Foto: Brescia e Amisano (c) Teatro alla Scala
Seit einem halben Jahrhundert gehört der ungarische Dirigent Ádám Fischer zur Weltspitze seines Fachs. Mit seinen gefeierten Opern- wie Konzertdirigaten war er bereits an allen wichtigen Häusern der Welt zu Gast, darunter bei den Bayreuther Festspielen, an der Mailänder Scala und an der Wiener Staatsoper, wo er seit 2017 Ehrenmitglied ist. Im zweiten Teil unseres Interviews spricht er über die Wiener Art zu musizieren und seinen Blick vom Dirigentenpult auf die Klassikwelt. Auch für die Zukunft des Opernbetriebs findet er klare Worte.
Johannes Karl Fischer im Interview mit Ádám Fischer – Teil 2
klassik-begeistert: Herr Fischer, Sie arbeiten mit sehr vielen Orchestern zusammen, wenn ich mir Ihren Spielplan so angucke. Was ist das Besondere an der Zusammenarbeit mit dem Hamburger Staatsorchester oder generell mit einem speziellen Orchester?
Ádám Fischer: Jedes Orchester ist schon ein bisschen anders. Aber zu neunzig oder zu fünfundachtzig Prozent reagieren Musiker eigentlich überall gleich. Es kommt darauf an, dass ich dann eben den individuellen Unterschied spüre. Wenn in einem Orchester – ganz exemplarisch gesagt — der Flötist eine größere Persönlichkeit ist als der Klarinettist oder anderswo halt umgekehrt, dann ist es meine Aufgabe, denen ein bisschen die richtige Aufgabe zu geben. Es gibt auch hier im Orchester immer sehr interessante musikalische Ideen. Ich versuche immer, dort, wo es notwendig ist, vorzuschreiben und dort, wo es möglich ist, frei musizieren lassen. Das ist leichter gesagt als getan, aber das ist meine Aufgabe.
klassik-begeistert: Ist das für Sie anders, wenn Sie hier in Hamburg aufs Pult steigen als zum Beispiel in Wien?
Ádám Fischer: Ja, sicherlich, hier ist die Einstellung vielleicht ein bisschen strenger. Es dauert hier ein bisschen, bis ich den Musikern erklärt habe, dass nicht alles ganz hundertprozentig genau gespielt werden soll. Es gibt so eine Mundart beim Musizieren und da soll man manches auch ein bisschen „schlampig“ spielen. Das traut man sich hier weniger, aber wenn ich sie ermuntere, dann machen sie das auch sofort mit. Wien ist anders sozialisiert, in dem ganzen System gibt es jeden Abend eine andere Oper und viel weniger Proben. Da sind die Musiker so sozialisiert, dass sie improvisieren können und auch müssen und dadurch entsteht eine andere Spielart. Da kann man dann mehr improvisieren, dafür ist es schwieriger, von dem gewöhnlichen abzuweichen als anderswo.
klassik-begeistert: Sie blicken auf eine Karriere zurück, die seit einem halben Jahrhundert läuft…
Ádám Fischer: Da muss ich mal nachgucken, Moment… mein erstes Konzert…doch, 1973 habe ich diesen Dirigentenwettbewerb gewonnen, das ist schon über 50 Jahre her.
klassik-begeistert: Das ist auf jeden Fall schon sehr lange her. Gibt es für Sie – gerade, was die Zusammenarbeit mit den Orchestern angeht — einen besonders erinnernswerten Moment in Ihrer Karriere?
Ádám Fischer: Ich habe schon viele schöne Augenblicke gehabt. Das ist ungefähr so, wie ich auch keinen Unterschied zwischen meinen Enkelkindern mache, die sind alle unterschiedlich und ich kann nicht sagen, welches mein Lieblingsenkelkind ist.
Aber damals in Wien, wie ich meinen ersten Fidelio dirigiert habe, da hatte ich eine Riesenangst, bevor ich angefangen hatte. Und ab dem ersten Takt habe ich sofort gespürt, die wollen dasselbe wie ich. Die musikalischen Ideen müssen stimmen, und das habe ich in Wien damals schon gespürt, weil ich auch mit den Wiener Musikern zusammen studiert habe. Dadurch entsteht ein gemeinsamer Geschmack, die lassen dort die Musik anschwellen, wo ich das auch schön finde oder beschleunigen dort, wo ich das auch will. Das war zum Beispiel eine wunderbare Aufführung. Und dann natürlich mein Debüt mit Otello, das war ein Tag bevor mein Sohn geboren wurde. Da hatte ich ganz vergessen, dass ich unter Umständen sofort aus dem Graben ins Spital hätte rennen müssten, das ist wirklich nicht so alltäglich.
klassik-begeistert: Ja, das ist wirklich sehr besonders. Aber in diesen 50 Jahren hat sich ja auch die Opernwelt sehr viel verändert. Meine Eltern haben in Wien teilweise noch vor der Stehplatzkassa übernachtet, um ins Opernhaus zu kommen, sowas gibt’s heute alles nicht mehr. Wie nehmen Sie diese Veränderungen in der Musikwelt vom Dirigentenpult aus wahr?
