Mit Jacques Offenbach auf die einsame Insel in 110 Minuten

Jacques Offenbach (1819-1880), Robinson Crusoé  Komische Oper Berlin, 22. Dezember 2024

Foto © Jean-Nico Schambourg 

Die Komische Oper Berlin gibt als letzte Premiere für das Jahr 2024 eine konzertante Version der opéra-comique Robinson Crusoé“ von Jacques Offenbach zum Besten. Gespielt wird in deutscher Fassung nach der kritischen Ausgabe des Offenbach-Spezialisten Jean-Christophe Keck (OEK). Die Textpassagen sind in Berlin gestrichen, sodass die Oper nur knappe zwei Stunden dauert, die Hälfte der Zeit ihrer Uraufführung am 23. November 1867 an der Opéra-Comique in Paris.

Jacques Offenbach (1819-1880)
ROBINSON CRUSOÉ
Opéracomique in drei Akten / Libretto von Eugène Cormon und Hector-Jonathan Crémieux.

Deutsche Textfassung von Jean Abel

Musikalische Leitung  Adrien Perruchon
Szenische Einrichtung  Felix Seiler
Kostüme  Katrin Kath-Bösel                             

Komische Oper, Schillertheater, Berlin, 22. Dezember 2024

von Jean-Nico Schambourg

Nein, die kurze Aufführungszeit in Berlin ist nicht den vom Berliner Bürgermeister erlassenen Budgetkürzungen für Kulturbetriebe geschuldet!

Die Uraufführung des Werkes an der Pariser Opéra-Comique im Jahre 1867 dauerte vier Stunden. Die Länge war hauptsächlich den überlangen Sprechpassagen geschuldet. Diese Gefahr umgeht die Komische Oper Berlin, indem sie eine neue Figur ins Werk einfügt: Jacqueline Offenbach, eine verschollene, imaginäre Zwillingsschwester des Kölner Komponisten, diesem im Aussehen ganz ähnlich, dargestellt von Andreja Schneider.

Dieser Figur obliegt die Aufgabe, die Handlung voranzutreiben. Die Textpassagen sind gestrichen, Jacqueline erzählt auf sehr humorvolle Art und Weise, was zwischen den einzelnen Musikstücken passiert.

Robinson, Sohn der gutbürgerlichen Familie Crusoé aus England, will seinen Traum erfüllen und in Südamerika zu Reichtum zu gelangen, genauso wie der frühere Nachbar Jim Cocks. Auch seine geliebte Cousine Edwige kann ihn nicht davon abhalten. Der Versuch, seinen besten Freund Toby zur Mitreise zu überreden, scheitert allerdings am Widerstand dessen Freundin Suzanne, Dienstmädchen im Hause Crusoé.

Im 2. Akt finden wir Robinson auf einer Insel, wo er seit 6 Jahren lebt, nachdem sein Schiff überfallen worden war. Er lebt zusammen mit seinem jungen einheimischen Freund Freitag, den er vor den Kannibalen gerettet hat. Er erzählt dem unerfahrenen Burschen von den Frauen, vor allem von seiner geliebten Edwige, die er sehr vermisst.

Ein Boot nähert sich auf der anderen Seite der Insel. Drei Personen werden ans Land abgesetzt: Edwige, Suzanne und Toby. Sie haben sich auf die Suche nach Robinson aufgemacht. Alle drei werden von den Kannibalen gefangen genommen. Suzanne und Toby sollen verspeist werden, vorbereitet vom Koch des Stammes. Dieser ist kein anderer als Jim Cocks, der nicht zu Reichtum gekommen ist, sondern auch hier gestrandet ist. Da Cocks nur eine Person für seinen Eintopf benötigt, streiten Suzanne und Toby, wer sich opfern soll, wobei das größte Opfer ja das Überleben ohne die/den Geliebte(n) sei! Edwige ihrerseits wird von den Kannibalen als blonde Göttin verehrt und soll mit der Gottheit Saranha vermählt werden mittels Opferung auf dem Scheiterhaufen.

Alle werden durch die mutige Intervention von Freitag gerettet. Dieser bringt Edwige in die Hütte von Robinson und verliebt sich in die schlafende Frau. Robinson kommt hinzu und die beiden Geliebten fallen sich in die Arme. Das Boot, das Edwige und ihre zwei Begleiter auf der Insel ausgesetzt hatte, kommt zurück, da die Besatzung von einem Schatz gehört hat, den Robinson auf der Insel versteckt hätte. Robinson und seine Freunde locken die Besatzung auf die Insel und schleichen sich heimlich ins Boot, um heim nach Bristol zu segeln!

Dass dieses Werk nicht oft gespielt wird, entzieht sich meinem Verständnis. Schon in der Ouvertüre spürt man den berühmten musikalischen Witz und die Spritzigkeit von Offenbachs Genie. Hier treffen direkt die zwei Welten der Geschichte, das biedermeierliche Bürgertum und die exotische Wildnis musikalisch aufeinander. Das bekannteste Musikstück ist der Walzer von Edwige aus dem 2. Akt (Conduisez-moi vers celui que j’adore), eine Bravourarie, die manch berühmte Sopranistin in ihrem Repertoire hat, wie z. Bsp. Joan Sutherland, Natalie Dessay oder die dieses Jahr viel zu früh verstorbene Jodie Devos. Aus dem 2. Akt stammt auch das lustige Lied vom Eintopf, gesungen von Jim Cocks, Suzanne und Toby.

Eine Besonderheit ist die Rolle des Freitags: Um dessen jugendliche Unbekümmert- und Unerfahrenheit auszudrücken, schrieb Offenbach diese Partie als Hosenrolle. Bei der Uraufführung wurde diese gesungen von Célestine Galli-Marié, die später auch die erste Carmen von Bizet war. In Berlin gestaltet Virginie Verrez diese Rolle mit schönem lyrischen Mezzosopran.

Robinson Crusoé wird mit viel Elan und guter Höhe gesungen von Augustín Gómez. Miriam Kutrowatz meistert als Edwige bravourös die angesprochene Koloraturarie und auch den Rest ihrer Partie. Sarah Defrise und Andrew Dickinson geben das amusante und quirlige Paar Suzanne und Toby, wobei vor allem ihr Streitduett im 2. Akt hervorzuheben ist.

Christoph Späth als Jim Cocks, sowie Karolina Gumos und Tom Erik Lie als Elternpaar von Robinson vervollständigen die Besetzungsliste kompetent.

Das Orchester unter der Leitung von Adrien Perruchon spielt beschwingt und inspiriert. In seinen kurzen Interventionen als Kannibalen und Piraten weiss der Chor der Komischen Oper Berlin zu überzeugen.

Die gut durchdachten Regieanweisungen von Felix Seiler ergeben eine lebvolle Erzählung der Handlung, auch ohne Bühnenbilder. Die Kostüme von Karolina Kath-Bösel versetzen den Zuschauer in die biedermeierliche Atmosphäre des 19. Jahrhunderts.

Dank der musikalischen Genialität des Komponisten und der inspirierten Interpretation der Künstler dieses Abends erlebt das Publikum einen kurzweiligen Abend für die ganze Familie.

Gäbe es nur ein Fünkchen dieser Genialität bei den politischen Entscheidern! Für 2025 wünsche ich mir deshalb: ANSTATT BAUSTOPP, STOPP DEM KANNIBALISMUS AN KULTUR UND BILDUNG!

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