„Keine Musik für Weichspüler“

„Das Rheingold“ von Richard Wagner
Staatsoper im Schiller Theater, Berlin, Samstag, 11. Juni 2016

Für Wilfried Feldhusen, 55, aus dem niedersächsischen Wingst ist es die erste Wagner-Oper überhaupt. Der Apotheker, der in drei Chören singt und Bass-Posaune spielt, hört zum ersten Mal in seinem Leben live eine Oper von Richard Wagner: „Das Rheingold“, der sogenannte „Vorabend“ des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“ in der Staatsoper im Schiller Theater.

Wilfried Feldhusen sitzt mit mir vor der Aufführung in der Schiller-Klause, gleich um die Ecke, Am Schillertheater 1. Es ist der perfekte Ort, um sich auf einen Abend im Schiller Theater einzustimmen: Für 4,90 Euro kann man sich einen Buffet-Teller mit Kassler, selbstgemachtem Kartoffelsalat, Antipasti und Matjes mit Zwiebelringen zusammenstellen. Und für 3,20 Euro gibt es ein kühles, helles alkoholfreies Hefeweizen.

Die 15 Stunden „Ring“ in Berlin nötigen Wilfried Feldhusen Respekt ab: „Diese Musik ist eine riesige Herausforderung. Ich erwarte eine Überflutung von orgiastischen Klängen.“ Der Niedersachse hat den „Ring“ bereits während einiger Notdienste in seiner Apotheke über Lautsprecher gehört. „Das ist keine Musik für Weichspieler“, sagt der Hobbysänger. „Man ist zunächst überfordert, das Werk erschließt sich nicht durch einmaliges Hören, sondern nur durch eine stetige Auseinandersetzung mit der Thematik und mit der Musik.“

Der „Ring“ unter der musikalischen Leitung von Daniel Barenboim, einem der bedeutensten Dirigenten der Gegenwart, ist ausverkauft. Wir sitzen im ersten Rang in Reihe 7, Platz 1 und 2. Das Preis-Leistungs-Verhältnis der Plätze ist bei 175 Euro für vier Abende in dem recht kleinen Schiller Theater bei dessen vorzüglicher Akustik sehr zufriedenstellend.

Der Beginn des „Rheingoldes“ ist ein Traum. Als ich den ersten der 136 Takte 1993 das erste Mal in der Deutschen Oper Berlin lauschte, stockte mir der Atem; ich habe das Vorspiel danach wochenlang mehrmals täglich gehört. Das tiefe, summende Es der Kontrabässe, das allmähliche Entstehen des Es-Dur-Dreiklangs sollen den Anfang der Welt symbolisieren. Allein dieses Vorspiel aus den Tiefen des Rheines ist, wenn es perfekt dargeboten wird, den gesamten Eintritt wert. Leider zerstört an diesem Abend der fürchterliche Einsatz eines Hornes und das kurze Geplapper einer Dame in im ersten Rang, Reihe 7, Platz 4, den magischen Moment. Das mangelnde Gespür für Ruhe ist leider ein weitverbreitetes Phänomen in Konzerthäusern.

Doch für die nächsten zwei Stunden und 38 Minuten herrscht alsdann fast absolute Ruhe im Saal des Schiller Theaters. Die Zuschauer lassen sich dermaßen von der großartigen Musik, von der Geschichte von Göttern, Riesen und Zwergen, die um Gold und Macht buhlen, mitreißen, dass sie fast starr in ihren Sitzen zu kleben scheinen.

Auch Susanne Joost, 66, aus dem brandenburgischen Kleinmachnow und ihre Tochter Sophie Joost, 27, aus Rostock sind von dem „Vorabend“ des „Ringes“ begeistert. „Mein Mann Hans-Georg hat uns mit Wagner infiziert, nachdem er sich bei Spiegel TV für die Erkennungsmelodie aus der Ouvertüre des Rienzi begeistert hatte“, sagt Susanne Joost. Für die Brandenburgerin ist es der zehnte Ring – die Inszenierung von Guy Cassiers an der Staatsoper hat sie bereits einmal gesehen. „Mich fasziniert auch die Story des Rings“, sagt Susanne Joost, „man kann die zentralen Themen wie Macht- und Geldgier ohne weiteres aus der Wagner-Tetralogie auf die Gesellschaft von heute übertragen.“

Stefanie Scharnagel, 28, und Andreas Wiesenmüller, 30, sind aus dem Epizentrum für Wagners Musik, Bayreuth, nach Berlin gezogen. Beide haben bereits eine Generalprobe der Walküre im Bayreuther Festspielhaus gehört; jetzt hat sie ihm den „Ring“ zum Geburtstag geschenkt. „Die Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim spielt grandios“, sagt Stefanie Scharnagel, die als „junger Freund“ die Staatsoper unterstützt. Am besten gefällt der 28-Jährigen an diesem Abend Falko Struckmann als Riese Fafner; Andreas Wiesenmüller favorisiert Matti Salminen als Riese Fasolt.

Großer Beifall brandet an diesem Abend für Jochen Schmeckenbecher als Alberich, für die drei Rheintöchter Evelin Novak, Anna Danik und Anna Lapkovskaja sowie für Maestro Daniel Barenboim und seinen Klangkörper auf. Den meisten Applaus bekommt an diesem wunderbaren Abend in der Staatsoper der Altmeister Matti Salminen, der derzeit auch noch an der Deutschen Oper Berlin König Marke in „Tristan und Isolde“ zum Besten gibt. Mir ist der Bass des bald 71-Jährigen schon ein wenig zu brüchig, einfach nicht mehr frisch genug. Aber Fans hören ja beim Zuhören oft auch die Stimme aus alten, besseren Tagen, die sich im Gehirn festgesetzt hat.

Der Apotheker und Musikenthusiast Wilfried Feldhusen fährt nach zwei Stunden und 40 Minuten „Rheingold“ beseelt ins Motel One Berlin-Bellevue. „Die Musik ließ sich leichter verdauen, als ich gedacht habe“, sagt der Niedersachse. „Es gibt bei Wagner auch lyrische und entspannte Stellen, wo man ein wenig abschalten kann.“

Klassik-begeistert.de
Andreas Schmidt, 13. Juni 2016

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