Der Tänzer, Choreograph und Ballettdirektor Michal Sedláček (Foto: privat)
Der Tänzer und Hallenser Ballettdirektor Michal Sedláček wurde 1978 in Brünn/Tschechien geboren. 1988-1996 absolvierte er seine Ballettausbildung in seiner Heimatstadt. Dort trat er auch sein erstes Engagement an. 1997 wechselte er als Solotänzer zum Staatstheater Mainz und zwei Jahre später zum von Ralf Rossa geleiteten Ballett in Halle. 2001 wurde er dort zum Ersten Solotänzer ernannt und übte ab 2005 zusätzlich die Tätigkeit als choreographischer Assistent aus. 2012 wurde er zum stellvertretenden Ballettdirektor und 2022 zum Künstlerischen Leiter des Balletts Halle ernannt. Vor der am 25. Oktober stattfindenden Premiere von Romeo und Julia beim Ballett Halle sprach klassik-begeistert mit dem Choreographen und Ballettdirektor.
Dr. Ralf Wegner im Gespräch mit Michal Sedláček, Choreograph und Ballettdirektor in Halle am 16. Oktober 2024, Teil 1
klassik-begeistert: Herr Sedláček, was hat Sie als junger Mensch zum klassischen Ballett hingezogen?
Michal Sedláček: Es war ein völliger Zufall, ich war in einen anderen Stadtteil umgezogen und hing in manchen Fächern in der Schule hinterher. Ich habe viel Sport gemacht, Fußball gespielt und bin Ski gefahren, das hat mich damals mehr interessiert als Mathematik oder Physik. Dann sind Lehrerinnen in die Schulen gekommen und haben Kinder für das Ballett-Konservatorium in Brünn ausgesucht. Ich habe mich auch beworben.
Von 600 Kindern haben 60 die Aufnahmeprüfung bestanden, darunter war ich. Am Ende der Ausbildung sind wir nur noch 8 gewesen. Das Konservatorium ist damals in der Tschechoslowakei vom Staat sehr unterstützt worden, wegen der Ballett-Tradition in Russland. Man wurde so ausgebildet, dass man auch ein Engagement bekommen konnte. Heute ist das anders. Es werden viel zu viele Tänzer ausgebildet, die das nachher nicht schaffen.
klassik-begeistert: Welche klassischen Partien prägten Sie als Solotänzer vor ihrer Zeit bei Ralf Rossa besonders?
Michal Sedláček: Ich habe das gesamte klassische Repertoire in der Schule gelernt. Mit 17 habe ich im Theater bereits den Bauern-Pas de deux in Giselle getanzt und mit 18 den Basilio in Don Quixote. In Mainz habe ich Desiré und den Blauen Vogel-Pas de deux in Dornröschen getanzt. Also alles, was man macht, wenn man jung ist. Dann kam Don José in Carmen und nach dem Wechsel nach Halle Siegfried in Schwanensee von Ralf Rossa.
klassik-begeistert: Eine Frage habe ich zum physischen Leistungsvermögen im Laufe einer Tänzerlaufbahn. Im sportlichen Bereich erreichen die Frauen mit etwa 16 Jahren ihre höchste Leistungsfähigkeit, bei den Männern steigert sich das noch bis nach dem 20. Lebensjahr. Als Mann tanzt man aber bis ca. 40. Wie lange vorher geht es mit der körperlichen Leistung schon bergab?
Michal Sedláček: Das ist sehr individuell. Es kommt darauf an, wieviel man trainiert. Bis zum 26. Lebensjahr baut der Körper noch auf. Was sich mit 30 ändert, ist die Rekonvaleszenzzeit. Wenn ich mit 20 getanzt habe, war ich am nächsten Tag komplett fit. Mit 30 war das nicht mehr so, da dauerte es bis zum nächsten Tag. Und wenn ich mit 40 eine Hauptrolle getanzt habe, brauchte ich zwei bis drei Tage, damit sich der Körper erholen konnte. Beim Weitertrainieren ohne die Erholung besteht dann die Gefahr, dass man sich verletzt. Aber das ist ganz individuell, manche schaffen es nur bis 26, andere bis 30. Ich hatte das Glück, bis 41 tanzen zu können. Ohne die Rekonvaleszenz wäre das nicht möglich gewesen.
klassik-begeistert: Wir konnten Sie erstmals 2004 in dem von ihrem Vorgänger Ralf Rossa choreografierten Ballett Schlafes Bruder nach dem Roman von Robert Schneider bewundern. Welchen Einfluss hatte der 2022 im Alter von 64 Jahren leider viel zu früh verstorbene Ralf Rossa auf ihre Entwicklung?
