Günther Groissböck. Foto: © Dominik Stixenberger
Sarastro, Wassermann, Veit Pogner, Baron Ochs – wenn ich heute all diese Namen höre, steht sofort vor meinen Augen ein Sänger, der all diese Charaktere erfolgreich verkörpert: Günther Groissböck. Diesen hervorragenden österreichischen Bass muss man den Besuchern der Bayreuther und Salzburger Festspielen nicht vorstellen.
Er studierte an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, bei Robert Holl und José van Dam. Im Jahr 2002 debütierte er als einer der vier Könige in „Die Liebe der Danae“ von Strauss bei den Salzburger Festspielen. Dann arbeitete er an den Opern in Wien und anschließend in Zürich. Groissböck gastierte auf den berühmtesten Opernbühnen der Welt, wie der Metropolitan Opera, La Scala, der Bayerischen und der Berliner Staatsoper, der Opéra National de Paris, de Nederlandse Opera in Amsterdam, in Chicago, Los Angeles, San Francisco, Houston, im Teatro Real in Madrid und Teatro Liceu in Barcelona.
Zu seinem Repertoire gehören große Wagner-Rollen wie Fafner, Fasolt, Hunding, Landgraf, Pogner, König Marke, Gurnemanz und König Heinrich. Als Sarastro debütierte er 2003 in Klosterneuburg und sang diese Partie auch im Opernhaus Zürich, an der Wiener Staatsoper, im Hessischen Staatstheater Wiesbaden und bei den Salzburger Festspielen. Groissböck trat außerdem als Sparafucile in „Rigoletto“, als Orest in der „Elektra“, als Fürst Gremin und als Sekundant Saretzki in „Eugen Oniegin“ sowie als Titelheld in „Boris Godunov“, Kaspar in „Freischütz“ und Wassermann in Dvořáks „Rusalka“ auf. Nach seinem erfolgreichen Debüt als Ochs bei den Salzburger Festspielen 2014 sang Groissböck diese Partie an der Met in New York, sowie in Wien, München und Berlin. Der Künstler tritt auch in Konzerten mit großen Chor- und Orchesterwerken, wie Haydns „Schöpfung“ und „Die Jahreszeiten“, Beethovens „Missa solemnis“ und der Neunten Sinfonie, Bruckners „Te Deum“ sowie Mozarts und Verdis Requien.
Wir trafen uns zum Gespräch auf dem Grünen Hügel in Bayreuth, in der Pause zwischen dem zweiten und dritten Akt von „Tannhäuser“, in dem Günther Groissböck Landgraf Hermann verkörperte.
Interview: Jolanta Łada-Zielke
Günther, dieses Jahr singen Sie sowohl in Bayreuth als auch in München den Wassermann in „Rusalka“ von Dvořák. Wenn Sie wieder so beschäftigt sind, empfinden Sie das als eine Rückkehr zur Normalität?
Ja, es ist momentan ein Hauch von Normalität: der Puls, das Pensum, die Dichte der Vorstellungen – all das wirkt fast wie früher. Das ist zwar sehr wohltuend, aber von einer richtigen Normalität sind wir noch weit entfernt. Man schaut auf das Publikum und sieht den halbvollen Saal, alle sitzen mit den Masken da. Du spürst sowohl eine ganz andere Distanz zu den Leuten, als auch eine ganz andere Reaktion des Publikums. Ich sage es immer, der Austausch zwischen Bühne und Publikum ist sehr intensiv, obwohl das die Zuschauer oft nicht glauben. Man sieht sofort die Mimik, man fühlt oder sieht, ob etwas dem Publikum gefällt oder nicht. Und jetzt, bei diesen bedeckten Gesichtern, spürt man zwar eine gewisse Reaktion, das ist aber eine Art Sterilität.
Und eine andere Art der Energie…
Natürlich ist der Energiefluss ebenso anders. Es ist nicht dieses Geben und Zurückwerfen wie üblich. Ich vergleiche diesen Austausch mit einem Koch, der etwas mit „Sonnenenergie“ aufkocht. Du gibst den Leuten viel, bekommst etwas wieder und das „kocht“ sich gegenseitig immer wieder hoch. Momentan wird dieser Prozess ein bisschen irritiert. Es ist aber immerhin viel, viel besser als in einem leeren Opernhaus zu singen, wie wir es schon hatten. Das war für uns viel schlimmer.
Ich verfolge Ihre Karriere hier in Bayreuth, und 2013 war ich sauer, dass Sie nur die Rolle des Fasolt im „Ring“ bekommen haben. Dann habe ich mich gefreut, Sie als Veit Pogner in „Die Meistersinger“ zu sehen und letztes Jahr tat es mir leid, dass 2020 Ihr Debüt als Wotan wegen der Pandemie aufgeschoben wurde.
