Jacques Offenbach in Paris: “Erzähl mir eine Räubergeschichte!”

Jacques Offenbach, LES BRIGANDS, Opéra bouffe in drei Akten  Paris, Palais Garnier, 21. September 2024

“Les Brigands” © Agathe Poupeney/OnP

 Der Zufall will, dass die Premiere von Jacques Offenbachs Les Brigands”  (Die Banditen), inszeniert von Barrie Kosky im Palais Barnier (ups! leset Garnier) in Paris am selben Tag stattfindet wie die Bekanntgabe der Mitglieder der neuen (von Beginn an umstrittenen) französischen Regierung. Die “Opéra bouffe” war jeher von Offenbach und seinen Librettisten als satirische Kritik an der gesellschaftlich-politischen Situation der damaligen Zeit gedacht. Kosky lässt es sich nicht nehmen, das Werk mit viel Einfallsreichtum, Esprit und Witz auf die heutigen Tage zu adaptieren.

Jacques Offenbach
LES BRIGANDS
Opéra bouffe in drei Akten (Libretto: Henri Meilhac, Ludovic Halévy)

Musikalische Leitung: Stefano Montanari
Inszenierung:  Barrie Kosky
Bühnenbild: Rufus Didwiszus
Kostüme: Victoria Behr

Paris, Palais Garnier, 21. September 2024

 von Jean Nico Schambourg

“Les brigands” wie auch manch andere “Opéra bouffe” von Jacques Offenbach geben jedem Regisseur genügend Gelegenheit, sich satirisch und sarkastisch über die aktuelle Zeit lustig zu machen.

Dazu hat Antonio Cuenca Ruiz den gesprochenen Text teilweise neu geschrieben für diese Neuinszenierung durch Barrie Kosky, der sein Metier und seinen Offenbach sehr gut kennt. Mit viel Einfallsreichtum und Witz zaubert er gute Laune auf die Bühne und in den Zuschauersaal. Es wird im Verlaufe des Abends nie langweilig, weil man andauernd durch Anspielungen an die aktuelle Politik und Gesellschaft zum Schmunzeln oder lautem Lachen angeregt wird. Manchmal geschieht dies durch nur kurze “beiläufige” Bemerkungen:

 Erzähl mir eine Räubergeschichte! – Es war einmal ein Banker, der wurde Staatspräsident! – Und weiter? – Das war’s!

Antonio, der Schatzkanzler am Hofe des Herzogs von Mantua, wird in dieser Inszenierung zur Budgetministerin, gespielt von der Schauspielerin Sandrine Sarroche. Sie hat die Staatskasse für ihre begehrlichen Bedürfnisse geleert und erklärt, dass sie nicht die Erste ist, die dies tut. Und dann folgt eine lange Auflistung der Skandale der letzten Jahrzehnte, ausgelöst von französischen MinisterInnen (hier ist gendern absolut korrekt und nötig)! Einigen wenigen Zuschauer gefiel dies offenbar nicht. Oder waren deren Buhs etwa gegen die betroffenen Politiker gerichtet? Den Monolog hat die Schauspielerin selbst verfasst.

Auch sonst gibt es manch sarkastische Bemerkungen zur aktuellen Zeit, wie zum Beispiel diejenige eines Banditen, dass es seit Ende der Olympischen Spiele kaum mehr Touristen gibt, die man ausrauben kann. Lustig die Parodie auf das Quizspiel “Wer wird Millionär” und deren beliebten französischen Quizmaster Jean-Pierre Foucault, den französischen Günther Jauch.

Der größte Kritikpunkt an dieser Inszenierung könnte sein, dass einem zum Verständnis all dieser Anspielungen die französische Gesellschaftssituation bekannt sein muss. Das kosmopolitische Publikum hat sicherlich manches Wortspiel nicht verstanden!

