Tomasz Konieczny/Wotan © Kinga Karpati & Daniel Zarewicz
Jolanta Łada-Zielke im Gespräch mit dem Bassbariton Tomasz Konieczny – diesmal über die Rolle seines Lebens.
klassik begeistert: Ist Wotan eine Art Obergrenze für den Heldenbassbariton, nach der man nichts mehr im Wagner-Repertoire erreichen kann?
Tomasz Konieczny: Sicherlich ist es eine der wichtigsten Rollen, ein Meilenstein in der Karriere, aber ich würde sie nicht so einstufen. Ja, ich betrachte Wotan als meine Lebensrolle. Um ihn singen zu können, muss man etwas andere Bedingungen haben als für den Holländer. Den Holländer kann zum Beispiel jemand mit einem breiteren Umfang nach oben singen, dessen Stimme zwischen dramatisch und lyrisch schwankt. Beim Wotan hingegen kommt man um einige solide Basskomponente nicht herum, die aber gleichzeitig einem Bariton gehören. Dies ist eine Rolle von enormem Genregewicht.
klassik begeistert: Dein Kollege Georg Zeppenfeld singt Wotan nicht, weil er ein lyrischer Bass ist und mit diesem Charakter nichts gemeinsames hat. Er hat sich ebenfalls gegen Hans Sachs gewehrt, erst Christian Thielemann hat ihn dazu überredet, und es hat sich herausgestellt, dass er Recht hatte. Und wie siehst Du Hans Sachs?
Tomasz Konieczny: Ich träume schon lange davon, ihn zu singen und habe auch schon solche Angebote bekommen. Zunächst habe ich sie abgelehnt, weil ich für die Rolle reifen wollte. Sachs, der Meister, Schuhmacher und Dichter, ist mir sehr nahe. Es ist herzerwärmend, dass er sich trotz seiner inneren Widerstände in den Schatten zurückzieht, um der Jugend eine Chance zu geben. Er erschafft Walter Stolzing von Anfang an, gibt ihm – nicht ohne gewisse Reue – seine geliebte Eva und zeigt damit eine unglaubliche Großzügigkeit.
Ich kenne und schätze Georg Zeppenfeld sehr, daher kann ich mir seine Sichtweise auf Wotan vorstellen. In der Tat ist Georg als Person das komplette Gegenteil von dem Göttervater. Wotan kann sehr charmant und warmherzig sein, und in einem anderen Moment erscheint er als ein Stück Mistkerl. Georg ist sehr geradlinig, äußerst kollegial und hat ein sehr starkes moralisches Rückgrat. Ich finde es schön, dass Maestro Thielemann ihn unterstützt, weil er der richtige Mann am richtigen Platz ist. Georg kann hervorragend auf Deutsch deklamieren, wofür ich ihn sehr bewundere, und bin froh, dass wir in verschiedenen Produktionen zusammen auftreten können.
klassik begeistert: Was hältst Du von Sachs’ letztem Monolog? Verherrlicht er nicht die deutsche Kunst und stellt sie über andere?
Tomasz Konieczny: Inwieweit unterscheidet sich dieser Monolog von der Arie des Stolnik in Moniuszkos Gespensterschloss? Hier haben wir die Apotheose des Polentums, unserer adelig-sarmatischen Kultur, auf die wir stolz sind. Es stört niemanden, dass wir sie auf einen Sockel stellen.
Leider haben die Nationalsozialisten die Argumente aus Sachs’ Monolog aus den Meistersingern falsch interpretiert und zu ihrem Credo gemacht. Wagner war einer von Hitlers Lieblingskomponisten, so dass ihm ein Makel angeheftet wurde, den er bis heute nur schwer wieder loswird. Viele andere Kunstwerke, sowie Symbole, erlitten das gleiche Schicksal. Warum wurde das buddhistische, esoterische Hakenkreuz zu einem Erscheinungsbild des Bösen? Alles wegen eines nicht sehr gebildeten Mannes, der frustriert war, weil er nicht sein zweifelhaftes malerisches Talent der Welt offenbaren konnte? Solche Menschen gab, gibt und wird es immer geben, also müssen wir uns mit unserer Kunst gegen sie wehren.
