Wenn die Konzertdramaturgie das Publikum stört

Jakub Hrůša, Dirigent /Bomsori Kim, Violine  Isarphilharmonie München, 19. Mai 2025

Bamberger Symphoniker, Hrůsa, Bomsori – Schlussapplaus © BR-Astrid Ackermann

Bamberger Symphoniker

Jakub Hrůša / Dirigent
Bomsori Kim / Violine

Erich Korngold (1897-1957) / Violinkonzert D-Dur op. 35
Charles Ives (1874-1954) / „The Unanswered Question“
Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) / Symphonie Nr. 11 g-Moll op. 103

Isarphilharmonie München, 19. Mai 2025

von Julian Führer

Die neue Isarphilharmonie umfasst fast 2000 Plätze, die so gut wie alle besetzt waren, obendrein von einem auffallend jungen Publikum – ein schönes Zeichen bei einem Programm, das ausschließlich weniger bekannte Werke des 20. Jahrhunderts präsentierte.
Anders als in der publizierten Reihenfolge wurde zuerst „The Unanswered Question“ von Charles Ives gespielt: ruhige, freundliche Streicherlinien, ein wiederkehrendes Trompetensignal aus der Ferne und zunehmend dissonante Holzeinsätze, musikalisch bewusst „neben der Spur“ und ohne Auflösung oder Antwort. In der Isarphilharmonie waren die Streicher unsichtbar, ihre Hintergrundmusik kam – merkwürdig – aus den Lautsprechern. Da auf dem Konzertpodium nur die Holzblasinstrumente saßen, war die Atmosphäre konzentriert.

Bamberger Symphoniker, Hrůsa © BR-Astrid Ackermann

Dem nur wenige Minuten langen Stück folgte Erich Wolfgang Korngolds Violinkonzert, das der Komponist nach seiner Emigration aus Nazi-Deutschland in den USA schrieb und das nach einer Überarbeitung 1947 uraufgeführt wurde. Im Vergleich zum jungen Korngold wie in der Oper „Die tote Stadt“ ist die Musik sehr viel freudiger, die Wechsel der musikalischen Emotionen sind sehr schnell – und die technischen Ansprüche an die Solopartie sehr hoch. Bomsori Kim war flexibel bei Tempo, den Läufen, Akkorden, Pizzicati und der schnellen Abstimmung mit dem Orchester bis zur finalen Steigerung.

Korngold hat hier ein Werk komponiert, das sehr in der klassisch-romantischen Tradition steht und in drei Sätzen, schnell-langsam-schnell, der Solistin viel Raum lässt, ihre Brillanz zu demonstrieren. Gerade in den zügigeren Passagen merkte man Korngolds Qualitäten als Begleiter und gewiefter Erzeuger von musikalischen Stimmungen. Das teilweise mitreißende Konzert, das 1947 zumindest in Europa bei vielen wie aus der Zeit gefallen wirkten musste, fand viel Beifall.

Bamberger Symphoniker, Hrůsa, Bomsori © BR-Astrid Ackermann

Dmitri Schostakowitsch wird nachgesagt, er habe mal eher für sich oder für die Schublade und mal eher für die herrschende Partei geschrieben, er hätte auch nicht die Wahl gehabt. Die 11. Symphonie von 1957 ist eigentlich typisch für die permanente Gratwanderung dieses Künstlers, der seine Haltung chiffrieren musste und daher nicht immer leicht zu deuten ist. Der erste Satz gelang in München beeindruckend: Die riesige Besetzung mit nicht weniger als 32 Violinen und zehn Kontrabässen spielte in einem Pianissimo, das nur wenige Orchester und wenige Säle so überhaupt erzeugen können, ein Klang, bei dem man kaum etwas und doch alles hört. Dieser Einstieg in die zweite Hälfte des Konzerts war ein Höhepunkt des Abends.