Nach Prinz Orlovsky in seiner Münchner Fledermaus” bringt Barrie Kosky auch diesmal eine Hauptfigur, den Bandenchef Falsacappa, als Dragqueen auf die Bühne. Es ist zu hoffen, dass er diesen Gag in seinen folgenden Arbeiten nicht andauernd wiederholt, ansonsten dieser sich zu schnell abnutzt und langweilt! Die große Räuberbande ist derweil so gemischt und farbenfreudig wie die Menschheit ist oder besser sein sollte: Hetero, Homo, Queer, Schwarz, Punk…

Applaus auf offener Szene gibt es für den Auftritt der spanischen Delegation im 2. Akt. Es ist das beeindruckendste Bild des Abends, wenn die Spanier ganz in Gold, auf Pferdchen, mit Madonnen und Jesusfigur die Bühne betreten (Kostüme: Victoria Behr / Bühnenbild: Rufus Didwiszus). In einigen Momenten fühlt man sich an Bilder der großen flämischen und holländischen Maler erinnert.

Eigentlich ist es unfair, jemanden speziell aus der Besetzung herauszuheben, da man bis in die Nebenrollen alle Figuren mit erstklassigen Sängern besetzt hat. Trotzdem seien einige Sänger besonders erwähnt.

Marcel Beekman muss als Falsacappa in dieser Deutung seine Stimme auf die Anforderungen einer Dragqueen einstellen, was ihm zwar größtenteils gut gelingt, allerdings auf Kosten des schönen Stimmklangs.

Marie Perbost ist eine quirlige Tochter Fiorella mit guter Stimmhöhe, Antoinette Dennefeld schauspielerisch und musikalisch ein ungestümer Fragoletto, Mathias Vidal ein tenoraler Macho als Herzog von Mantua. Rodolphe Briand spielt und singt Pietro als devoten Anhänger von Falsacappa. Weiterhin findet man in der Banditenbande so erfahrene Offenbach-Spezialisten wie Eric Huchet, Franck Leguérinel und manch anderen.

Philippe Talbot ist als Comte de Gloria-Cassis spanischer als alle Spanier und schmettert seine Olé in den Saal, als befände er sich in der Arena von Sevilla. Adriana Bignagni Lesca gibt mit guter Stimme die Prinzessin von Granada.

Laurent Naouri erinnert mich als trotteliger Chef der Carabinieri an den Gendarmen von Saint-Tropez, dargestellt von Louis de Funès. Der Baron von Campotasso von Yann Beuron könnte einem Mafia-Film entsprungen sein.

Der Chor der Pariser Oper, einstudiert von Ching-Lien Wu, wird von Offenbach in diesem Werk viel gefordert und leistet Großartiges. Herrlich, wie sie am Ende des ersten Aktes bei Ankunft der Carabinieri vom überschwänglichem Fortissimo-Singen zum geflüsterten Pianissimo-Sprechen wechseln.

Musikalisch wird das Ganze zusammengehalten von Stefano Montanari, der das Werk in der Neuzeit erstmals in der Version für großes Orchester (Offenbach Edition Keck) auf eine Bühne in Frankreich bringt. Offenbach hatte nach der Uraufführung 1869 am “Théâtre des Variétés” in Paris eine größere Orchestration für das Theater an der Wien erstellt. Diese wurde auch 1878 am Pariser “Théâtre de la Gaîté” übernommen. Das größere Orchester ergibt einen sonoren Klang in den Ensemblepassagen, was Montanari erlaubt, die Klangfarben des Orchesters der Pariser Oper hervor zu streichen.

Auch die Tänzer spielen wie so oft in den Inszenierungen von Kosky eine bedeutende Rolle und erledigen diese mit Bravour.

Am Ende gibt es vom Publikum viel, wenn auch keinen überschwänglich stürmischen Applaus. Nicht verschwiegen soll sein, dass das Inszenierungsteam einige Buhs erntet, die allerdings gegenüber der Zustimmung aus dem Zuschauerraum kaum ins Gewicht fallen.

Jean Nico Schambourg, 23. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Giselle (Ballett) Jean Coralli, Jules Perrot Palais Garnier, Paris, 28. Mai 2024

Richard Strauss, Salome Opéra Bastille, Paris, 28. Mai 2024

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