Dr. Oswald Georg Bauer, Foto: öffentliches Eigentum
Dr. Oswald Georg Bauer, ein langjähriger wissenschaftlich-künstlerischer Mitarbeiter der Bayreuther Festspielleitung, ist am 12. Dezember 2023 in seiner Heimatstadt Würzburg gestorben.
Von 1974 bis 1986 war er Assistent von Wolfgang Wagner und Leiter des Pressebüros. Er verfasste einige Bücher und Publikationen über die Geschichte der Bayreuther Festspiele, organisierte internationale Ausstellungen zu diesem Thema und hielt Vorträge in der ganzen Welt.
Jolanta Łada-Zielke führte dieses Interview im August 2005 mit Dr. Bauer an einem besonderen Ort, nämlich im Orchestergraben des Festspielhauses in Bayreuth. „Ich fühlte mich dabei wie der von Virgil durch die Unterwelt geführte Dante.“ Während ihres Gesprächs beobachteten beide die technischen Vorbereitungen für die „Lohengrin“-Vorstellung unter der Regie von Keith Warner.
Oswald Georg Bauer: Richard Wagner wollte, dass das Orchester für die Zuschauer nicht sichtbar bleibt. Das Publikum kann die Musiker, die unter der Bühne und vor der Bühne sitzen nicht sehen. Deshalb bezeichnet man das Innere des Orchestergrabens als „mystischer Abgrund“ oder, wie Richard Wagner selbst sagte, als „technisches Herz“ dieses Gebäudes.
Diesem „Herz“ verdanken wir, dass das Festspielhaus zum Leben erwacht. Ganz unten unter der Bühne stehen die Instrumente, die am meisten Lärm machen: Blechbläser, Schlagzeug und Trommel. Weiter oben befinden sich die Holzbläser und in der Mitte die Celli. Die Harfen und Kontrabässe stehen auf beiden Seiten des Orchestergrabens. Dann kommen die Streichinstrumente – die Geigen und Bratschen.
Der Dirigent sitzt ganz oben. Insgesamt spielt das gesamte Orchester auf sechs Ebenen. Der von den lautesten Instrumenten – den Blechbläsern – erzeugte Klang geht durch eine Tonblende, die der Bühnenboden bildet. Er wird von dieser Blende aufgefangen und gesammelt, dann mit dem Klang der Streicher gemischt und durch eine weitere Schallblende auf die Bühne geleitet. Der Bühnenraum ist von einem sogenannten „schwarzen Kabinett“, also von riesigen Holzwänden umgeben, die die Klänge des Orchesters reflektieren und an die Ohren des Publikums im Zuschauerraum weiterleiten. Die Klänge des Orchesters gehen also einen sehr weiten Weg, eher das Publikum sie hören kann.
klassik-begeistert: Und der Gesang?
Oswald Georg Bauer: Die Stimmen der Sänger erklingen von der Bühne direkt in den Zuschauerraum. Deshalb haben Dirigenten Probleme mit der Koordination, denn der Klang des Orchesters braucht einen längeren Weg, um das Publikum zu erreichen, als eine Singstimme. Dafür ist der Gesang jedoch sehr gut zu hören. In einem normalen Opernhaus befindet sich das Orchester normalerweise zwischen der Bühne und dem Publikum. Der Klang des Orchesters erhebt sich vor der Bühne wie eine Wand, durch die der Gesang durchbrechen muss. Hier gibt es keine Wand, sondern nur eine Art kleinen Teppich. Die Sänger singen über diesem Teppich. Das ist die Funktion des Orchestergrabens.
klassik-begeistert: Wir sehen gerade die Vorbereitungen für den „Lohengrin“. Diese Vorstellung spielt ziemlich im Dunkeln. Haben die Musiker während der Aufführung mehr Licht oder nur so viel, wie ihnen diese kleinen Lämpchen an den Pulten geben?
Oswald Georg Bauer: Sie haben nur genau so viel Licht, wie am Pult. Das Pult ist schwarz und das Notenpapier weiß, daher kann man die Noten besser sehen. Alles hier ist in Schwarz gehalten, damit möglichst wenig Licht nach oben dringt. Die einzige gut beleuchtete Stelle ist diese, wo der Dirigent sitzt, bitte kommen Sie mit… Wie Sie sehen können, steht der Dirigent im vollen Licht, so dass ihn auch die letzten Blechbläser unter der Bühne sehen können. Die Sänger sehen ihn ebenso, auch wenn sie manchmal auf einer hängenden und acht Meter hohen Bühne stehen. Der Dirigent ist also die einzige für alle sichtbare Person. Er muss jedoch alle zusammenhalten.
