Silvia Azzoni und Alexandre Riabko bei einem Pas de deux (I) im Großen Festsaal des Hamburger Rathauses am 10. Juni 2023 (Foto: RW)
Man darf auf der Bühne nicht mehr mit den technischen Schwierigkeiten beschäftigt sein, sonst kann man nicht richtig loslassen. Nur mit vielen Proben erreichen wir unser harmonisches, geschmeidiges Zusammenspiel und bringen die Pas de deux zum Blühen.
klassik-begeistert im Gespräch mit Silvia Azzoni und Alexandre Riabko, den Weltstars auf der Ballettbühne, Teil II
von Dr. Ralf Wegner
Alexandre Riabko wurde 1978 in Kiew geboren. Er ging dort zur Ballettschule und wechselte 1995 zur Hamburger Ballettschule. 1996 wurde er hier in das Ensemble aufgenommen, 1999 zum Solisten und zwei Jahre später zum Ersten Solisten befördert. Seit 2022 ist er im Ensemble des Hamburger Balletts als Sonderdarsteller verzeichnet. Gastauftritte führten ihn in die Weite Welt. 2001 erhielt er den Dr. Wilhelm Oberdörffer-Preis, 2016 wurde er mit dem Benois de la Dance in den Opernhimmel der Balletttänzer erhoben. Alexandre Riabko ist mit Silvia Azzoni verheiratet, sie haben eine Tochter.
Der perfekte Weg zum Tanzen
klassik-begeistert: Kommen wir zu Ihnen beiden als Paar auf der Bühne. 2014/15 haben sie in Hamburg die Hauptpartien in Crankos Onegin getanzt. Ich habe weder vorher noch nachher solch einen technisch und darstellerisch furiosen letzten Pas de deux gesehen. Die Bewegungsgeschwindigkeit und tänzerische Präzision waren geradezu überwältigend. Gleiches gilt für den Schwarzen Pas de deux in der Kameliendame, der auf Youtube erhalten ist. Keiner ist überzeugender als der von Ihnen ins Netz gestellte. Wie gelang es Ihnen, solche Präzision und Intensität zu erreichen?
Silvia: Wir suchen immer den perfekten Weg beim Tanzen. Wenn die Rolle im Körper fest sitzt, er sie beherrscht, können wir uns ganz auf den Ausdruck konzentrieren und die Rolle frei interpretieren. Man darf auf der Bühne nicht mehr mit den technischen Schwierigkeiten beschäftigt sein, sonst kann man nicht richtig loslassen. Und wir versuchen deshalb, so viele Proben wie möglich zu erhalten. Damit erreichen wir unser harmonisches, geschmeidiges Zusammenspiel und bringen den Pas de deux zum Blühen.
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klassik-begeistert: Lieber Alexandre, was hat Sie in der Jugend zum Ballett und schließlich zu John Neumeier geführt?
Alexandre: Ich war ein kleiner Junge, ich glaube ich war sechs Jahre alt, als mich meine Mutter in eine Ballettschule mitnahm. Man suchte dort dringend Jungs und fragte mich, ob ich Lust hätte. Ich hatte nichts dagegen. Man prüfte mein Rhythmusgefühl und meinen Körperbau und wollte mich sofort nehmen. Dort blieb ich drei Jahre und hatte mit der Zeit Spaß am Tanzen.
Mit 10 Jahren nahm ich an der Aufnahmeprüfung der großen Ballettschule in Kiew teil und wurde auch angenommen. Mit 14 oder 15 durfte ich schon kleine Ballettvariationen auf der Bühne tanzen. Mit 17 nahm ich dann beim Lausanne-Wettbewerb in Moskau teil. John Neumeier war damals in der Jury. Ich gewann zwar nicht den Wettbewerb, gelangte aber bis ins Finale.
Daraufhin hat John mich nach Hamburg eingeladen. Damals wusste ich wirklich nichts von Hamburg und auch nichts von John Neumeier. Aber nach einem Gespräch mit meinen Eltern entschieden wir uns, diese Einladung anzunehmen. Zuerst war geplant, dass ich zwei Jahre in der Schule verbleibe, aber bereits nach einem Jahr wurde ich in das Ensemble aufgenommen.
klassik-begeistert: Sie haben in Hamburg ja fast alles getanzt, was auf der Hamburger Ballettbühne aufgeführt wurde. Gibt es Rollen, die Sie nicht, aber gerne getanzt hätten?
Alexandre: Ja, und zwar die Rolle von Romeo als abendfüllendes Ballett, ich war damals wohl noch nicht dran. Später hat John mich als Mercutio besetzt.
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Was bringen Ballettfilme?
klassik-begeistert: Ihr Wirken ist mehrfach verfilmt worden, so 2001 als Graf Alexander mit ihrer Frau als Prinzessin Claire in Neumeiers Schwanensee und vor allem 2017 ihre großartige Leistung als Nijinsky in John Neumeiers gleichnamigem Ballett. Später folgte noch das Ballett Ghost Light, in dem Sie zusammen mit ihrer Frau einen bemerkenswerten Auftritt hatten. Welche Bedeutung haben diese Verfilmungen für Sie?
