Foto: Harald Hoffmann (c) Sony Music Entertainment
Waldbühne Berlin, 13. Juli 2018
von Ursula Wiegand (onlinemerker.com)
Jonas Kaufmann liebt nach eigenen Worten Italien in allen seinen Facetten. Genau so singt er in der Waldbühne und macht den Abend zum Ereignis. Open Air stellt aus technischen Gründen die Ohren nicht immer zufrieden, doch diesmal ist alles gut ausgesteuert. So jedenfalls mein Eindruck in Block C.
Insgesamt wird dieser Freitag, der 13. (!), zu einem Glückstag. Der angekündigte Regen bleibt aus, und wir erleben eine Super-Performance mit einem topfitten Jonas Kaufmann, der mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) unter der Leitung von Jochen Rieder exzellente Musiker an seiner Seite weiß. Schon die Ouvertüre zu Verdis „I vespri siciliani“ zeigt deutlich, dass das RSB ebenfalls einen Nerv fürs Italienische hat.
Kaufmann besitzt den inzwischen sowieso und begeistert sogleich mit seiner ersten Arie „Cielo e mar“ aus „La Gioconda“, um danach Anita Rachvelishvili auf die Bühne zu bitten, von ihm schon vor Tagen als „Überraschungsgast“ angekündigt.
Der weltweit gefragten Mezzosopranistin, die von vor rd. 10 Jahren von Daniel Barenboim entdeckt wurde – und durch ihre „Carmen“-Interpretation an der Met und den wichtigsten Bühnen Furore machte – wird zurecht eine Stimme wie ein Vulkan bescheinigt. Dass ihr auch lyrisch zarte Töne zur Verfügung stehen, erweist sich in der Romanze der Santuzza „Voi lo sapete, o mamma“ aus Pietro Mascagnis Verismo-Oper „Cavalleria rusticana“.
Kann ihr Jonas Kaufmann, der in hohen Lagen gerne zarte Piani singt, mit gleicher Kraft begegnen? Der Test ist sogleich das Duett der Santuzza mit dem ungetreuen Turrido. Da prallen Vorwürfe und Gegenrede hart aufeinander, da helfen ihr auch keine Schmeicheleien, um den Ex-Geliebten wiederzugewinnen.
Der – Kaufmann – wiegelt trotzig ab, bleibt mit Power-Tenor hart, denn er liebt inzwischen eine andere. Großartig dieses Gegen- und Miteinander zweier Stars. Dass beide die Auseinandersetzung auch spielen, ist ein weiteres Plus. Diese „Szenen einer Nichtehe“ verstehen nun auch diejenigen, die diese Oper nicht kennen. Der Applaus ist heftig.
Danach wäre eigentlich schon Pause, doch dunkle Wolken dräuen. Kaufmann schlägt vor, erstmal weiterzumachen und dann zu pausieren, wenn es zu regnen beginnt. Jochen Rieder, total überrascht, muss erstmal die Noten herbeiholen.
Wie schön, keine Unterbrechung als Stimmungstöter! Und da offenbar sogar die Regenfront innehält, um Kaufmanns großartigen Gesang zu genießen, gibt es per saldo gar keine Pause. Kaufmann, der den größten Teil des Programms bestreitet singt per saldo voller Elan etwa 2 ½ Stunden.
Leider geht es jetzt anstelle von Opernarien mit leichterer Muse weiter. Kaufmann, nun im weißen T-Shirt (unterm Sakko) singt italienische Canzonen, sprich populäre Chansons, wie sie auch auf Kaufmanns CD „Dolce Vita“ versammelt sind. Er befindet sich damit allerdings in bester Gesellschaft, hat doch auch Pavarotti solch volkstümliche Lieder gesungen.
Eigentlich ist seine schöne Stimme fast zu schade für solche Leichtgewichte, doch er bietet alles mit soviel Charme und solcher Tonschönheit und Delikatesse, dass alle davon mehr und mehr begeistert sind. Natürlich spürt er, wie gut das ankommt und hört die Bravos. Bei Leoncavallos „Mainata“ geht die Stimmung in die Höhe, um beim Reißer „Torna a Surriento“ von Ernesto de Curtis noch weiter zu klettern.
Die sechs Zugaben gefallen offenkundig besonders. Die sind angenehm unterschiedlich, und Kaufmann gestaltet sie alle wie kleine Preziosen. Das junge Publikum unter den rd. 18.000 Menschen in der Waldbühne kreischt schließlich vor Begeisterung. Kaufmann strahlt und wird immer mutiger. Wie Raketen steigen die Spitzentöne in den Nachthimmel.
Den „Knaller“ bietet er zusammen mit Anita Rachvelishvili: „Volare, cantare oh oh oh“. Da heben viele ab und singen (auch die Rezensentin) lustig mit. Arena di Verona Feeling in der Berliner Waldbühne und brausender, lang anhaltender Beifall.
Ursula Wiegand
Wie schön… Als ob man tatsächlich da wäre und es auch den Leser vom Stuhl reißen würde. So macht man „ernste“ Musik jungen Menschen schmackhaft. Danke.
Teresa Grodzinska