Am Mondsee erweckt die Wiener Akademie Bruckners Klangwelt wieder zum Leben

KIRCH’KLANG festival salzkammergut, Orchester Wiener Akademie, Dirigent Martin Haselböck  Mondsee, Basilika St. Michael,

Das Orchester Wiener Akademie in der Basilika St. Michael in Mondsee. Foto: privat

Die Aufführung hat meine Sicht auf Bruckners 6. Symphonie gründlich revidiert. Sie steht zu Unrecht im Schatten ihrer beiden Nachbarn, sie ist kein wenig geliebtes Stiefkind, sondern ein vollwertiges Mitglied der Familie, etwas eigenwillig und doch nicht wegzudenken.

KIRCH’KLANG festival salzkammergut

Mondsee, Basilika St. Michael, 21. Juni 2024

Orchester Wiener Akademie
Dirigent: Martin Haselböck

Einführungsvortrag: Otto Biba

Franz Liszt: Von der Wiege bis zum Grabe, Symphonische Dichtung Nr. 13, S. 107
Anton Bruckner: Symphonie Nr. 6 A-Dur, WAB 106


von Dr. Rudi Frühwirth

Die oberösterreichische Stadt Bad Ischl ist im Jahr 2024 gemeinsam mit zweiundzwanzig weiteren Gemeinden des Salzkammerguts eine der drei Kulturhauptstädte Europas. Da 2024 auch ein Bruckner-Gedenkjahr ist, spielt die Musik des bedeutenden oberösterreichischen Komponisten eine zentrale Rolle im Kulturangebot der Hauptstadtregion Salzkammergut.

Der Jahresregent Bruckner findet sich auch im Programm des heurigen KIRCH’KLANG Festivals, das in zahlreichen Orten des Salzkammerguts musikalische Veranstaltungen anbietet. Der künstlerische Leiter des Festivals ist seit der Gründung im Jahr 2021 der Organist und Dirigent Martin Haselböck.

Ansicht der Basilika St. Michael in Mondsee aus Westen. Foto: privat

Anton Bruckner ist einer der musikalischen Heroen Haselböcks. Ein Höhepunkt des Festivals war daher die Aufführung von Bruckners 6. Symphonie in der Basilika Mondsee. Haselböck dirigierte sein Orchester Wiener Akademie, das sich seit Jahren mit den Symphonien der Romantik im Originalklang auseinandersetzt. Es spielte an diesem Abend  ausschließlich Instrumente, die im 19. Jahrhundert gebaut wurden. Die Streicherbesetzung war etwas kleiner als heute im Konzertsaal üblich, die Bläserbesetzung war natürlich die in der Partitur vorgeschriebene.

In seinem launigen Einführungsvortrag rückte Otto Biba das Bild zurecht, das viele von Bruckner haben: nicht der devote Lakai, sondern der selbstbewusste Aufsteiger, zwar tief religiös, aber nicht der „Musikant Gottes“, wie das Klischee lautet.

Das Konzert wurde von Franz Liszts symphonischer Dichtung „Von der Wiege bis zum Grabe“ eingeleitet, entstanden 1881/1882. Der erste Abschnitt, „Die Wiege“, beginnt mit zarten Sphärenklängen, die im gewaltigen Kirchenraum der Basilika eine fast mystische Wirkung entfalten.

Im zweiten Teil, betitelt „Der Kampf um’s Dasein“, steigert sich das musikalische Geschehen und strebt einem Höhepunkt zu, der durch Pauken- und Beckenschläge markiert wird. Der letzte Teil heißt „Zum Grabe: Die Wiege des zukünftigen Lebens“. Er kehrt zu den kontemplativen Tönen des Anfangs zurück, sodass der ewige Zyklus Geburt-Leben-Tod von neuem beginnen kann.

Die um die gleiche Zeit komponierte 6. Symphonie Bruckners stand von Anfang an etwas im Schatten ihrer großen Nachbarn. Dabei bietet sie einige ungewohnte Aspekte, was den Komponisten zu der Aussage veranlasste, sie sei seine „keckste“, wobei „keck“ laut Otto Biba im damaligen Sprachgebrauch als „aufsässig, dreist, forsch“ zu deuten ist.

Die Originalinstrumente und die Akustik des Kirchenraums ließen ein Klangbild entstehen, das mit den üblichen Aufführungen im Konzertsaal wenig gemein hat. Durch die lange Nachhallzeit waren die Generalpausen nicht stumm, sondern erfüllt mit Nachklängen. Das Scherzo klang fast impressionistisch verwischt. Weiters ergaben sich unerhörte dissonante Überschneidungen, und die großen Steigerungen am Ende der Ecksätze bekamen eine einzigartige spirituelle Dimension. Fast könnte man meinen, dass Bruckner die Symphonie bewusst für eine Kirche komponiert hat.

Das Hauptschiff der Basilika St. Michael in Mondsee. Foto: privat

Die Interpretation durch Haselböck und die Wiener Akademie war mustergültig. Die scharfen Kontraste zwischen Haupt- und Seitenthema in den Ecksätzen kamen voll zur Geltung.

Das Adagio mit seinem herrlichen Hauptthema, einem Vorboten der langsamen Sätze der großen letzten drei  Symphonien, wurde ausdrucksvoll und wunderschön phrasiert vorgetragen. Das Scherzo ist höchst originell, oder – um mit Bruckner zu sprechen – keck. Es ist gar nicht ländlerhaft, geprägt von obsessiver Wiederholung von Phrasen und schroffen Kontrasten. Das Trio machte einen sanfteren Eindruck, mit schlichten Hornakkorden, die überraschend in ein Zitat aus der 5. Symphonie übergehen. In seinem Einführungsvortrag sagte Otto Biba, dass Bruckner seinen Zuhörern damit sagen wollte: keine Angst, ich bin noch derselbe, dem Ihr die „Fünfte“ verdankt. Der Finalsatz war aufregend gestaltet, sein Schluss schlechthin überwältigend: nach einer gewaltigen Steigerung stieg ein strahlender A-Dur-Akkord in das gotische Gewölbe der Basilika und hallte sekundenlang durch den gotischen Bau.

Martin Haselböck mit seinem Orchester Wiener Akademie. Foto: privat

Die Aufführung hat mein Verständnis der Symphonie gründlich revidiert. Sie ist kein wenig geliebtes Stiefkind, sondern ein vollwertiges Mitglied der Familie, eigenwillig und doch nicht wegzudenken. Das Publikum war hörbar begeistert und dankte dem Orchester wie dem Dirigenten mit reichlichem Applaus.

Dr. Rudi Frühwirth, 23. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Orchester Wiener Akademie, Martin Haselböck, Dirigent Thomas Hampson, Sprecher Musikverein Wien, Goldener Saal, 2. Juni 2024

Orchester Wiener Akademie Susanne Langbein/Martin Haselböck Elbphilharmonie, Hamburg, 18. Oktober 2023

Orchester Wiener Akademie, Martin Haselböck, Palais Lobkowitz, 23. Februar 2019

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