Alexandre: Ich erinnere mich noch sehr genau an die Verfilmung von Schwanensee. Es war wohl die erste Verfilmung, die wir damals machten. Mittlerweile sind meine Frau und ich mehrfach auf diese Rollen angesprochen worden. Vor allem junge Tänzer haben sich diese Verfilmung vor der Wiederaufnahme von Schwanensee angesehen. Das hat mir viel bedeutet. Später kamen weitere Aufnahmen wie Nijinski hinzu. Es handelte sich nicht mehr um reine Ballettverfilmungen, John wollte vielmehr mit filmischen Mittel, zum Beispiel durch Großaufnahmen der Gesichter, den Ballettrahmen sprengen. Er wollte vor allem zeigen, was er gerade in dem Moment der Handlung empfand.
klassik-begeistert: John Neumeier hat ja häufig die international berühmte Tänzerin Alina Cojocaru mit Rollen betraut, zum Beispiel als Julie in Liliom, obwohl sie nicht zum Ensemble gehörte. Wie sah man das aus der Sicht des Hamburger Ensembles?
Alexandre: Ich glaube, Alina Cojocaru hat John Neumeier überhaupt erst dazu inspiriert, dieses Ballett in Angriff zu nehmen und für die gesamt Companie zu entwickeln. John sieht, wie wohl wie jeder große Künstler, in dem jeweiligen Tänzer oder der Tänzerin bereits den Charakter der Figuren und wählt danach aus. Alina war für John Julie. Davon hat letztlich die ganze Companie profitiert. Es ist halt wie es ist, auch wenn man selbst denkt, dass jemand anderes diese Rolle ebenso hätte interpretieren können.
Technik oder Ausdruck?
klassik-begeistert: Ich weiß nicht mehr, wann und mit welcher Partie wir Sie als Tänzer zum ersten Mal bewusst wahrgenommen hatten. Jedenfalls blieb uns als erste Erinnerung haften, da springt jemand wie ein Springball über die Bühne, den sollte man sich merken. Wie schätzen sie den technisch-physischen Anspruch an die jeweiligen Rollen, zum Beispiel als Albrecht in Giselle mit den Entrechat six im zweiten Akt, als Prinz Desiree in Dornröschen oder als König in Schwanensee ein?
Alexandre: Ich komme ja aus der klassisch-technisch ausgerichteten Kiewer Ballettschule, die auf der Vaganova-Methode basiert. Dort wird wirklich auf Technik, auf Sprünge und Drehungen geachtet. Als ich nach Hamburg kam, hatten wir zwar auch Unterricht im klassischen Repertoire, Kevin Haigen hat uns aber auch neoklassisch im Sinne von John Neumeier unterrichtet. Das war für mich völlig neu. Ich fand es spannend, dass es nicht nur um die Zahl der Pirouetten oder die perfekt Doppeldrehung in der Luft ging. Das war immer nur die erste Voraussetzung für die innere Weiterentwicklung der Rolle. Viel wichtiger war, wer du bist, wenn du die Rolle spielst. Es ist ein Unterschied, ob man einen Prinzen oder einen Burschen von der Straße tanzt, die Schritte mögen zwar die gleichen sein, wie man an die Darstellung herangeht, ist aber völlig unterschiedlich. Ich habe damals zahlreiche Aufführungen auf der Hamburger Bühne angeschaut und für mich entschieden, mich den unterschiedlichen Anforderungen zu stellen.
klassik-begeistert: Sie haben sich im Laufe der Jahre immer mehr zu einem brillanten Darsteller entwickelt, wohl angefangen von Mordred in der Artus-Sage über Jago in Othello bis hin zu Nijinsky. Erwähnen möchte ich einen ihrer seltenen Auftritte als Muschik in Anna Karenina nach dem Italien Pas de deux am 1. Mai 2019. Zum ersten Mal hatte diese Rolle für mich eine subtile Intensität, der man sich nicht entziehen konnte. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Alexandre: Diese emotionalen Rollen waren für mich eine Herausforderung von Anfang an. Für mich wurde der emotionale Hintergrund der jeweiligen Partie mit der Zeit immer wichtiger. Jeder auf der Bühne muss wissen, was und wen er verkörpert. Die Rolle des Muschik fand ich sehr interessant, denn es handelt sich um eine innere Projektion, eine Kopfgeburt von Anna Karenina. Für mich eröffneten sich dadurch sehr viele Möglichkeiten der Darstellung.
klassik-begeistert: Vielen Dank für das Gespräch!
Dr. Ralf Wegner, 26. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Teil 3 unseres Interviews lesen Sie Freitag, 28. Februar 2025, hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at.