„Man soll Wagner 'all’italiana' singen“

Interview mit Andrzej Dobber, Bariton  Klassik-begeistert.de, 2. November 2023

Andrzej Dobber in der Titelrolle in Alexander Borodins „Fürst Igor“ (2012) © Staatsoper Hamburg, Karl Forster

Andrzej Dobber braucht man unseren Lesern nicht vorzustellen. Er ist den Stammgästen der größten Opernhäuser als „einer der führenden Verdi-Baritone der Welt“ gut bekannt. Eine beeindruckende Liste von Rollen und Aufnahmen sowie der Titel Hamburger Kammersänger, den der Sänger 2015 erhielt, runden sein künstlerisches Erscheinungsbild ab. Am 3. Oktober 2023 singt Andrzej Dobber wieder auf der Bühne der Staatsoper Hamburg als Baron Scarpia in Puccinis „Tosca“ unter der Leitung von Paolo Carignani.

Unser Gespräch fand während der Probenzeit für diese Aufführung statt.

von Jolanta Łada-Zielke 

klassik-begeistert: In Ihrer künstlerischen Biographie tauchen die Namen von drei Giganten auf:  Wagner, Verdi, R. Strauss…

Andrzej Dobber: Und Puccini. Nach dem Abschluss meines Stipendiums des Meistersinger-Konservatoriums (heute Hochschule für Musik Nürnberg) begann ich am dortigen Theater als „Bass 2. Fach“ zu arbeiten. Das heißt, ich habe kleinere Partien gesungen. Ein Jahr später wurde Christian Thielemann, heute ein großer deutscher Wagner-Dirigent und Strauss-Interpret, zum Generalmusikdirektor des Staatstheaters Nürnberg. Er erlaubte mir nach einem Vorsingen, in eine höhere Stimme zu wechseln. Seitdem steht in meinem Vertrag, dass ich ein Heldenbariton bin.

klassik-begeistert: Sie haben deutsche Musik gesungen, obwohl man Ihre Stimme als italienisch definiert hat?

Andrzej Dobber: Ich erkläre Menschen immer, dass man die italienische Gesangstechnik beherrschen muss. Und dann, je nachdem, welchen Komponisten man singt, ändert man die Technik nicht, sondern wechselt nur zur richtigen Artikulation. Man kann die Art des Klangs ändern, aber von der technischen Seite her singt man die ganze Zeit auf Italienisch. Auf diese Art und Weise interpretierte man Wagners Partien in den 1960er und 1970er Jahren. Ich habe Aufnahmen aus dieser Zeit, die ich mir gerne anhöre. Damals wurde Wagner noch wirklich gesungen, denn heute wird er oft geschrien.

klassik-begeistert: Wagner mochte die übermäßige Prunkhaftigkeit und Inhaltslosigkeit der italienischen Musik nicht.

Andrzej Dobber: Wagner kritisierte solche Art der Interpretierung, die für die italienische Musik charakteristisch ist. Er orientierte sich jedoch an der italienischen Technik, als er die Gesangspartien seiner Werke komponierte. Er muss ein Vorbild gehabt haben. Auch die größten Komponisten lernen von ihren Vorgängern, und dann entwickeln die wahren Giganten ihren eigenen Stil. „Der fliegende Holländer“ ist zum Beispiel vollständig auf italienische Weise geschrieben und sollte meiner Meinung nach im Belcanto gesungen werden.

klassik-begeistert: Man hält den „Lohengrin“ für „die italienischste“ Oper Wagners. Sind Sie damit einverstanden?

Andrzej Dobber: Ich bin gegen solche Superlative wie „die italienischste“. Für mich sind sowohl „Der fliegende Holländer“ als auch „Lohengrin“ auf Italienisch komponiert, aber „Tannhäuser“ ist schon eine romantische Oper. 2009 habe ich in Glyndenbourne den Kurwenal in „Tristan und Isolde“ gesungen. Die Titelpartie in dieser Oper ist unglaublich schwierig, aber meiner Meinung nach ebenfalls auf Italienisch komponiert. Ich weise darauf hin, dass wir über die Technik, nicht über die Ausdrucksmittel sprechen. Es ist eine ganz andere Artikulation, sul fiato (auf dem Atem), das heißt, mit einer entlasteten Stimme. So kann man bis zum Ende der Partie durchhalten und mühelos alles singen, was der Komponist geschrieben hat. Man darf nicht an der Stimmgrenze singen, weil das immer hässlich, hart, zu gleichförmig klingt. Bei Wagner gibt es sehr viel Deklamation, aber auch sie muss auf einem gesetzten, nicht auf einem geschlagenen Ton basieren.

klassik-begeistert: In „Das Rheingold“ gibt es so eine ständige Deklamation, einen endlosen Dialog…

Andrzej Dobber: Aber auch im „Tristan“, vor allem wenn ein Dirigent ihn so leitet. Ich liebe die Aufführung von Carlos Kleiber, die jemand einmal illegal in Bayreuth aufgenommen hat. Wenn man sie hört, hat man den Eindruck einer pulsierenden Unendlichkeit. Bei Kleiber ist nicht nur die Musik und die Deklamation, sondern auch das Dirigat unendlich, sogar die Pausen sind durchdirigiert. Dies ist etwas Unglaubliches, eine völlige Transzendenz, als ob jemand vor der Ouvertüre einen Atemzug genommen und eine einzige gigantische Phrase geleitet hätte.

klassik-begeistert: Während des I Baltic Opera Festivals in Sopot hat man Sie bewundert, dass Sie es geschafft haben, vor der Premiere gesund zu werden und den Holländer in der Waldoper zu singen.

