Die zwei besten Orchester der Welt brillieren gemeinsam in Hamburgs Elphi

Kammerorchester Wien-Berlin, Rainer Honeck, David Fray  Elbphilharmonie Hamburg, 2. Oktober 2020, 21 Uhr

Was für ein Glück, dass dieses Konzert doch noch nachgeholt werden konnte! Eines der schönsten Stücke für Streichorchester überhaupt, gespielt von Mitgliedern der zwei besten Orchester der Welt. Weniger überzeugend: David Fray und Bach. Unerfreulich: Ein Teil des Elphi-Publikums zeigt einmal wieder, dass er nicht konzerttauglich ist und klatscht zwischen den Sätzen. Der Pianist ist davon so genervt, dass er auf die geplante Zugabe verzichtet. Lösung: Das teils unkundige Publikum in Hamburg muss vorab per Lautsprecher auf ein angemessenes Verhalten hingewiesen werden: „Klatschen Sie bitte nicht zwischen den Sätzen!“

Elbphilharmonie Hamburg, 2. Oktober 2020, 21 Uhr
Foto: © Dr. Holger Voigt

Kammerorchester Wien-Berlin (Zusammensetzung aus Mitgliedern der Wiener und Berliner Philharmoniker)
Rainer Honeck, Leitung
David Fray, Klavier

Werke von Johann Sebastian Bach und Pjotr Iljitsch Tschaikowsky

von Johannes Karl Fischer

Der Streicherserenade von Tschaikowski: Eigentlich sollte sie auf dem Programm einer internationalen Konzertreise meines Orchesters in Juni stehen. Mit diesem Konzert in der Elbphilharmonie wollte ich mich sozusagen auf die Proben „vorbereiten.“ Im März habe ich mir das Stück bereits mit den Metamorphosen Berlin angehört. Im kleinen Saal der Elphi. Am Ende alles umsonst: kein einziges Mal kamen wir zum Proben. Ist ja auch verständlich.

Doch tatsächlich wurde das Konzert in der Elphi nicht abgesagt, sondern verschoben. Eine kleine Zitterpartie war es, da Konzerte ja im Moment teils wenige Tage im Voraus abgesagt werden müssen.  Am 2. Oktober war es endlich so weit: Um Punkt 21 Uhr trat das Kammerorchester Wien-Berlin tatsächlich auf die Bühne. Und spielte, trotz gekürztem Programm, die Streicherserenade op. 48 von Pjotr Iljitsch Tschaikowsky.

Los ging es aber mit dem Klavierkonzert BWV 1052 von Bach. Es ist kein Geheimnis, dass die Instrumente, auf denen dieses Stück zu Bachs Zeiten gespielt wurde, kaum etwas mit dem modernen Hammerflügel zu tun hatten. Die Hammermechanik war damals noch nicht mal erfunden, und ein Cembalo kann man nur in einer Dynamik spielen. Da gibt es kein laut und leise.

David Fray, Foto: Warner Classics (c)

Leider war dies David Fray offensichtlich nicht bewusst, da er das breite Klangfarbenspektrum des Hammerklaviers voll ausnutzte. Laut, leise, legato, staccato, alles dabei. An sich sehr schön. Aber mit Bach hatte das wenig zu tun. Teilweise klang das schon fast nach Brahms. Molto espressivo. Völlig falsche Epoche.

Interessant auch, dass Fray so gut wie gar nicht dirigiert hat. Zwar gab es zum Glück keinen extra Dirigenten (bei Bach wäre das schon sehr ungewöhnlich). Aber während er der Einleitung zum zweiten Satz (die er, im Gegensatz zu denen zum ersten und dritten Satz, nicht mitspielte) lehnte er sich zurück und wartete auf seinen Einsatz. Da hätte man sich schon etwas mehr Interaktion mit dem Orchester gewünscht.

Apropos Orchester: Die Musiker hatten scheinbar verstanden, dass der Instrumentenklang zu Bachs Zeit wenig mit dem Heutigen zu tun hatte. Niedrige Lagen, wenig Vibrato. Viele leere Saiten waren zu hören. Das ging schon eher Richtung Barock-Klang. Eigentlich merkwürdig, da die Wiener Philharmoniker ja eher für ihren weichen, runden Klang bekannt sind. Und die Berliner Philharmoniker haben erst kürzlich Mozart und Schumann gespielt!

Elphilharmonie Rolltreppe © Michael Zapf

Sehr störend: Nach jedem Satz gab es einen langen und anhaltenden Applaus. Ich erinnere mich noch an Christian Thielemann: Als das Publikum in der Berliner Philharmonie anfing zu klatschen, während er noch den Taktstock oben hatte, zuckte er kurz mit der linken Hand. Danach war Ruhe.

