kommen, mit ihren Herzen zuhören und die Emotionen, die sie beim Hören empfinden, mit nach Hause nehmen.
klassik-begeistert: Frau Weyer, Herr Maslennikov, herzlichen Dank für das Interview und toi toi toi für morgen Abend!
Johannes Karl Fischer, 25. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Julia Fischer, Violine und Jan Lisiecki, Klavier Elbphilharmonie, Hamburg, 7. November 2024