Tango und Kulinarik in den Tiefen des Wiener Musikvereins

Julia Stemberger, Tango de Salòn,  Musikverein Wien, Gläserner Saal

Julia Stemberger © Mischa Nawrata
Musikverein Wien, Gläserner Saal,
29. Januar 2018

Julia Stemberger (Rezitation)
Tango de Salòn :
Peter Gillmayr, Violine
Andrej Serkov, Bajan
Guntram Zauner, Gitarre
Roland Wiesinger, Kontrabass

von Charles Ritterband

Eine originelle Formel, die da am Montag im Gläsernen Saal tief unter dem weltberühmten Goldenen Saal des Wiener Musikvereins einem durchaus amüsierten Publikum präsentiert wurde: Das österreichisch-ukrainische Tango-Ensemble „Tango de Salòn“ intonierte Tangos von Astor Piazzolla bis Kurt Weill, dazwischen las die bekannte und mehrfach ausgezeichnete Wiener Schauspielerin Julia Stemberger mit viel Charme und gehöriger Ironie Textpassagen: Allesamt Texte, die sich auf humorvoll-pointierte Weise mit Kulinarik und deren Exzessen und oft skurrilen Anwendung im Alltag befassten – vom englischen Schriftsteller Julian Barnes (alias Dan Kavanagh) bis zur chilenisch-amerikanischen Autorin und Journalistin Isabel Allende.

Die Lesung war unterhaltsam, die Musikstücke wurden von den drei österreichischen und dem ukrainischen Interpreten mit viel Verve und Engagement interpretiert. Das Publikum quittierte das Gebotene zwar mit Applaus und Lachern (besonders wenn Alkohol im Spiel war oder in den gelesenen Texten kulinarische Verführungskünste angesprochen wurden) – aber so ganz glücklich wurde der Rezensent nicht mit diesem Abend im musikalischen Untergrund. Eine Lesung über kulinarische Themen hätte man sich eher im Hinterzimmer eines Gasthauses oder Cafés vorstellen können, nicht aber in der ultramodernen High-Tech-Design-Atmosphäre des „Gläsernen Saales“.

Und der Tango Argentino, den der Schreibende in seinen Jahren als Korrespondent in Buenos Aires unzählige Male authentisch und sinnlich miterleben durfte, war zwar hübsch interpretiert, hatte aber hier unten kaum das Verworfen-Laszive, das Faszinierend-Mitreißende, das doch untrennbar mit der Geschichte des Tango verbunden ist. Das Gebotene ließ einen eher kalt, sofern man nicht über die oft voraussehbaren Witze in den Texten lachen mochte.

Was gar nicht einleuchtete, war die etwas willkürliche Kombination von Text und Musik. Der gemeinsame Nenner zwischen Kochkunst und Tango ist wohl Sinnlichkeit und Verführung. Mag sein. Aber eine bessere Idee wäre es wohl gewesen, zwischen den Musikstücken Gedichte und Geschichten im Zusammenhang mit Tango zu lesen. Die Texte der meisten Tangos sind von höchster Qualität – und dem europäischen Publikum wenig bekannt. Diese Kombination wäre spannend und sinnvoll gewesen – eine verpasste Chance.

Apropos: Verpasst wurde hier auch die Chance, einige Beispiele des hierzulande fast völlig unbekannten finnischen Tangos zu präsentieren, den beispielsweise der namhafte finnische Filmregisseur Aki Kaurismäki gerne als Musik zu seinen Filmen verwendet. Der Finnische Tango ähnelt zwar dem Argentinischen Tango der 1930er-Jahre, ist allerdings häufig in Moll statt in Dur komponiert und hat in der Regel absteigende und nicht aufsteigende Melodien.

Der Journalist Dr. Charles E. Ritterband schreibt exklusiv für klassik-begeistert.at. Er war für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) Korrespondent in Jerusalem, London, Washington D.C. und Buenos Aires. Der gebürtige Schweizer lebt seit 2001 in Wien und war dort 12 Jahre lang Korrespondent für Österreich und Ungarn. Ritterband geht mit seinem Pudel Nando für die TV-Sendung „Des Pudels Kern“ auf dem Kultursender ORF III den Wiener Eigenheiten auf den Grund.

Ein Gedanke zu „Julia Stemberger, Tango de Salòn,
Musikverein Wien, Gläserner Saal“

  1. Sehr geehrter Herr Schmidt!
    Der sehr persönlichen Kritik des Herrn Ritterband, welche mehr ein Vorschlag für das nächste Programm im Gläsernen Saal des Musikvereins ist, möchte ich bescheiden und doch mit viel Herzblut widersprechen. Kann es sein, dass der Kritiker vielleicht gar nicht wusste, was ihn an diesem Abend geboten wird?
    Prinzipiell möchte ich festhalten, dass das Genre Unterhaltung bitte nicht immer gleich als schenkelklopfende Gaudi ins Hinterzimmer eines Gasthofes zu verbannen ist!
    Ich habe (als Wienerin) diesen Abend sehr genossen, und die hingebungsvolle manchmal prickelnde Rezitation von Frau Stemberger hat mich begeistert und mir einen launigen, heiteren und beschwingten Abend geschenkt.
    Liebe Grüße
    Regina Teuscher

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