Zum Thema, dass ich in 2013 „nur Fasolt“ gesungen habe… das ist lustig, weil ich mich damals um Hunding beworben habe, man hat mir aber diese Partie nicht gegeben. Gleichzeitig ist aber eine Anfrage aus Salzburg gekommen, ob ich Baron Ochs im „Rosenkavalier“ singen könnte. Daraus schließe ich, dass aus jeder Enttäuschung etwas Gutes herauskommen kann. Dadurch, dass ich in Bayreuth nur den Fasolt gesungen habe, war für mich die Entscheidung leichter, einmal hier zu pausieren, um in Salzburg als Ochs zu debütieren, was karrieremäßig sehr wichtig war. Die Wege der Karriere haben eine eigene Dynamik und eigene Logik, die man erstmal nicht versteht. Sie offenbaren sich oft nach Jahren als richtig und vernünftig.
„Bayreuth ist eine Wahnsinnsidee eines Wahnsinnigen im besten Sinne des Wortes“
Kann man überhaupt diese zwei großen Opern-Festspiele – in Bayreuth und in Salzburg – vergleichen?
Das Niveau der beiden ist natürlich vergleichbar. Bayreuth ist eigentlich die „Urmutter“ aller Festivals. Es gibt kein anderes, für das ein Komponist sein Opernhaus so bauen ließ, dass es seinen Anforderungen entsprach, und er spezielle Werke dafür schrieb. Hier ist alles einzigartig. Die Salzburger Festspiele haben auch eine Geschichte, und ihre Idee ließ sich von Bayreuth inspirieren. Nach dem Ersten Weltkrieg war es wichtig, dass dieses plötzlich von allen Kronländern abgeschnittene Österreich irgendwo seine Identität wiederfindet. Durch die Gründung der Salzburger Festspiele, wobei auch Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss beteiligt waren, schufen die Österreicher ihre eigene Kulturveranstaltung. Bayreuth ist jedoch eine Wahnsinnsidee eines Wahnsinnigen im besten Sinne des Wortes. Wir versuchen noch heute dieses Ideal des großen Meisters, seine Tradition und seine Ideen fortzusetzen. Die Leute kommen hierher hauptsächlich wegen der Musik, wegen des Werkes, ansonsten möchte niemand sich auf diesen Holzstühlen stundenlang quälen. Salzburg ist vielleicht in sozialer Hinsicht wichtiger. Das ist wahrscheinlich der oberflächlichste Unterscheid zwischen den beiden Festspielen, den man spürt.
Wie ist die Stimmung unter den Künstlern? Hier in Bayreuth fühlen sich ja alle wie eine große Wagner-Familie…
Heute haben die Pandemie und die Sicherheitsmaßnahmen alles irgendwie zerstreut. Bei jeder Produktion versucht man uns alle möglichst weit voneinander zu trennen, damit bei uns keine Corona-Fälle auftreten. Was das Gemeinschaftsgefühl betrifft, sieht das sowohl in Salzburg als auch in Bayreuth nicht schlecht aus. Jedes Festival hatte immer eine besondere Art Sommercamp-Charakter, heute ist das nicht mehr der Fall. Die Stimmung unter den Kolleginnen und Kollegen ist im Prinzip ähnlich, ganz nett an beiden Orten. Es kreisen die Meinungen, dass Salzburg irgendwie abgehoben, snobistisch, asozial, und Bayreuth nur gemütlich sei. Alles hängt davon ab, mit welchen Produktionen man zu tun hat. Und jetzt gerade, wenn du mittendrin in einem schwereren Repertoire bist, triffst du immer noch die gleichen Menschen.
Sprechen wir jetzt über Ihr Regiedebüt, der Produktion „Tristan Experiment“ im Theater an der Wien. War die Idee mit Anspielungen auf die Biographie Wagners ähnlich wie hier bei den „Meistersingern“ von Kosky: Hier Richard und Cosima, und bei Ihnen Mathilde Wesendonck?
