Daniel Harding © Stephan Rabold
Musikverein Wien, Großer Saal, 14. Juni 2023
Jörg Widmann
Konzert für Viola und Orchester
Anton Bruckner
Symphonie Nr. 5 B-Dur
Webern Symphonie Orchester
Antoine Tamestit, Viola
Daniel Harding, Dirigent
von Dr. Rudolf Frühwirth
Ungewohnte, faszinierende Klänge waren im ersten Teil des Konzert des Webern Symphonie Orchesters zu hören. Das Orchester setzt sich aus Studierenden der Wiener Universität für Musik und Darstellende Kunst zusammen. Es ist nicht zu überhören, dass die Mitglieder hohes technisches Niveau und auch schon Orchestererfahrung mitbringen. Für das Konzert für Viola und Bratsche von Jörg Widmann sind sie von Daniel Harding glänzend vorbereitet worden.
Das Werk verlangt ungewöhnliche Spieltechniken nicht nur vom Solisten, sondern auch vom Orchester, noch dazu auf sonst höchst selten anzutreffenden Instrumenten. Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine Bassflöte oder eine Kontrabassklarinette auf dem Konzertpodium gesehen zu haben. Harding kennt das Werk sehr gut, schließlich war sein Orchester, das Schwedische Radiosymphonie-Orchester, eines der drei Auftraggeber der Komposition. Die jungen Musikerinnen und Musiker, mit denen er sie für das Konzert im Musikverein einstudierte, konnten im Lauf der Proben sicher viel von ihm lernen.
Antoine Tamestit, der Solist, ist der Widmungsträger der Partitur und hat in der Endphase eng mit dem Komponisten zusammengearbeitet. Widmann konnte also die Zumutungen, die er an den Solisten stellt, sozusagen „in vivo“ auf ihre Ausführbarkeit überprüfen. Tamestit ist daher zweifellos der ideale Interpret. Das Konzert ist ganz buchstäblich ein Wettstreit, ja fast ein Kampf zwischen dem Soloinstrument und dem Orchester. Der Solist beginnt am äußersten Rand der Bühne auf sein Instrument zu klopfen, setzt fort mit Schlägen auf das Griffbrett, Pizzicato mit der Griffhand und anderen unorthodoxen Spielmethoden. Die Bongos, Teil des reich besetzten Schlagwerks antworten. Der Solist holt seinen Bogen hervor und wandert nun durch das Orchester zu verschiedenen Instrumentengruppen und tritt mit ihnen in Wettstreit.
Ich habe bewusst das Wort „Bühne“ verwendet, denn im Lauf dieser Wanderung kann und muss der Solist auch schauspielerische, fast clowneske Fähigkeiten mit ins Spiel bringen und an insgesamt sechs Pulten oder „Positionen“ seine Kunst zum Besten geben. In der fünften Position wird er von einem lauten Grunzton der Kontrabasstuba aufgeschreckt und beginnt mit einer rasenden Kadenz, in der Partitur treffend mit „Toccata, feroce“ bezeichnet. Den Abschluss dieser Position bildet ein durchdringender Schrei des Solisten, vom Orchester beantwortet mit einer ebenso durchdringenden Klangballung. Dann beruhigt sich die Szenerie, und der Solist beginnt an der letzten Position, nahe am Dirigentenpult, eine sehnsüchtige Melodie, die mich lebhaft an die wundervollen Kantilenen von Alban Berg erinnert. Schließlich verklingt sie ganz sanft, während der Solist die C-Saite bis zum Verstummen hinunterstimmt. Tosender Applaus dankt dem Solisten, dem Orchester und dem Dirigenten gleichermaßen für ein höchst unkonventionelles und bewegendes Klangerlebnis.
Nach der Pause musste das Orchester beweisen, dass seine Kräfte auch für ein Riesenwerk wie die fünfte Symphonie von Anton Bruckner ausreichen. Der Beweis ist in meinen Augen – oder besser gesagt Ohren? – fast vollständig gelungen. Das Blech, das ja gerade in der „Fünften“ eine ganz wichtige Rolle spielt, war glänzend disponiert. Die zahlreichen heiklen, exponierten Hornsoli waren sehr schön geblasen, mit dem typischen weichen, warmen Ton des Wiener Horns. Auch an den Streichern und Holzbläsern war nichts auszusetzen. Lediglich die Solooboe fand zu Beginn des 2. Satzes nicht den idealen ausgeglichenen Ton.
Daniel Harding leitete das Orchester mit klarer Zeichengebung sicher durch die schwierigsten Stellen des Werks. Die dichte kontrapunktische Stimmführung im 4. Satz ist eine Herausforderung für das Orchester wie auch für den Zuhörer, der versucht, die Themen und ihre Kombinationen zu verfolgen. An manchen Stellen schien mir der vorwärtstreibende Impuls zu erlahmen. Die finale Schlusssteigerung mit dem Choralthema im doppelten Zeitmaß setzte schließlich einen überwältigenden Schlusspunkt. Reicher Beifall lohnte dem Orchester und dem Dirigenten.
Dr. Rudolf Frühwirth, 21. Juni 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Gesellschaft der Musikfreunde – Meisterinterpreten Musikverein Wien, Großer Saal, 5. Mai 2023