Im „Parsifal“ singen die Soprane im Chor zwölf Meter über der Bühne (die Inszenierung von Christoph Schlingensief 2004). Der Dirigent muss die Sänger oben und das Orchester unten „zusammenklammern“. Wir verfügen über eine Kamera, die den Dirigenten auf einen kleinen Monitor über der Bühne überträgt. Der Sänger, der mit gedrehten Kopf hinten steht, kann das Dirigat auf dem Monitor verfolgen. Daher müssen nicht alle Solisten direkt vor dem Dirigenten stehen, der Chor auch nicht. Sie stehen, wo sie wollen, und haben trotzdem Kontakt zu ihm.
klassik-begeistert: Wie hoch ist die ganze Bühne?
Oswald Georg Bauer: Der Teil der Bühne, den wir jetzt sehen, ist etwa elf bis zwölf Meter hoch. Der gesamte Turm, in dem sich die Bühne befindet, ist jedoch sechsunddreißig Meter hoch. Man baute ihn nach einem barocken technischen System, das aus einer Unterbühne, einer Oberbühne und einer Hauptbühne besteht. Was man im Zuschauerraum sehen kann, ist die Hauptbühne, die zwölf Meter hoch ist. Die Unter- und Oberbühne sind ebenfalls jeweils zwölf Meter hoch. Insgesamt ergibt das also sechsunddreißig Meter.
klassik-begeistert: Und die Bühne, die man gerade von oben herabgelassen hat? Darauf sitzt König Heinrich der Vogler mit einigen seiner Ritter im ersten Akt von „Lohengrin“.
Oswald Georg Bauer: Das ist die eigentliche Oberbühne, die man an Schnüren herunterlässt, oder nach oben hebt. Jetzt sehen Sie dort oben einen Würfel hängen, der sich während der Ouvertüre zu „Lohengrin“ herumdreht. Eine Person kann ihn bewegen.
klassik-begeistert: Wie viele Techniker arbeiten bei den Aufführungen?
Oswald Georg Bauer: Das hängt von der jeweiligen Aufführung ab. Der aktuelle „Tristan“ ist technisch nicht kompliziert, deshalb sind weniger Leute dabei. Bei „Lohengrin“ müssen es schon 80-90 Bühnenarbeiter sein.
Wir haben etwa zweihundert Techniker zur Verfügung, die in zwei Schichten arbeiten. Dieses Bühnenbild für „Lohengrin“ muss zum Beispiel unmittelbar nach der Aufführung ausgebaut werden, was bis spät in die Nacht dauert. Dann geht die Nachtschicht der Techniker nach Hause, und die nächste kommt am Morgen und baut die neuen Kulissen auf. Außerhalb der Festspielzeit beschäftigt das Theater circa 60 Angestellten. Sie koordinieren den Kartenverkauf, in den Werkstätten, oder sind in der Verwaltung beschäftigt. Während der Festspiele arbeiten hier etwa 800 Menschen. Unsere Festspiele sind ein wichtiger Arbeitgeber für die gesamte Region Oberfranken.
klassik-begeistert: Im Jahr 1876 war das Festspielhaus das einzige Gebäude, aber bald kamen neue Häuser hinzu. Wie groß ist das gesamte Theater heute?
Oswald Georg Bauer: Ich weiß es nicht genau, wie viele Quadratmeter es jetzt hat. Es ist auf jeden Fall dreimal so groß wie 1876. Der wichtigste, historische Teil des Gebäudes hat sich seither überhaupt nicht verändert.
Wir müssen uns bewusst sein, dass wir gerade jetzt auf Holz stehen. Auch im Zuschauerraum sitzt das Publikum auf Holz. Der Zuschauerraum ist ein Amphitheater, unter diesem es keinen Boden, sondern Holzbalken gibt, die ihn stützen. Die Decke ist ebenfalls aus Holz, auf Leinwand gespannt und bemalt. Wahrscheinlich haben Sie während der Aufführung bemerkt, dass der ganze Raum wie das Innere eines Cellos von der Musik vibriert. Das ist einzigartig und hat sich seit den Anfängen nicht verändert. Später baute man notwendige Gebäude dazu, also die Probebühnen, Büros, Garderoben und technische Räume. Das Hauptgebäude ist jedoch unverändert geblieben.