Bei mir war das völlig bewusst ohne irgendeine Inspiration gemacht. Natürlich beginnst du permanent zu kontrollieren und zu fragen: Hast du das schon irgendwo gesehen, von wem hast du das abgeschaut? Und dann kommst du sofort auf Koskys „Meistersinger“ in Bayreuth und auf Herheims „Meistersinger“ in Salzburg, beziehungsweise in Paris, die ich auch mitgemacht habe. Aber im Prinzip ist die Idee und ihre Verwandlung ganz von mir gekommen. Es geht nämlich nicht um die Geschichte von Richard und Cosima oder Richard und Mathilde, die wir schon gesehen haben. Diese Produktion erzählt von Verwandlung aus seelischer Wiedererkennung, eigentlich aus der Berührung. Es geht um die fast seelische Wiedererkennung, dieses Kundry-Element, das man irgendwo erlebt hat und jetzt sagt: Da war ich, das kenne ich schon. Das ist ein Magic-Moment, in dem sich zwei Leute treffen, die etwas gemeinsam erlebt haben und sich wiedererkennen. Und wenn du diese Geschichte mit der Musik kombinierst und das einigermaßen aufgeht, empfinde ich das als legitimen Zugang. Egal, ob die Leute das als Inspiration von anderen Produktionen sehen. Ich sage, es ist „auf meinem eigenen Mist“ gewachsen.
War das vielleicht ein Versuch, Wagner den Menschen näher zu bringen, weil „Tristan“ musikalisch nicht einfach ist?
Ich würde sagen, das war keine „missionarische“ Aufgabe, aber es hat sich etwas Schönes daraus ergeben. Viele Menschen haben mir danach gesagt, es wäre gut, wenn man mit dieser Produktion neue oder potenzielle Wagner-Junkies gewinnen würde. Erstmal haben wir durch die Striche eine Länge geschaffen, die verdaulicher, verständlicher, aber auch akzeptabler ist. In dieser komplizierten Musik gibt es eine Art bildhafter Klarheit. Vielleicht ist das für manche trotzdem verwirrend geblieben, ich habe aber nicht gehört, dass jemand nach den Vorstellungen enttäuscht oder empört nach Hause gegangen ist. Ich glaube, es ich wirklich für jeden etwas dabei gewesen. Wir hatten dadurch einen einfachen Zugang zu denen, die noch nie in der Oper waren und mit keiner solchen Musik zu tun hatten. Eine Frau, die von ihrem Mann einmal zu „Madama Butterfly“ mitgeschleppt wurde, fand das furchtbar, aber „Tristan Experiment“ hat ihr sehr gut gefallen. Es ist schön, wenn man danach so etwas hört wie zum Beispiel: „Wie toll das klingt, wie Filmmusik, und noch viel stärker“.
Ich finde es schön, dass Sie Norbert Ernst als Tristan engagiert haben, weil er in Bayreuth eine Reihe der Kinderopern mitmachte und kleine Rollen sang, während er doch über ein dramatisches Potential verfügt.
Mit Norbert bin ich schon ewig befreundet, wir kennen uns gut von der Musikuniversität, wo wir bei denselben Lehrern, zum Beispiel bei Robert Holl, studierten. Norbert trat 2013 in Bayreuth als Loge auf. Er machte immer ernsthafte und gelungene Versuche, leicht dramatische Partien wie Lohengrin zu singen. Wir wissen, wie das Operngeschäft heutzutage läuft, wie man es sich plakativ vorstellt. Norbert ist oberflächlich vielleicht nicht der erste strahlende Held, den ein durchschnittlicher Casting-Direktor sofort als Tristan oder Lohengrin besetzen würde. Aber ich weiß, dass er das singen kann, habe schon einige Ausschnitte von ihm gehört und gedacht, dass er ein perfekter Mann für diese Rolle ist. Für Isolde habe ich Kristiane Kaiser angesprochen, die ich auch von der Hochschule kenne. Sie sang schon Elisabeth und Salome. Ich hatte also die perfekten Tristan und Isolde, beide Mitglieder der Wiener Staatsoper, die schon in Bayreuth auftraten. Sogar in dem schrecklichen Corona-Zustand, während des zweiten und dritten Lockdowns, haben wir zusammen etwas Schönes gebastelt.
Welche Figur haben Sie bisher am meisten gesungen? Ich tippe auf Sarastro.
Das stimmt, wenn es um die Zahl der Vorstellungen geht, weil ich bisher etwa 130 mal Sarastro gesungen habe. In den letzten Jahren habe ich diese Rolle zur Seite gelegt. Sarastro ist für mich eine schwere Partie und ich muss dabei wirklich entspannt sein. Wenn du eine solche Rolle zu früh zu singen anfängst, ist deine Muskulatur dafür noch nicht genug entwickelt. Man kann das mit einem Pferd beim Springreiten vergleichen, das zu einer Kombination von Sprüngen ansetzt, bei der es schon mal gestolpert ist. Jetzt muss der Reiter nachdenken, mit welchem Fuß er das Pferd hinführen soll. So ist das eben, aber langsam stehe ich schon darüber. „Die Zauberflöte“ kommt wieder im Dezember in München und ich mache das mit. Wenn es um andere Partien geht, habe ich relativ oft Landgraf Herrmann in „Tannhäuser“ und den Wassermann in „Rusalka“ gesungen.