Der Schlussmonolog von Sachs ist insofern problematisch, dass er in einem „marschierenden“ Stil geschrieben ist und man ein Konzept haben muss, wie man ihn aufführen kann. Eine großartige Idee hatte Barrie Kosky 2018 in Bayreuth, und Michael Volle hat sie sensationell umgesetzt, was diesen Monolog und die ganze Sachs-Partie zu einem Weltmeisterstück gemacht hat.
klassik begeistert: Gäbe es Deiner Meinung nach eine universelle Interpretation dieser Worte von Hans Sachs?
Tomasz Konieczny: Natürlich gibt es eine solche Interpretation. Als Wagner diesen Monolog schrieb, hatte er sicher nicht den Einmarsch von Panzern in Polen und anderen Ländern im Sinn. Mir scheint, dass man diese Worte als eine Apotheose der Kunst im Allgemeinen und als eine Warnung an künftige Generationen verstehen sollte, weil ihr Inhalt immer noch aktuell ist. Und diese Botschaft lautet: Hört den Meistern zu und lernt von ihnen, versteht, worum es in ihrer Kunst geht, und erst dann schlagt einen anderen Weg vor!
Andererseits geht es in den Meistersinger von Nürnberg um den Widerstand der jüngeren Generation, vertreten durch Stolzing, gegen die etablierten Regeln. Man beachte, dass dieselbe Figur – Hans Sachs – zunächst Stolzing selbst zum Ungehorsam ermutigt und im Schlussmonolog zur Mäßigung aufruft. Wir Polen sollten das nicht kommentieren, weil wir analoge, einheimische Werke haben, die das Polentum und die polnische Kunst verherrlichen. Und was das Niveau unserer Oper aus dieser Zeit angeht, so können wir uns nicht mit den herausragenden deutschen oder italienischen Werken vergleichen.
klassik begeistert: Manche stellen Moniuszko mit Wagner in einer Reihe, weil beide Vertreter der „Nationaloper” sind, jeder in seinem eigenen Land.
Tomasz Konieczny: Moniuszko kann man weder mit Wagner noch mit einem von damaligen italienischen Komponisten vergleichen. Seine Musik ist anachronistisch, die Harmonien sind zwar schön, aber eher standardmäßig und veraltet, und seine Libretti sind dramaturgisch sehr unvollkommen. Was aber Wagner betrifft, lassen wir bitte diese „Nationalität“ beiseite, weil er sich nicht mit der deutschen, sondern mit der germanischen, also skandinavischen Mythologie beschäftigt, die übrigens sehr grausam ist. Die vorchristlichen Deutschen gehörten auch dazu, vor allem die nördlichen Stämme, weil die aus dem Süden einen anderen Glauben hatten. Die keltische Mythologie, die zur skandinavischen gehört, unterscheidet sich ebenfalls von dieser. Zu Wagners Zeiten war Deutschland geteilt, und er trat für seine Konsolidierung, seine Einigung ein. Aus dieser Sicht sollte man sein Werk betrachten.
klassik begeistert: Welche anderen Rollen singst Du in naher Zukunft?
Tomasz Konieczny: Ich werde Boris Godunow in Amsterdam singen, was für mich ein großes Erlebnis sein wird, zumal wir seit Februar 2022 mehr oder weniger offiziell eine Zensur für die Aufführung russischer Musik in Polen haben. Dieses Verbot belastet mich sehr, da ich selbst ein Album mit Liedern von Rachmaninow und Mussorgsky aufgenommen habe. Ich werde dieses Repertoire bei einem Solokonzert am 26. März 2025 an der Wiener Staatsoper präsentieren, wo ich mit dem Pianisten Lech Napierała die Werke von Mykola Lyssenko sowie Lieder und Tänze des Todes von Modest Mussorgsky aufführen werde. Dies ist bereits mein zweiter Soloabend an der Wiener Staatsoper. Auf dem Programm stehen auch die Wesendonck-Lieder von Richard Wagner. Ein ähnliches Repertoire werde ich am 22. Januar in der Philharmonie in meiner Heimatstadt Łódź präsentieren.
klassik-begeistert: Lieber Tomasz Konieczny, herzlichen Dank für das Gespräch.
Im dritten Teil des Interviews mit Tomasz Konieczny,
am 29. Dezember 2024, sprechen wir über die zwei bisherigen Aufführungen von Baltic Opera Festival in Polen und die Pläne für die nächsten Aufführungen.
Interview: kb im Gespräch mit Tomasz Konieczny klassik-begeistert.de, 25. Dezember 2024