Bis zur Zeit Wagners baute man die Theater im Barockstil, wobei der Bühnenhintergrund aus aufgerollter Leinwand bestand. Dafür benötigte man Lagerhallen. Heute haben wir Plastikdekorationen, die echte Berge oder Bäume darstellen. Man braucht viel Platz, um all dies zu lagern. Deshalb gibt es zwischen den sechs Räumen für die Probebühnen, rund um das Hauptgebäude, die Lager, in denen die Dekorationen hergestellt und gelagert werden. Das spart eine Menge Zeit und Geld. Dank dem ist es ebenso möglich, an einem Tag etwa achtzehn Proben unter normalen Bühnenbedingungen durchzuführen, wenn auch abseits der Hauptbühne.
klassik-begeistert: Die beiden Weltkriege waren sicherlich schwierige Momente in der Geschichte des Festspielhauses?
Oswald Georg Bauer: Das Festspielhaus war während des Ersten Weltkriegs geschlossen. Während des Zweiten Weltkrieges wollte Winifred Wagner es schließen, aber Hitler erlaubte, dass es offenbleibt. Deshalb fanden hier von 1940 bis 1944 die so genannten „Kriegsfestspiele“ statt. Von 1942 bis 1943 führte man hier nur „Die Meistersinger“ auf. Das Publikum bestand hauptsächlich aus Wehrmachtsoldaten und Frauen im Hilfsdienst, die freien Eintritt erhielten. Es war also kein typisches Festspielpublikum. Aber sie waren froh, einen kleinen Abstand vom Krieg zu haben. Sie bekamen hier etwas zu essen, obwohl es unmöglich war, alle zu verpflegen.
Ich kann mir vorstellen, dass sich viele von ihnen nicht für die Oper selbst interessierten. Und was für mich absurd ist: Zwischen 1943 und 1944 präsentierte man in Bayreuth „Die Meistersinger von Nürnberg“, während das alte Nürnberg durch Bombenangriffe zerstört wurde. Ein schöner Traum wandelte sich in einen Albtraum um.
klassik-begeistert: Die Villa Wahnfried wurde ebenfalls zerbombt. Warum hat das Festspielhaus dies überstanden?
Oswald Georg Bauer: Die Wehrmacht wollte das Festspielhaus zu einer Sende-, Empfangsstation oder einem Beobachtungsposten umbauen, weil es sich an einem sehr guten Ort befand. Aber Winifred Wagner sagte, dass dies zu gefährlich sei. Wenn das Militär das Theater nutzen würde, würde es zu einem Objekt feindlicher militärischer Aktionen und zu einem leichten Ziel werden. Also verbot die damalige Festspielleiterin alles, was dem Theater schaden könnte.
1945 marschierten die Amerikaner in Bayreuth ein und richteten sofort im Festspielhaus ein Revuetheater ein, wo sie ihre Musicals inszenierten. Man ersetzte also das „richtige Programm“ für deutsche Soldaten durch ein „richtiges Programm“ für amerikanische Besatzer. Damals baute man sogar einen neuen Orchestergraben hinzu.
klassik-begeistert: Und die wichtigsten Höhepunkte in der Geschichte der Wagner-Festspiele?
Oswald Georg Bauer: Abgesehen von der Eröffnung der Festspiele im Jahr 1876 war dies sicherlich der Zeitpunkt der vollständigen Rückzahlung des Kredits, den König Ludwig II. von Bayern Wagner 1874 gewährt hatte. Der Kredit ermöglichte die Fertigstellung des Festspielhauses und die Organisation der ersten Festspiele. Nach dem Tod des Komponisten musste seine Familie den Kredit weiter zurückzahlen. Dies zog sich bis 1901 hin, als der bayerische König schon lange tot war.
In der Zwischenzeit erlangte Bayreuth um 1900 internationales Ansehen und kam in Mode. Die Musikliebhaber strömten aus der ganzen Welt zu den Festspielen. George Bernard Shaw sagte zu dieser Zeit „Bayreuth is a success“ (Bayreuth ist ein Erfolg). Diese Zeit, von 1900 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs, geht als „Belle Epoque“ in die Geschichte der Festspiele ein.
klassik-begeistert: Wir danken Ihnen sehr herzlich für das Gespräch.
Jolanta Łada-Zielke, 20. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Interview mit Andrzej Dobber, Bariton Klassik-begeistert.de, 2. November 2023
Interview mit der polnischen Sopranistin Ewa Vesin klassik-begeistert.de, 31. Oktober 2023