Laila Salome Fischer © Kinga Leftska
Das Interview führten Dres. Regina und Andreas Ströbl.
Ob ganz große Oper oder sanftes Lied mit eigener Begleitung auf der Ukulele, ob barocke Pracht oder Berliner Kabarett – die Mezzosopranistin Laila Salome Fischer begeistert durch ein vielfältiges Repertoire und eine äußerst wandelbare Stimme. Dazu spielt sie mit ebensoviel Leidenschaft, wie auch Humor ihre Rollen. Wieviel „Horror“ tatsächlich in ihrer neuen CD steckt, verrät sie im Interview.
klassik-begeistert: Liebe Laila, Deine neue CD „Scenes of Horror“ mit barocken Arien aus, sagen wir mal, existentiellen Grenzsituationen wird gerade gefeiert. Du hattest unter anderem eine Besprechung im „Opernglas“, auf WDR 3 und BBC; das Kulturradio vom RBB wird sie demnächst als „Album der Woche“ vorstellen. Worin besteht denn eigentlich der titelgebende Horror?
Laila Salome Fischer: Tatsächlich gibt es die „Scenes of Horror“ nicht nur in der titelgebenden Nummer aus Händels Jephta, sondern in jedem Stück steckt Horror drin. Angefangen mit wahnhaften Nummern, wo man quasi das schlimmste herbeifantasiert oder nachvollziehbaren Horrorszenarien, die jeder persönlich erfahren hat, zum Beispiel Liebeskummer. Hinrichtungen in Arien sind Horrorszenarien, die ich niemandem wünsche, der sich diese CD anhört.
klassik-begeistert: Aber es ist natürlich artifiziell umgearbeiteter Horror, denn Horror bedeutet im Lateinischen ja einfach der Schrecken. Die Sachen klingen nicht schrecklich, abgesehen davon, dass du sowieso wunderschön klingst. Es ist doch aber Kunstmusik, also sozusagen Horror mundgerecht überarbeitet, oder?
Laila Salome Fischer: Naja, für’s barocke Ohr war es, glaube ich, teilweise schon sehr horrormäßig. Die Komponisten haben ja viel mit Dissonanzen gearbeitet und mit chromatischen Leitmotiven. Da war den barocken Hörern klar: Das ist jetzt wirklich unheimlich. Und wir müssen auf den Text hören, darin kommt der Horror auch vor.
klassik-begeistert: War denn das damalige Sensorium feiner, geschulter oder vielschichtiger ausgerichtet?
Laila Salome Fischer: Ich glaube, heute brauchen wir plumpere Effekte, da wir durch Fernsehen und Kino sehr detaillierte Schreckensszenarien serviert bekommen. In der Barockzeit hatte man weniger Mittel zur Verfügung und die Leute haben da sicher genauer hingehört. Aber Händel zum Beispiel, der sehr präsent ist auf dieser CD, ist es gelungen, dass ich mit meinem heutigen Ohr diesen Schrecken und diesen Horror sehr klar wahrnehmen kann.
klassik-begeistert: Haben die Leute damals vielleicht weniger Reize gebraucht, weil sie pralle Leben und Sterben täglich auf der Straße und zu Hause miterlebt haben?
Laila Salome Fischer: Sicher. Ich glaube, der Barock war eigentlich eine sehr dekadente Zeit, musikalisch, künstlerisch und dann gab es eine Rückbesinnung in der Klassik. Also, wenn man an Haydn oder Mozart denkt, ist so gesehen jede Händel-Oper wahnsinnig fett. Und dann ging es wieder Schritt für Schritt zurück in die Reduktion.
klassik-begeistert: Wenn wir schon beim Barock sind, können wir auch mal zu einer der bisher viel zuwenig beachteten Gestalten gehen, die zum Glück jetzt wieder mehr Aufmerksamkeit findet. Was verbindest du mit Barbara Strozzi?
