Veneta Neynska: „Meine musikalischen Werke sind wie meine Kinder, ich liebe sie alle!“

Interview: kb im Gespräch mit Veneta Neynska, Pianistin  klassik-begeistert.de, 9. Oktober 2025

Veneta Neynska (personal archive)

Seit ihrem Studium in Sofia, an der University of Southern California in Los Angeles und an der Londoner Guildhall School of Music and Drama begeistert die Pianistin Veneta Neynska mit innovativen und spannenden Konzertprojekten, darunter auch die international gefeierte Konzertreihe „Chances and Choices“, mit der sie im November in der New Yorker Carnegie Hall debütieren wird. In unserem Gespräch sprechen wir über Instrumentenüberraschungen, die Musik des bulgarischen Komponisten Dimitar Nenow und natürlich die Weltklassikhauptstadt Wien. 

Johannes Karl Fischer im Gespräch mit Veneta Neynska

klassik-begeistert: Frau Neynska, im November spielen Sie in der Carnegie Hall in New York. Was bedeutet Ihnen dieses Debüt für Ihre Karriere?

Veneta Neynska: Das ist der Traum jeder fünfjährigen Pianistin, dort zu spielen! Natürlich ist dieses Debüt für mich sehr wichtig, ich bereite mich seit einem Jahr darauf vor, wie auch auf die jetzt anstehenden Konzerte in Österreich. Ich hoffe, dass ich dem dortigen Publikum etwas von meiner Kunst und den damit verbundenen Emotionen nach Hause geben kann.

klassik-begeistert: Die Akustik in der Carnegie Hall soll ja gar nicht so optimal sein. Wie gehen Sie damit um?

Veneta Neynska: [lacht] Das kann ich Ihnen dann nach dem Konzert sagen. Mit solchen Spezifikationen müssen wir als Pianisten dauernd umgehen, nicht nur mit der wechselnden Saalakustik, sondern auch mit den Klavieren.

Wir haben nicht viel Zeit, um das Instrument, auf dem wir ein Konzert spielen werden, kennenzulernen. Das gehört zu unserem Leben und Beruf, das ist normal. Am Ende ist es auch sehr wichtig, wie das Publikum sich während des Konzerts fühlt. Die Stimmung im Saal, die Akustik und das Instrument, das ist während der Aufführung alles verbunden. Das macht diese Kunst so besonders.

Veneta Neynska © Vladimir Kotsev

klassik-begeistert: Wie viel Zeit haben Sie, um ein Klavier kennenzulernen?

Veneta Neynska: Meistens nicht mehr als ein paar Stunden vor dem Konzert. Normalerweise reicht das, um das Instrument samt seinen Stärken und Herausforderungen kennenzulernen. Die Situation ändert sich nochmal schlagartig, wenn man dann vor Publikum spielt. Weil ein voller Saal ganz anders klingt, als wenn nur die Stühle drinstehen.

klassik-begeistert: Wurden Sie schon einmal von einem Instrument so überrascht, dass es einfach nicht so klang, wie Sie das wollten?

Veneta Neynska: Einmal musste kurzfristig ein Klavierstimmer organisiert werden, zum Glück hat das geklappt. Sowas gehört auch zu unserem Job dazu. Aber bislang musste ich noch nie ein Konzert absagen, weil das Instrument irgendwelche Mängel hatte.

Veneta Neynska © Vladimir Kotsev

klassik-begeistert: Nächste Woche spielen Sie erstmals in Wien und Graz mit dem Programm “Wege und Umwege”. Worauf freuen Sie sich bei diesen Konzerten am meisten?

Veneta Neynska: In den letzten Jahren habe ich mich viel mit der Musik des bulgarischen Komponisten Dimitar Nenow beschäftigt und sogar einen Dokumentarfilm über ihn mitgestaltet. In diesem Programm spiele ich neben Nenow auch Musik von Chopin und Liszt. Werke die Nenow sehr geschätzt und viel gespielt hat. Die 24 Préludes von Chopin in der ersten Hälfte sind ja in den 24 Dur- und Moll-Tonarten geschrieben; das symbolisiert sozusagen die möglichen Wege, die eine Person im Leben wählen kann. Das ist ein bisschen das dahinterliegende Konzept dieses Titels: „Wege und Umwege.“

klassik-begeistert: Bulgarische Komponisten wie Dimitar Nenow gibt es nicht so viele, oder sie sind zumindest nicht sehr bekannt. Welche Rolle spielen bulgarische Komponisten in ihren Programmen?

Veneta Neynska: Tatsächlich habe ich bis vor ein paar Jahren in meinen Konzerten gar keine Musik von bulgarischen Komponisten gespielt. Es geht mir immer um die individuelle Stimme des Künstlers. Ich kenne bei Nenow seine Musik und viele Details aus seinem Leben einfach sehr gut. Leider wurden alle seine eigenen Aufnahmen Opfer eines tragischen Unfalls kurz nach seinem Tod, aber es gibt noch Zeitzeugen, die ihn als Pianist gehört haben und entsprechend ein Bild wiedergeben können, wie er selbst gespielt hat.

klassik-begeistert: Was ist an den Préludes von Chopin so besonders?