Der zweite Satz beginnt mit sich steigernder Unruhe, die gemäß dem von Schostakowitsch gegebenen programmatischen Titel in der Niederschlagung einer Hungerdemonstration vor dem Zarenpalast im Jahr 1905 gipfelt. Die Entfesselung musikalischer Gewalten und die Brutalität, die aus dieser Musik spricht, sind auch bald 70 Jahre nach Vollendung der Komposition markerschütternd, wenn sie entsprechend dirigiert sind.

Bamberger Symphoniker, Hrůsa, Bomsori © BR-Astrid Ackermann

In München schlug Jakub Hrůša hier so schnelle Tempi an, dass es weniger ein Zusammenschießen als ein musikalisches Feuerwerk war. Vom dritten Satz „Ewiges Gedenken“ bleiben die sehr schön intonierenden Bratschen im Gedächtnis, wohingegen die großen Klangausbrüche eher verpufften – ob dies nun an der sehr trockenen und ansonsten sehr raffinierten Akustik der Isarphilharmonie, an der schlichten Größe des Saals oder am Dirigat lag, kann hier nicht entschieden werden. Das immer schleppender werdende Tempo ließ auf jeden Fall bei einigen im Publikum und im Blech die Konzentration nachlassen.

Der Schlusssatz begann fast behäbig, doch Jakub Hrůša steigerte das Tempo dann schnell (ähnlich wie Andris Nelsons) und hielt es hoch, vielleicht eine Spur zu hoch, denn viele eigentlich kostbare Momente flogen so vorüber.

Den Rhythmus des in diesem Satz zitierten Kampfliedes der Warschawjanka (immerhin ein Lied aus dem polnischen Widerstand gegen russische Unterdrückung!) ließ das Orchester unter Hrůša scharf und sehr energisch stampfen. Ein Ruhepol war das große und von Zsófia Magyar berückend schön gespielte Englischhornsolo. Am Schluss scheint Schostakowitsch mit lauten Glocken gewollt Chaos komponiert zu haben – die Glocken spielen abwechselnd Terzen von G auf H und B und deuten damit ein Schwanken zwischen Dur und Moll an, da der Grundton ansonsten G ist – die letzte Terz ist eine Mollterz.

Das Stück mündet in einer Katastrophe. Eigentlich. Doch noch in das Verhallen der Glocken kam ein süßliches G-Dur aus den Lautsprechern, und es gab noch einmal „The Unanswered Question“ als Art Überblendung. Wenn beabsichtigt war, den Eindruck von Schostakowitsch gründlich zu beseitigen, ist das gelungen. Welchen anderen Sinn dieser „Kniff“ haben könnte oder sollte – der Rezensent weiß es nicht.

Bamberger Symphoniker, Hrůsa – Schlussapplaus © BR-Astrid Ackermann

Konzertdramaturgie wird mitunter unterschätzt, dabei ist es ganz entscheidend, in welcher Reihenfolge welche Werke in Beziehung zueinander gesetzt werden. Das in München gespielte Programm war in dieser Hinsicht vielversprechend. Orchestermusik über Lautsprecher adäquat wiederzugeben, ist bislang eigentlich nie befriedigend gelungen. Manche musikalische Werke – gewiss nicht alle – sprechen für sich und lassen ein tief beeindrucktes Publikum zurück. Sie benötigen keine Verstärkung oder Überblendung.

Schostakowitsch mit Ives zu überblenden heißt, beide Komponisten zu Schöpfern von Film- und Hintergrundmusik zu degradieren. Auf Mozarts Requiem folgt auch keine „Kleine Nachtmusik“. Dieser Versuch wird hoffentlich ein Einzelfall bleiben.

Julian Führer, 21. Mai, 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Bamberger Symphoniker, Jakub Hrůša Kölner Philharmonie, 7. Februar 2025

Bamberger Symphoniker, Dirigent Jakub Hrůša Elbphilharmonie, 25. Januar 2024

WDR Sinfonieorchester, Cristian Măcelaru, Dirigent, Kim Bomsori, Violine Marlis Schaum, Moderation

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