Michal Sedláček: Ralf war einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Auch in meinem privaten Leben. Wir waren, ich als angestellter Erster Solotänzer und er als Direktor, auf einer Ebene sehr vertraut, ich würde sagen auch befreundet, obwohl wir entsprechend unserer unterschiedlichen Positionen immer einen gewissen Abstand gehalten haben. Alles was ich gut kann, habe ich von ihm gelernt. Er hat mir Vertrauen gegeben. Er hat Rollen für mich choreographiert. Und das war der Grund, warum ich hier in Halle geblieben bin. Ich war hier glücklich und es gab keinen Grund, etwas zu verändern. Ralf war für mich ein toller Mensch und ein toller Choreograph. Er hat mir Türen geöffnet, was die Musik und die bildende Kunst betrifft. Er hat mir den Blick auf die Kunst eröffnet. So wie Ralf Rossa uns die Kunst erklärt hat, war er eine Ausnahme unter den Choreographen und Direktoren seiner Zeit. Ich kannte bis dahin nur Choleriker, die sich nicht unterhalten wollten. Wir durften bei Ralf Rossa am tänzerischen Entwicklungsprozess teilnehmen und unsere Meinung sagen. Das heißt nicht, dass dem immer gefolgt wurde, es gab aber immer eine Erklärung. Ralf ist und bleibt für mich einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben.
klassik-begeistert: Wir waren 2004 bei einer Ballett-Nachbesprechung in Halle. Es war ganz eindrucksvoll, was Ralf Rossa damals vorgetragen hat. Er hat auf der Bühne Geschichten erzählt, bei der der Tanz die Gefühle nach außen getragen hat. Man konnte sich über die Bewegung in die jeweilige Situation hineinversetzen, das war sehr interessant.
Michal Sedláček: Das ist auch der Grund, warum ich in Halle geblieben bin. Ich habe keine Lust, mich beim Tanz nur zu bewegen. Ich möchte Handlungsballett erzählen. Und natürlich mache ich das bei meinen Choreographien weiter. Es macht zwar sehr viel mehr Arbeit, ein Handlungsballett zu entwickeln, es ist aber das, was für mich Theater ist. Sportgymnasten beherrschen vielleicht bessere Tricks, sie erzählen sie aber nicht.
klassik-begeistert: Sie hatten mit der für Sie choreographierten Rolle des Elias in Schlafes Bruder großen Erfolg. Können Sie uns etwas mehr über die damaligen Aufführungen sagen?
Michal Sedláček: Ich war damals 26. Wir hatten einen tollen Cast, die Compagnie war sehr gut gestellt. Ich hatte damals einen Partner, Yann Revazov (Anmerkung: Bruder des Ersten Solisten beim Hamburg Ballett Edvin Revazov), der den Peter getanzt hat und mit dem ich mich auf der Bühne unglaublich gut verstanden habe. Ganz wichtig ist, dass sich das Thema der Inszenierung im Ballett immer wieder wiederholt: Wer schläft, liebt nicht. Wie auch zum Beispiel in Romeo und Julia, wenn auch auf eine andere Art und Weise: Das ist für mich eine ganz, ganz große Aussage in diesem Stück gewesen. Man braucht dazu aber gute Partner, und das waren Yann Revazov, den ich an meiner Seite hatte, und Antje Feher als Elsbeth, mit der ich mich auch sehr gut verstanden habe.
Wir konnten uns aufeinander verlassen. Ohne die beiden hätte ich den Dauereinsatz auf der Bühne nicht überlebt. Wenn sich da drei Egoisten auf der Bühne getroffen hätten, wäre ich bereits nach einer Stunde Spieldauer wie tot gewesen. Für mich war die Rolle des Elias die schönste und wichtigste Rolle gewesen.
klassik-begeistert: Welche anderen Partien sind für Sie in ihrer Hallenser Zeit als Erster Solist besonders wichtig gewesen?
Michal Sedláček: Rolf Rossa hat für mich Doktor Jekyll und Mr. Hyde choreografiert, das habe ich gerne getanzt. Ich habe aber eigentlich alle Rollen gerne getanzt. Was ich nicht mochte, ist etwas nach zu tanzen. Also Rollen zu übernehmen, bei denen ich mich nur in die bereits vorgegebenen Schritte einfügen musste. Für mich war das Wie und nicht das Was wichtig. Ich wollte in meinem Leben nicht mehr Choreografien von toten Choreographen tanzen. Für mich geht es darum, im Ballett alte und neue Geschichten auf meine Art und Weise zu erzählen, weil das leider immer weniger wird.
Dr. Ralf Wegner, 17. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Teil 2 unseres Interviews mit Michal Sedláček lesen Sie Sonntag, 20. Oktober 2024 und Teil 3 Dienstag, 22. Oktober 2024, hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at .