Laila Salome Fischer: Eine grandiose Komponistin, die zu Unrecht für viele Jahrhunderte vergessen war!
klassik-begeistert: Es gibt ja zum Glück eine Hörbiographie vom Bayerischen Rundfunk und eine wunderbare CD [Laila Salome Fischer (Gesang), Magnus Mehl (Saxophon) und das Ensemble „Il Giratempo“, „Talkin’ about Barbara“, erschienen bei „Perfect Noise“ 2022].
Laila Salome Fischer: Da gibt es auch noch einige andere Komponistinnen aus der Zeit wie Anna Bembo oder Francesca Caccini. Das ist wirklich ganz spannend, weil im Venedig des 17. Jahrhunderts Frauen, solange sie nicht verheiratet waren, relativ viele Freiheiten hatten – im Vergleich zum restlichen Europa. Barbara Strozzi blieb ihr Leben lang unverheiratet und war in der venezianischen Gesellschaft als Komponistin wirklich anerkannt. Erst nach ihrem Tod ist sie in Vergessenheit geraten, zu Unrecht, wie ich meine. Auf unserer CD ist ja nur ein Bruchteil dessen zu hören, was sie geschaffen, da gibt es ja unzählige sakrale und weltliche Werke. Leider hat sie nie eine Oper komponiert, aber ihre Werke haben teils etwas Opernhaftes.
klassik-begeistert: Na, dann kommen wir nochmal zu dieser CD zurück. Zieht dich die Thematik „Tod und Schrecken“ irgendwie an?
Laila Salome Fischer: Ja, die hat mich schon immer fasziniert, ich habe auch einen morbiden Humor, das ist aber vielleicht auch typisch berlinerisch. Es geht mir tatsächlich um eine generelle Auseinandersetzung mit dem Tod und in der Barockoper gibt es viele solcher Szenarien, oft ist die griechische Mythologie das Fundament. Auch die Bibel hat viele Horrorszenarien zu bieten. Da gibt es zum Beispiel die namengebende „Scenes of Horror“ oder „Where shall I fly“ von Händel oder eben auch die Arie aus Ariostis „La fede ne’ tradimenti“ – das ist ja ein absolutes Horrorszenario, vor der Hinrichtung noch mal seinen Lebenspartner zu sehen und sich zu verabschieden. Es ist eigentlich eine tieftraurige und dramatische Situation, aber diese Arie ist eine der schönsten und besinnlichsten Momente auf dieser CD.
Mir war auch wichtig, die Arie aus Grauns „Montezuma“ mit reinzunehmen. Diese gesamte Szene beinhaltet die fünf Phasen der Trauer. Es fängt an mit diesem Accompagnato, das gegenüber der Arie sehr wütend klingt. Verzweiflung, Nicht-Wahrhaben-Wollen, Erschöpfung. Das schwingt da alles mit. Die Arie ist erstmal wunderschön und tieftraurig, geht dann über in die Koloraturarie, die wieder von Wut strotzt, aber auch den wiedererlangten Stolz der Titelfigur zeigt. Kurz bevor er hingerichtet wird, verabschiedet er sich von der Welt. Horror bedeutet nicht immer nur Erschrecken, Hitchcock-Geigen und Herzflimmern, sondern Horror ist manchmal auch tiefe Traurigkeit und Verzweiflung. Ich glaube, dass sich hinter jedem True Crime Podcast und jedem Horrorfilm eine Sehnsucht nach Realität, nach realitätsnaher Empfindung verbirgt.
klassik-begeistert: Das macht den Menschen ja aus. Er ist das einzige Tier, das um seine Sterblichkeit weiß, und alles Tun und Denken wird von dem Bewusstsein unserer eigenen Vergänglichkeit bestimmt. Todesangst gebiert Religion – und Kunst! Aber mal wieder zu etwas Positivem: Wir haben dich ja hier im Theater Lübeck in verschiedenen Rollen und Formaten gesehen, aber auch bei einem legendären Konzert in Berlin im September letzten Jahres. Wo siehst du deinen Schwerpunkt? Es ist ja leicht, dich nach diesen Veröffentlichungen in die barocke Ecke zu drängen, aber du kannst ja noch weit mehr als das.