Ádám Fischer: Naja, da ist es wieder mal ein Luxus, dass ich quasi qua Amtes dem Publikum die kalte Schulter zeigen kann, weil die halt hinter mir sitzen. Während der Pandemiezeit musste ich Konzerte ohne Publikum machen. Mich hat das überhaupt nicht gestört, weil ich das einfach gar nicht gespürt habe, dass hinter mir niemand sitzt. Aber die Musiker haben das ganz anders gesehen, sie hat das sehr gestört, vor leerem Saal zu spielen. Und da habe ich gemerkt, wie einmalig das ist Dirigent zu sein.
Ich musiziere einfach nicht anders, wenn ich vor zehn oder hundert oder tausend Leuten musiziere. Ein bisschen nehme ich die Stimmung natürlich schon wahr, zum Beispiel, wenn ein Publikum anfängt, sich zu langweilen. Weil das ist nämlich einen Alarmruf für uns alle, dass wir was machen müssen. Aber zu achtzig bis neunzig Prozent musizieren wir unabhängig davon, was hinter uns passiert.
klassik-begeistert: Was würden Sie aus Ihren Erfahrungen der letzten 50 Jahre einem heute angehenden Dirigenten oder einer angehenden Dirigentin raten?
Ádám Fischer: Das sollte ich vielleicht gar nicht verraten, weil ich da ziemlich pessimistisch bin. Weil die heute angehenden Dirigenten können nämlich nicht davon ausgehen, dass das Musikgeschäft in den nächsten 50 Jahre so bleiben wird wie heute. Ich kann ihnen nur sagen, dass die Konzertprogramme vor 50 Jahren zu achtzig Prozent dieselben waren wie heute. So nach dem Motto: Eine Egmont-Ouvertüre als Eröffnungsstück, dann vielleicht das Beethoven-Violinkonzert und nach der Pause Tschaikowsky 5, das war damals genauso wie heute. Aber das wird in den nächsten 50 Jahren nicht so bleiben.
klassik-begeistert: Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern, um die Zukunft der Klassik zu sichern?
Ádám Fischer: Man müsste das Repertoire erweitern und neues entdecken. Es wird auch in Zukunft sicherlich Leute geben, die genauso in die Zauberflöte gehen wie heute, aber halt weniger. Ob dann der ganze Opern- und Orchesterbetrieb so erhalten bleiben kann, das ist dann die große Frage.
Aber auf jeden Fall sollte man mit Überzeugung Musik machen und seine Freude an der Musik zeigen. Wenn man sich nicht freut über die Musik, kann man nicht erwarten, dass sich das Publikum auch freut. Das ist das Einzige, was wir machen können, das Publikum mitreißen. Manchmal gelingt das, manchmal aber auch nicht.
klassik-begeistert: Sie haben 2011 eine Petition gegen die ungarische Kulturpolitik ins Leben gerufen. Was hat sich seit der Zeit in der ungarischen Kulturszene getan?
Ádám Fischer: Naja, ich musste mich auch selbst ein bisschen aus der ungarischen Kulturszene zurückziehen, ich bin da nicht mehr Generalmusikdirektor [Anm.: An der Ungarischen Staatsoper]. Ob es seitdem besser geworden ist oder nicht, will ich auch gar nicht beurteilen. Aber Ungarn hatte auf jeden Fall nie diesen Wechselbetrieb zischen den verschiedenen Parteien und jetzt ist es eine Art Einparteiensystem. Ich habe mich auch ein bisschen zurückgezogen, bin aber sehr froh, dass ich mein Wagner-Festival da in dieser Form machen kann. Im Augenblick wird das dort noch erwünscht. Ich mache das einfach, solange man mich da haben möchte. Aber ich möchte keine Verantwortung für das ungarische Musikleben übernehmen.
klassik-begeistert: Das kann ich gut verstehen. Ihr Ko-Unterzeichner, Sir András Schiff…
Ádám Fischer:…er spielt gar nicht mehr in Ungarn. Ich kenne ihn sehr gut, wir sind zusammen zur Schule gegangen. Es mag vielleicht ein bisschen übertrieben sein, war er macht, aber er hat recht.
klassik-begeistert: Ich kann Ihre beiden Ansätze gut nachvollziehen und bin froh, dass Sie das weiter machen…
Ádám Fischer: Naja, wir Ungarn sind einfach nicht wirklich loszulösen von der Sprache, der Küche, da kann man machen, was man will. Mein Teil bestand schon immer daraus, dass ich dafür gesorgt habe, dass die nächsten und die übernächsten Generationen nicht mehr an Ungarn gebunden sind wie ich.
klassik-begeistert: Die Preisfrage natürlich: Werden wir solches Engagement auch nach der nächsten Landtagswahl in Sachsen brauchen?
Ádám Fischer: Was nach der Wahl sein wird, kann man vor der Wahl sowieso nicht sagen. Es ist sicherlich ein bisschen unglücklich gelaufen. Als ich angefangen habe, sind die jungen Leute zu den Grünen gegangen, in den 1968er-Jahren, einfach um zu protestieren. Die Politiker heute müssen sich wirklich Gedanken machen, dass man diese Protestwähler nicht der AfD überlässt.
klassik-begeistert: Vielen Dank für das Gespräch!
Johannes Karl Fischer, 27. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Interview: Johannes Karl Fischer im Interview mit Ádám Fischer klassik-begeistert.de, 25. April 2024
Richard Strauss, Der Rosenkavalier, Adam Fischer, Krassimira Stoyanova, Wiener Staatsoper