Haben Sie kein Problem mit der tschechischen Sprache?
Wenn Sie mich jetzt irgendwo auf der Autobahn zwischen Brno und Prag aussetzten und ich etwas zum Essen bekommen wollte, hätte ich mich wahrscheinlich verständigen können. Große Vorträge kann ich auf Tschechisch nicht halten, weil ich diese Sprache nicht gut genug verstehe (lacht). Die tschechische Aussprache in „Rusalka“ habe ich jedoch brav gelernt und der Endeffekt war angeblich nicht schlecht.
Möchten Sie jetzt Wotan, wie früher Sarastro, auch für einige Zeit beiseite schieben?
Die Wotan-Partie in „Die Walküre“ ist die schwerste im ganzen „Ring“. Aus der gesanglichen Sicht geht es, ich muss aber höllisch mit den Emotionen aufpassen. Diese Musik reißt mich so sehr mit, dass ich direkt mittendrin bin. Die diesjährige Produktion in Bayreuth war eine halbkonzertante Aufführung mit einer Malerei-Installation hinter uns. Ich bin eher ein „physischer“ Typ und fühle mich wohl, wenn ich über ein gewisses Bewegungsmuster mit gewissen musikalischen Phrasen zusammen verfüge. In dieser Inszenierung war alles relativ statisch.
„Ich habe einen entsprechenden Ruf und da will ich niemanden mitreinziehen“
Nehmen Sie an bestimmten Aktionen teil, um die Künstler während der Pandemie zu unterstützen?
Zu Beginn der Pandemie ging es in Österreich um die Ausfallzahlungen in Theatern und damals war ich in einigen solchen Aktionen engagiert. Jetzt bin ich ziemlich kritisch eingestellt, weil es dabei um viel Politisches und Umfassendes geht. Es ist nicht nur wichtig, dass die Künstler singen und nicht verhungern, sondern auch, dass sich etwas gesellschaftlich verbessert. Viele Künstler wollen dieses Thema nicht streifen. Jeder hat Angst, die Maßnahmen zu kritisieren, um sich nicht als politisch unkorrekt zu geben. Deshalb haben wir versucht aus diesen spezifischen künstlerischen Aktionen rauszugehen, um uns nicht im falschen Licht darzustellen. Man könnte dann dementsprechend „geprügelt“ und diffamiert werden. Ich habe einen entsprechenden Ruf und da will ich niemanden mitreinziehen. Zwar wird das sehr spannend sein, sowohl gesellschaftlich als auch in vielen anderen Bereichen, aber das ist mein eigenes Kapitel.
Sehen Sie Unterschiede in der Corona-Politik in Deutschland und in Österreich?
Man muss bei allem Irrsinn und Wahnsinn sagen: Gut, dass die Festangestellten noch irgendetwas bekommen. Sogar wir kriegen etwas von den Theatern, teilweise als Gewinn, das sind aber doch sogenannte „Ausfallzahlungen“. Der Versuch, uns nicht verhungern zu lassen, war immer gut gemeint. In anderen Ländern wie England, Italien und in Amerika ist die Lage schon heftig. Dort gibt es immer die Privilegierten, die von diesem wahnsinnigen System profitieren. Die Künstler in Österreich und in Deutschland haben dagegen viel mehr Glück.
Das Geld ist jedoch nicht alles, die Sänger brauchen einen regelmäßigen Kontakt mit dem Publikum, um sich weiterentwickeln zu können.
Das ist unglaublich dramatisch, dass ein Großteil unserer Gruppe eigentlich fast ein wirkliches Berufsverbot gehabt hat. Ja, es geht nicht nur ums Geld, sondern auch darum, dass du ein Jahr deines Lebens – im beruflichen Sinne – verloren hast. Wenn du als Künstler eine Berufung oder eine wirkliche innere Hingabe spürst, wird in einer solchen Situation deine Energiequelle geraubt. Das ist furchtbar. Infolgedessen sind viele Menschen in schwere Depressionen verfallen. Ich bin immer verblüfft und schockiert, dass so wenige Künstler den Mund aufmachen, um sich dagegen zu stellen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Ich habe dieses Interview genussvoll gelesen und mich sehr gefreut. Ich habe Herrn Groissböck sogar schon auf einem Fussballplatz, mit Blaskapelle, Wagner singen gehört.
Danke, das freut mich sehr!
Jolanta Łada-Zielke
Norbert Ernst als Tristan war wirklich hingebungsvoll, intensiv – und somit schwer beeindruckend.
Jürgen Pathy