Laila Salome Fischer: Na, es gibt schon Gründe, warum ich so viel Barockmusik mache. Erstmal liebe ich die Stilistik sehr und andererseits reizt es mich auch, dass es weniger Hörgewohnheiten in der Epoche gibt.
Das gibt einem als Künstler einfach mehr Freiräume, wirklich seinen eigenen Weg zu finden mit dieser Musik. Das Gleiche gilt tatsächlich für die Musik vom Anfang des 20. Jahrhunderts, die in diesen Kabaretts entstanden ist, beispielsweise Sachen von Spoliansky oder Kurt Weill, die man freier interpretieren kann. Ich bin froh, dass ich jetzt die Olga in „Eugen Onegin“ singen durfte, ich freue mich auf Donizettis Regimentstochter, die jetzt kommt und in Mozart steckt sowieso alles. Eine ganz große Liebe habe ich sowieso für’s Lied-Repertoire, um mal Schumann, Mendelssohn oder Schubert zu nennen.
klassik-begeistert: Zu dem du dich selbst mit der Ukulele begleitest – zum Weinen schön!
Laila Salome Fischer: (steckt das Kompliment mit einem Lächeln weg) Natürlich, wenn ich gerade viel Monteverdi gesungen habe und dann plötzlich eine Richard-Strauss-Oper probe, brauche ich ein paar Tage, um wieder reinzukommen, weil natürlich jeder eine andere Ästhetik beim Singen verlangt.
klassik-begeistert: Dein Engagement beim Theater Lübeck endet demnächst. Ab nächsten Herbst wirst du wieder freischaffend sein, oder? Was hast du vor?
Laila Salome Fischer: Mit Concerto Köln singe ich bei den Herrenchiemsee-Festspielen und im WDR-Rundfunkhaus ein Bach/Scheibe-Programm. Beim Schleswig-Holstein Musikfestival werde ich im August mit dem Barock-Ensemble „Il Giratempo“ auftreten, mit unserem Barbara Strozzi Programm. Beim Heinrich Schütz Musikfest werden wir unser neues Programm präsentieren, um eine andere weibliche Barockkomponistin. Außerdem werde ich endlich im Wiener Musikverein auftreten, dort geht es auch um spannende Frauenfiguren.
klassik-begeistert: Bleibst du Lübeck dann wenigstens mal für einen Gastauftritt erhalten?
Laila Salome Fischer: Ja, ich werde in der nächsten Spielzeit auch am Lübecker Theater singen, das freut mich sehr. Aber ich verrate noch nicht, was.
klassik-begeistert: Na, darauf freuen wir uns jetzt schon! Vielen Dank, Laila, und alles Gute für deine Zukunft!
Laila Salome Fischer: Ich danke euch!
Die CD „Scenes of Horror – Baroque Arias from the Shadows“, gesungen von Laila Salome Fischer und begleitet vom Ensemble „Il Giratempo“ unter Leitung des Blockflötisten und Cembalisten Max Volbers, ist beim Label „Perfect Noise“ erschienen (PN 2306) und wurde 2022 im Johann-Sebastian-Bach-Saal des Schlosses Köthen aufgenommen. Neben Stücken von Händel sind Kompositionen von Vivaldi, Graun und Ariosti zu hören.
Dass Cembalo und Bass sehr viel Klangraum gegenüber den hohen Streichern haben, verblassen angesichts der überragenden gesanglichen Leistung der Mezzosopranistin. Der hätte man in der Abmischung etwas mehr Fülle geben dürfen, aber inhaltlich bzw. von der solistischen Leistung her ist die Einspielung unbedingt hörenswert.
Laila Salome Fischer ist ungemein vielseitig, was allein schon beim Hören der vorliegenden CD eindrucksvoll offenbar wird. Den teils unterschwellig vermittelten, teils vordergründig plastischen Schreckensszenen verleiht sie stimmlich eine unmittelbare, ergreifende Gestalt. Eine Einspielung, die erneut beweist, wie man Barockmusik zu klanglich fassbarem Leben, zumal in existentiellen Grenzsituationen bringen kann.
Laila Salome Fischer und Louis Durra Clinker Lounge in der Backfabrik, Berlin, 10. September 2023