Rainer Honeck (der als Konzertmeister auch die musikalische Leitung übernahm) und Co. gingen das ganze etwas diplomatischer an, indem sie mit dem dritten Satz einfach mitten im Applaus anfingen. Die Zugabe, die bereits auf den Notenpulten lag, wurde allerdings nicht gespielt. Wahrscheinlich hatte David Fray dieses Publikum einfach satt.   

Geklatscht wurde aber auch zwischen den Sätzen der Tschaikowski-Serenade. Insbesondere der Übergang zwischen dem dritten und dem vierten Satz wird aber in der Regel quasi attacca gespielt. Da ist Applaus völlig fehl am Platz! 

„Je größer die Besetzung des Streichorchesters sein wird, desto mehr wird das dem Wunsch des Komponisten entsprechen.“ Das soll Tschaikowski in der Partitur vermerkt haben, und so hat es Ruth Seiberts auch ins Programmheft geschrieben. Von wegen „groß“: Gerade einmal 15 Streicher saßen auf der Bühne des Großen Saales Elbphilharmonie. Trotz Corona-Abständen war die Bühne nicht mal halb voll.

Trotzdem war der Klang so gut gemischt, als spielten nicht 15, sondern 50 Streicher. Am Anfang des ersten Satzes (Takt 7) gibt es eine besonders knifflige Stelle: Dort hört man bei sehr guten Orchestern das zweigestrichene e als ein Gemisch aus A und leeren E-Saiten. Das haben die Mitglieder der Wiener und Berliner Philharmoniker mit vier ersten Geigen geschafft! Sehr gefallen hat mir auch, dass sich die Musiker am Anfang des zweiten Themas (Takt 91 und 210) etwas Zeit genommen haben. Sehr selten, dass so etwas so perfekt koordiniert ist.

Im zweiten Satz, dem Walzer, war eine bewusste Abgrenzung zum Wiener Walzer zu hören. Sicherlich im Sinne Tschaikowskis. Allerdings habe ich den bekannten „Wiener-Walzer-Klang“ etwas vermisst.

Der dritte Satz, eine Élégie, war wieder mal ein Wunder der Wiener Philharmoniker. Die beiden Cellisten, Sebastian Bru und David Pennetzdorfer (tatsächlich beide von den Wiener Philharmonikern), spielten so, als würde eine ganze Armada von mindestens 10-12 Celli spielen. Dieser wahnsinnig dicke Klang passt nicht nur zu diesem Satz, er gehört einfach dazu.

Einzig im letzten Satz, welcher den Beinahmen „Tema Russo“ trägt, fehlte etwas die Energie. Nach der langsamen Einleitung heißt das Tempo „Allegro con spirito“. Allegro haben sie gespielt, con spirito eher weniger.

Dafür  gab es ganz am Ende noch eine kleine Überraschung. Hier kommt nämlich das langsame Thema aus dem ersten Satz wieder zurück. In der Erstausgabe steht an dieser Stelle  𝅗𝅥   =  𝅘𝅥  .  del comincio. Aufgrund einer leicht veränderten Notation bedeutet das, dass das Thema im letzten Satz genauso schnell klingt wie im ersten. Nur leider ist in vielen „modernen“ Ausgaben aus der punktierten Viertelnote eine Viertelnote geworden. Damit wäre das ganze also 50 Prozent schneller zu spielen. Viele Aufnahmen, darunter Semjon Bytschkow mit den Berliner Philharmonikern, übernehmen diese drastische Temposteigerung. Nicht so Rainer Honeck und das Kammerorchester Wien-Berlin. Sehr schön!

© Herzog de Meuron Bloomimages Quelle: https://www.elbphilharmonie.de/de/elbphilharmonie

Als Zugabe haben sie einfach den zweiten Satz der Tschaikowski Serenade noch einmal gespielt. Offensichtlich war das nicht so geplant, da die Musiker sich auf der Bühne noch kurz abgesprochen haben.

Im Vergleich zu den Metamorphosen Berlin: Gegen eine Zusammensetzung von Mitgliedern der Wiener und Berliner Philharmoniker hat sowieso kaum jemand eine Chance. Dazu kommt noch, dass das Kammerorchester Wien-Berlin ohne Dirigenten gespielt hat, während die Metamorphosen Berlin mit Wolfgang Emanuel Schmidt am Pult gespielt haben. Ohne Dirigenten entsteht in der Tschaikowski Streicherserenade aber eine fast schon kammermusikalische Atmosphäre, in der die Stimmen richtig miteinander kommunizieren. Genauso wie es sein soll!

Johannes Karl Fischer, 3. Oktober 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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