Andrzej Dobber: Ich war damals nicht krank, sondern müde. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich zu der Generalprobe „nein“ gesagt, weil ich einfach Angst um meine Stimme hatte. Ich singe schon so lange und meine Stimme klingt jung, weil ich sie pflege. Während des Festivals habe ich gute zwei Wochen in Sopot verbracht. Jeden Tag fanden szenische Proben statt, bei denen man singen musste, weil Wagnergesang sich nicht so gut simulieren lässt. Außerdem mag ich es nicht, etwas mit halber Kapazität zu machen. Wenn ich sehe, dass der Chor sein Bestes gibt, tue ich das Gleiche.

Und wenn man zehn Tage lang, zweimal am Tag den Holländer singt, zusammen mit dem Orchester, kann man seine Stimme schon mal strapazieren. Während der Proben habe ich ohnehin einige Töne oktaviert, wozu ich die Erlaubnis von Maestro Janowski hatte. Aber am Tag der Generalprobe verlangte meine Stimme nach einer Pause. Also bin ich zusammen mit einem Vertreter der Festivalleitung zum Arzt gegangen. Es stellte sich heraus, dass alles in Ordnung war, nur meine Stimmbänder waren müde, verdickt. Ich wollte niemanden Probleme machen, aber als Sänger muss ich auf meinen Ruf achten. In die Waldoper kamen verschiedene Menschen, manche um die Musik zu hören, andere aus boshafter Neugier, ob ich noch fit genug für diese Partie bin. Aber ich machte mir keine Gedanken um sie, sondern nur um den Zustand meiner Stimme.

Andrzej Dobber als Holländer in der Zoppoter Waldoper (2023) © Baltic Opera Festival, Krzysztof Mystkowski KFP

klassik-begeistert: Zunächst hat es mich gestört, dass das Publikum die Aufführung mit Applaus unterbrach, weil Wagner seine Opern in einer kontinuierlichen Weise schrieb, sodass man erst am Ende klatschen sollte. Andererseits beweist eine solche Reaktion, dass die Polen Wagner nicht verteufeln und ihn gut aufnehmen können.

Andrzej Dobber: Die Polen haben einfach so reagiert, wie sie es empfanden. Es ist gut, dass sie Wagner schon anders erleben. Er hat wirklich alles in einer Abfolge geschrieben. Deshalb treten Arien, Duette und Ensembles selten getrennt auf. Es ist anders als in italienischen Opern, wo man dazwischen applaudieren kann. Bei Wagner fließt die Musik kontinuierlich. Er ging davon aus, wovon auch ich ausgehe, wenn ich Gesang unterrichte: Jeder Moment, in dem man eine schlechte Technik anwendet, stoppt die Energie des Flusses. Das Singen ist die Energie.

klassik-begeistert: In Hamburg treten Sie jetzt als Scarpia auf. Sind die Bösewichte wegen ihrer Ausdruckskraft attraktiver zu singen?

Andrzej Dobber: Ich glaube, dass man mich hier ein bisschen in eine Schublade gesteckt hat. Meine Stimme verfügt über eine gewisse Kraft, die für diese Art von Charakter angemessen ist. Die wirkliche Tragödie eines Sängers ist, wenn er oder sie ein großes Temperament hat, aber die Stimme nicht dazu passt. Dieses Missverhältnis kann sogar zur Zerstörung der Stimme führen. Wenn ich heute meine Kinder unterrichte, erkläre ich ihnen, dass man gegen die Stimme nicht kämpfen kann, weil man sowieso verlieren wird. Wir haben nur zwei kleine Stimmbänder, und wenn man sie überanstrengt, gehen sie kaputt: sie vibrieren nicht, sie gehen nicht zusammen und verlieren die Flexibilität, die man braucht, um einen schönen Klang zu erzeugen. Ich betone: schön, nicht lärmend.

