Historische Aufführungspraxis anders: Dirigent György Vashegyi schenkt enorme Kontraste

IV. Haydneum Festival  Haus der ungarischen Musik, Budapest, 10. November 2024

Haydneum © Pilvax Films

Verdienter Applaus im Budapester Haus der Musik. Die ungarische Pianistin Petra Somlai gestaltet Mozarts „Jeunehomme“-Klavierkonzert mit filigraner Fingerfertigkeit. Das Instrument: eine Kopie eines historischen Hammerklaviers aus 1795. Das Orfeo Orchestra unter der Leitung von György Vashegyi liefert wuchtigeren Kontrast.

IV. Haydneum Festival
Haus der ungarischen Musik, Budapest,
10. November 2024

Orfeo Orchestra

György Vashegyi, Dirigent
Petra Somlai, Klavier

von Jürgen Pathy

Man spricht Ungarisch. Eh klar, die Sprache, in der man in Budapest eben kommuniziert. Beim Konzert im Haus der ungarischen Musik, Olof-Palme-Promenade 3, sitzt eine Dolmetscherin hinter mir. Ungarisch, Englisch, Deutsch – ein Mix aus allen drei Sprachen macht sich breit. Oben, in einer Art Loge-Balkon-Mischung, rund 20 Sitzplätze, die international besetzt sind.

Kooperation zwischen Mozart und Beethoven

Bei Anna von Schadens Klavierkonzert in B-Dur, da sei der letzte Satz von Beethoven geprägt, erzählt die Dame. Der zweite Satz hingegen von Mozart. Mag sein, das Geflecht könnte sich noch viel tiefer ziehen. Der komplette zweite Satz, ein Adagio, könnte gar eine Kooperation beider sein. Orchesterstimmen von Beethoven, Klavierpart von Mozart. So luftig leicht flitzt Petra Somlai über die Klaviatur ihres Hammerklaviers. So gewichtig erhebt sich der Orchesterpart, den das Orfeo Orchestra liefert.

Von dem lässt Dirigent György Vashegyi einzelne Sätze anspielen, nimmt Platz, gibt eine kurze Einführung, bevor das Werk im Ganzen erklingt. Gemeinsam mit Petra Somlai und dem Historiker András Batta, der durch die Runde führt.

Ungarisches Haus der Musik: Moderne trifft auf Tradition

Der Ort könnte besser nicht gewählt sein. Im Eingangsbereich begrüßen Bilder von György Cziffra (1921 – 1994). Dem ungarischen Klaviervirtuosen hat man eine Sonderausstellung gewidmet. Ein Stockwerk darunter entführt eine Dauerausstellung auf über 1.000 m² durch die Musikgeschichte. Das ganze Haus dient der Musik. Ein elegant-moderner Komplex, den Architekt Sou Fujimoto gestaltet hat.

Das Haydneum selbst hat es sich zur Aufgabe gemacht, einen Teil dieser Geschichte auf die Bühne zu bringen. Ziel der staatlich geförderten Stiftung ist es, die Verdienste der alten Musik in Ungarn zu fördern. An der Spitze steht György Vashegyi, Intendant und Dirigent in einer Person. Mit viel Einsatz steht der gebürtige Ungar am Pult. Linke Hand im Dauereinsatz. „Leiser, weniger wuchtig“, könnte man das deuten. Wüsste man’s nicht besser, könnte man meinen, das Orchester spielt auf modernen Instrumenten.

Anna von Schaden. Hat Mozart von ihr geklaut?

Nur das Blech offenbart es: dieser Ton, on the edge, knapp vor dem Absturz, kann nur aus einem historischen Instrument stammen. Erfrischend wirkt das allerdings. Auch wenn Puristen dieser orchestralen Wucht mit Missgunst eingestellt sein dürften. Dieser Kontrast ist fast innovativ. Bricht mit alten Formen, liefert neue Erlebnisse. Einen unheimlich satten, vollen Klang, der die rund 400 Gäste in ihren Sesseln fesselt.

Schweigen, selbst das kleine Mädchen hält die Füße still. Streicht durch Opas Haar – schütter, grau – und versinkt in der Musik. „Ach, ich fühl’s“, die Pamina-Arie aus Mozarts „Zauberflöte“, die ist auch prädestiniert dazu. Blitzt bei Anna von Schadens Klavierkonzert in B-Dur irgendwie durch. Vielleicht nur eine Halluzination, ein Glimpse, ein Ursprung dieser fantasievollen Interpretation.

Budapest ist anders

Die zieht sich bei Mozarts „Jeunehomme“ Klavierkonzert weiter. C-Moll, das Andantino steht im Mittelpunkt. Vashögi und das Orchester: wieder schwer, blutig, fast wie eine traumatische Wunde. Erlösend der Klang des Hammerklaviers. Die Kraft eines modernen Flügels hat das natürlich nicht. Dafür die Zerbrechlichkeit, die Leichtigkeit eines Cembalos.

Dazwischen liegt auch die gesamte Klangwelt, die György Vashegyi und Petra Somlai öffnen. Mächtig, kraftvoll das Orchester, filigran der Klavierpart. War eingangs beim Haydn Klavierkonzert Nr. 11 schon so. Ein Erlebnis, ein geistreiches Einfallstor in neue Klangwelten. Dass man dazu nach Budapest muss, hätte ich als Wiener nicht gedacht.

Jürgen Pathy, 30. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

IV. Haydneum Festival Festetics Palast, Budapest, 9. November 2024

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