Veneta Neynska: Ich wähle die Werke in meinen Programmen immer sehr bewusst, und die Chopin-Préludes sind da keine Ausnahme. In Bulgarien habe ich eine Reihe, “Concerts with History” [Dt.: Konzerte mit Geschichte], da spiele ich immer ein großes Werk wie zum Beispiel die Chopin-Préludes und dann stelle ich die Musik in ihrem Zusammenhang dar, zum Beispiel wie das Werk entstanden ist, oder wo der Komponist gerade im Leben war, als er das Werk geschrieben hat.

Meine eigenen Ideen kann man da nicht unbedingt nur musikalisch kommunizieren, manchmal ist das auch einfach sehr emotional und das erzähle ich dann während des Konzerts. Interessanterweise erfreut sich gerade das Programm mit den 24 Chopin-Préludes sehr großer Beliebtheit. Ich habe für diese Musik ein sehr tiefes Verständnis, da kann ich selbst bei diesem sehr bekannten Werk noch etwas besonders zwischen den Noten finden und mit dem Publikum teilen.

klassik-begeistert: Das klingt sehr interessant, gerade dieses Konzertformat. Würden Sie von solchen Konzerten gerne mehr spielen? Haben Sie weitere ähnliche Projekte geplant?

Veneta Neynska: Seit 15 Jahren bin ich künstlerische Leiterin am Sofia Art Institute, einer bulgarischen Kulturorganisation. Wir wollen mit dieser Vortragsweise ein breiteres Publikum erreichen und für diese Musik auch begeistern. Wir haben zum Beispiel auch eine Reihe “Konzerte mit Kissen” für Familien mit kleinen Kindern. Ich erlebe dabei immer öfter, dass das Publikum diese Musik sehr genießt und sie dann etwas fürs ganze Leben mitnehmen. Das ist mir sehr wichtig. Wir als Musikerinnen brauchen unser Publikum, und zwar nicht nur physisch im Saal anwesend, sondern auch als aktive Hörer.

Veneta Neynska © Vladimir Kotsev

klassik-begeistert: Was würden Sie gerne auf einem Konzertprogramm in 20 oder 30 Jahren spielen?

Veneta Neynska: Oh, also darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, ich plane immer nur 10 Jahre im Voraus! Spaß beiseite, wir Künstler haben alle Träume und Ziele, auch wenn sich diese natürlich entwickeln und verändern. Mir ist zum Beispiel der Bildungsaspekt meiner Kunst sehr wichtig, den will ich noch weiterentwickeln.

Was das Repertoire angeht, würde ich mal gerne die gesamten Schubert-Sonaten einspielen. Davon gibt es zwar schon unzählige Aufnahmen, aber ich fühle mich dieser Musik sehr verbunden, ähnlich wie mit den Chopin-Préludes.

Ich interessiere mich auch sehr für neue Musik; neulich habe ich zusammen mit dem Cellisten Stefan Hadzhiev die Uraufführung von Peter Kerkelovs “The Lost Songs of Sisyphus” gespielt. Das ist ein monumentales Werk mit elektronischen und visuellen Effekten, aber überraschenderweise hat sich das Publikum mit diesem Werk gleich beim ersten Hören sehr angesprochen gefühlt. Das ist ein Durchbruch, etwas so Neues zu schaffen und gleich eine Verbundenheit mit dem Publikum herzustellen.

klassik-begeistert: Zurück zum Wiener Konzerthaus: Was macht diesen Saal für Sie so besonders?

Veneta Neynska: Das ist ein sehr traditionsreicher Saal, viele bedeutende Künstler haben da schon gespielt und es ist eine große Ehre auf dieser Bühne aufzutreten! Und natürlich ist Wien eine Hauptstadt der klassischen Musik…

Veneta Neynska © Vladimir Kotsev

klassik-begeistert: Was möchten Sie bei Ihrem jetzigen Programm dem Publikum mit nach Hause geben?

Veneta Neynska: Wir haben alle nur ein Leben, also sollten wir für dieses und für jeden Augenblick, den wir auf dieser Erde haben, dankbar sein. Musik ist auch immer eine lebendige Kunst, die im Moment stattfindet, da ist jeder Tag anders und das sollten wir genießen!

klassik-begeistert: Gibt es einen Moment in Ihrem jetzigen Konzertprogramm, der Ihnen besonders viel Spaß macht?

Veneta Neynska: Ich liebe das ganze Programm, die Musik ist einfach so unterschiedlich! Die Stücke sind ein bisschen wie meine Kinder, ich liebe sie alle und hoffe, dass das Publikum auch die Auswahl genießt.

klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg mit Ihren Konzerten in New York und in Österreich!

Johannes Karl Fischer, 9. Oktober 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Interview: Johannes Karl Fischer im Interview mit Ádám Fischer – Teil 1 klassik-begeistert.de, 25. April 2024

Johannes Karl Fischer im Interview mit Ádám Fischer – Teil 2 klassik-begeistert.de, 27. April 2024

Interview mit Camilla Nylund von Johannes Karl Fischer klassik-begeistert.de, 2. Oktober 2023

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