Zurück auf Ihre Frage: Ich habe schon viele negative Charaktere gesungen, darunter Macbeth und den wirklich teuflischen Jago. Aber ich habe den Eindruck, dass heute junge Menschen schwierige Themen meiden, auch im Theater. Sie wollen, dass alles hübsch, einfach und unproblematisch bleibt, sie verstehen keine gewalttätigen Gefühle und empfinden Angst vor Hässlichkeit. Auf der Bühne gibt es, wie im Leben, das Schöne und das Hässliche, das Gute und das Böse, die Freude und den Schmerz nebeneinander. Die Wahrheit und Tiefe tun weh, aber alles nur auf die guten Seiten zu reduzieren, ist einfach unmöglich.

klassik-begeistert: Sie haben an vielen Opernhäusern gearbeitet. An welches haben Sie die besten Erinnerungen?

Andrzej Dobber: Ich versuche, mich nicht an Orte zu binden. Ich mag jedoch die Semperoper Dresden, wo ich 2004 zum ersten Mal aufgetreten bin, sehr gern. In Hamburg singe ich bereits die siebzehnte Saison. Fast 20 Jahre lang war ich an der Komischen Oper in Berlin engagiert. Den stressigsten Job hatte ich in Italien. Die Italiener sind freundlich zu Touristen, aber streng zu ausländischen Künstlern, die dorthin kommen, um Verdi zu singen.

klassik-begeistert: Aber dieser Stress musste doch irgendwann ein Ende haben?

Andrzej Dobber: Ja, ein bestimmtes Ereignis hat dabei geholfen, über das ich immer gerne erzähle. Im Jahr 2000 habe ich vor Riccardo Muti vorgesungen und dann unter seiner Leitung den Graf Luna in „Il Trovatore“, Boccanegra und Monterone in „Rigoletto“ aufgeführt. Dann gingen wir mit dem Ensemble von Teatro alla Scala auf Japan-Tournee, wo ich in „La forza del destino“ auftrat. Muti hörte mir die ganze Zeit zu und sagte: „Du bist Verdis italienische Stimme. Geh in die ganze Welt und singe! Ich segne dich“. Ich weiß nicht, wie sich diese Meinung über mich verbreitet hat, sie hat mir jedoch die Tür geöffnet, um die italienische Musik aufzuführen. Vorher musste ich jeden davon überzeugen, dass ich sie singen kann. Aber damals (in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre) sangen noch sehr wenige Polen im Ausland, und man engagierte sie zu den russischen, italienischen und deutschen Opern nicht gerne. Sie mussten sich erst einen Weg bahnen.

klassik-begeistert: Und jetzt blicken Sie darauf aus einer Distanz zurück?

Andrzej Dobber: Jetzt bereite ich mich langsam auf den Ruhestand vor und muss nichts mehr beweisen, weder mir noch den anderen. Ich habe schon überall gesungen, wo ich wollte und was ich wollte. Ich habe mit Top-Dirigenten zusammengearbeitet, die sich ihre Sänger selbst aussuchen, und ich betrachte das als mein größter Erfolg. Ich möchte die Bühne verlassen, wenn ich noch singen kann.

Andrzej Dobber in der Titelrolle in Alexander Borodins „Fürst Igor“ (2012) © Staatsoper Hamburg, Karl Forster

klassik-begeistert: Ich freue mich darüber, dass Sie an der Żeleński Musikhochschule des Zweiten Grades in Krakau unterrichten, an der ich selbst Gesang studiert habe. Was sind Ihre Eindrücke von der Arbeit in dieser Institution?

Andrzej Dobber: Ich unterrichte dort nun schon das dritte Jahr und mir gefällt die dortige Ordnung sehr gut. Im Sekretariat arbeiten nur fünf Personen, und alles läuft reibungslos. Das Gebäude ist gepflegt, es gibt genug Unterrichtsräume, und die Schule bietet eine Spitzenqualität der Lehre an. Sie hat den Ruf der besten Musikschule in Krakau. Es herrscht dort eine sehr angenehme Atmosphäre, sogar die Pförtner begrüßen mich immer sehr höflich.

klassik-begeistert: Was sind Ihre nächsten künstlerischen Pläne?

Andrzej Dobber: Ich werde diese Saison mit „Tosca“ in Hamburg abschließen. Demnächst steht das 40-jährige Jubiläum meiner künstlerischen Arbeit an. Ich feiere es an der Schlesischen Oper in Bytom, wo ich am 25. November 2023 die Hauptrolle in „Nabucco“ singe.
Im Februar 2024 werde ich in Poznań in „La Traviata“ und in „Rigoletto“ auftreten. Ich plane ebenso, an einer konzertanten Aufführung von „Tosca“ in der Bromberger Philharmonie teilzunehmen. Außerdem unterrichte ich Gesang, jetzt an der Żeleński Musikschule in Krakau, aber bald werde ich das auch an der Musikhochschule in Poznań tun.

Ich möchte mich auch mit der Ausbildung meines Sohnes Vincent befassen, der in Hamburg lebt und im Kinder- und Jugendchor der Hamburger Staatsoper „Alsterspatzen“ singt. Alles deutet darauf hin, dass er meinen Weg gehen wird.

klassik-begeistert: Wir danken Ihnen sehr herzlich für das Gespräch.

Jolanta Łada-Zielke, 2. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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