John Neumeiers Ballett Romeo und Julia ist unvergänglich

John Neumeiers Ballett Romeo und Julia  49. Hamburger-Ballett-Tage, Ballett Hamburg, 3. Juli 2024

Artem Prokopchuk (Tybalt), Azul Ardizzone (Julia), Louis Musin (Romeo) und Alessandro Frola (Mercutio) (Foto: RW)

Und sie tanzten mit solcher Energie, Spielfreude und Überzeugungskraft, dass man meinen könnte, so gut hätte man dieses Ballett noch nie gesehen. So sollten gute Aufführungen sein: Die Vergangenheit und auch kleine Fehler verblassen angesichts solch einer hinreißenden, aus dem Feuer der Jugend schöpfenden und das Publikum emotional ergreifenden Darbietung.

49. Hamburger Ballett-Tage

Romeo und Julia, Ballett von John Neumeier
Musik: Sergej Prokofjew

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg,
Leitung: Simon Hewett

Bühnenbild und Kostüme: Jürgen Rose

195. Vorstellung seit der Hamburger Premiere am 6. Januar 1974

Hamburg Ballett,  3. Juli 2024


von Dr. Ralf Wegner

Es gibt Stücke, die könnte man jedes Jahr wieder sehen und erneut darüber berichten. Dazu gehört John Neumeiers nunmehr seit mehr als einem halben Jahrhundert (Uraufführung 1971 in Frankfurt) immer wieder aufgeführte Ballett-Version von Romeo und Julia nach der Komposition von Prokofjew.
Sie scheint mir technisch zwar etwas weniger hochgesteckt als jene 9 Jahre ältere Version von John Cranko (1962), ist aber für mich in sich schlüssiger und überzeugender erzählt. Vor allem ist sie geeignet, von jungen Tänzerinnen und Tänzern auf die Bühne gebracht zu werden, die vielleicht noch nicht über die bei Cranko zum Gelingen erforderliche technische Perfektion verfügen, aber mit jugendlicher Begeisterungsfähigkeit und persönlicher Ausdruckskraft das Publikum faszinieren können.

Wie fällt dagegen eine Aufführung mit einem arrivierten Tanzstar wie Margot Fonteyn (1919 geboren, mit dem zwei Jahrzehnte jüngeren Rudolf Nurejew, Choreographie Kenneth MacMillan, 1965) ab.

Noch erschöpft von der Anstrengung: Azul Ardizzone und Louis Musin (Foto: RW)

Auch Neumeier hat seine arrivierten, bereits lange mit schwierigeren Rollen betrauten Stars immer noch die Julia tanzen lassen, so 2015 Alina Cojocaru (geboren 1981) oder 2016 Hélène Bouchet (1980). Beiden merkte man die Lebenserfahrung aus früheren Rollen an. Sie lebten die aufblühende Sehnsucht der 14-jährigen Julia nicht mehr, sie spielten deren Gefühle; wie eine noch junge Mutter meint, sich in die Empfindungen ihrer dem Schulalter noch nicht entwachsenen Tochter hineinversetzen zu können.

John Neumeier hat deshalb auch immer wieder auf junge Talente seiner Truppe zurückgegriffen, so 2006 auf die Ballettschülerin Fee Lichtenberg mit dem damals erst 17-jährigen Alexandr Trusch als Romeo oder 2015 auf die 19-jährige Emilie Mazon und den 23-jährigen Jacopo Bellussi. Bei seiner letzten Wiederaufnahme des Shakespeare-Dramas im Jahre 2023 hat er mit der damals 15-jährigen Ballettschülerin Azul Ardizzone sowie dem 21-jährigen Louis Musin einen sinnlichen Volltreffer gelandet; und auch die anderen Rollen weitgehend mit jungen Ensemblemitgliedern besetzt.

Diese Tradition führte Neumeier bei den jetzigen Ballett-Tagen fort. Die Hauptpartien waren wieder mit Louis Musin (22, Romeo), Azul Ardizzone (17, Julia), Alessandro Frola (23, Mercutio), Artem Prokopchuk (26, Tybalt) und Francesco Cortese (21, Benvolio) besetzt. Und sie tanzten mit solcher Energie, Spielfreude und Überzeugungskraft, dass man meinen könnte, so gut hätte man dieses Ballett noch nie gesehen. So sollten gute Aufführungen sein: Die Vergangenheit und auch kleine Fehler verblassen angesichts solch einer hinreißenden, aus dem Feuer der Jugend schöpfenden und das Publikum emotional ergreifenden Darbietung.

John Neumeier vor dem Vorhang (Foto: RW)

Auch die Nebenpartien waren herausragend besetzt. Allein wie Ida Stempelmann der sehr kurzen Partie von Bianca, Hure in Mantua, trotz ihrer sozial desolaten Lage mit innerer Würde Gewicht verlieh, war erinnerungswürdig. Niurka Moredo überzeugte erneut als treue, aber auch mit Julia mitleidende und am Ende verzweifelte Amme. Und Yun-Su Park erhielt kurz vor ihrem Ausscheiden beim Hamburg Ballett noch einmal die Gelegenheit, tief aufgewühlt mit weit ausgreifenden Armbewegungen um den geliebten Tybalt zu trauern. Warum allerdings Bruder Lorenzo so jung mit dem 24-jährigen Lennard Giesenberg, und dazu noch mit schulterfreier Kutte besetzt wurde, erschließt sich mir von der Handlung her nicht. Es sei denn, Neumeier nimmt die von Lorenzo vermittelte Trauung von Romeo und Julia als Farce, an der auch Julias Amme beteiligt ist.

Der Schlussbeifall war angesichts der Leistungen des Ballett-Meisters John Neumeier, des Bühnenbildners und Kostümdesigners Jürgen Rose sowie der großartigen Tänzerinnen und Tänzer des Hamburg Balletts überwältigend, jubelnd und langandauernd.

Wohl mehr als ein Dutzend Blumensträuße flogen am Ende auf die Bühne. Im Mai und Juni nächsten Jahres wird das Ballett in Neumeiers Version wieder aufgenommen. Trotz insgesamt 8 Vorstellungen werden wohl nicht alle Kartenwünsche erfüllbar sein.

Dr. Ralf Wegner, 4. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Romeo und Julia, Ballett, John Neumeier Hamburg Ballett,  Staatsoper Hamburg, 9. November 2023

Romeo und Julia, Choreographie und Inszenierung von John Neumeier Staatsoper Hamburg, Wiederaufnahme am 11. Juni 2023

Romeo und Julia Ballett von Jean-Christophe Maillot, Musik von Sergej Prokofjew Ballett Dortmund, Theater Dortmund, 20. November 2022

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