Sie haben da etwas vergessen… Interview mit Giampaolo Bisanti, Teil 1

Interview: klassik-begeistert im Gespräch mit Giampaolo Bisanti, Teil 1  klassik-begeistert.de, 4. Oktober 2024

Giampaolo Bisanti © Laila Pozzo

Italienische Opern kommen besonders gut, wenn der Italiener Giampaolo Bisanti dirigiert. Ein guter Journalist sollte aber nie Fan mit Notizblock sein, daher habe ich mir viele kritische Fragen ausgedacht. Aber  es muss ja nicht gleich in Teil 1 schwierig werden…

klassik-begeistert: Nach Ihrem letzten Hamburger Norma-Dirigat, da hatten Sie sicher einen schlimmen Schnupfen?

Giampaolo  Bisanti: Nach der Show bin ich nie krank! Musik ist gut für das Immunsystem, die gibt regelrecht einen Adrenalinschub… Aber warum fragen Sie?

klassik-begeistert: Nun, ich war nach der Oper nebenan noch einen Wein trinken, vielleicht hat das zwei Stunden gedauert. Es war regnerisch und hamburgisch kühl. Auf dem Heimweg sah ich, wie Sie  vor dem Opernhaus standen, an einer zugigen Ecke, und mit dem Sänger-Ensemble engagiert diskutiert haben. Es ging sicher um Bellini, aber mögen Sie uns Details verraten?

Giampaolo  Bisanti: Solche Gespräche haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf unsere künstlerische Entwicklung und dienen außerdem dem Teambuilding. Wir nutzen diese Momente, um über unsere Leistung nachzudenken, unsere Erfahrungen und Emotionen auszutauschen. Und wir überlegen, wo wir uns noch verbessern können.

klassik-begeistert: Regietheater ist so eine Sache. Für mich hört der Spaß auf, wenn in die Musik eingegriffen wird. In seiner Hamburger Inszenierung von Puccinis Trittico hat Axel Ranisch die Pause zwischen den ersten beiden Opern gestrichen, man musste sich statt dessen einen, wie ich finde, quälend langweiligen Video-Einspieler ansehen. Sie haben die Premiere dirigiert, wie hält man da die Spannung aufrecht?

Giampaolo  Bisanti: Es ist nicht die Aufgabe des Dirigenten, bei der Aufführung von drei so außergewöhnlichen Theaterjuwelen die erzählerische Spannung aufrechtzuerhalten… Ich finde auch, Sie sehen die Inszenierung zu kritisch, die Arbeit von Axel Ranisch war ein mutiges und fantasievolles Unterfangen. Sein Ansatz wie auch seine Vision waren während der gesamten Aufführung deutlich zu erkennen, dem Publikum wurde eine herausfordernde und zum Nachdenken anregende Interpretation von Puccinis drei Einakter-Opern präsentiert.

Giampaolo Bisanti© Laila Pozzo

klassik-begeistert: Für mich gehören die Pausen zur Musik.

Giampaolo  Bisanti: Es ist wie immer, Sie können das annehmen oder ablehnen… Aber egal, wie die Inszenierung war: Puccini funktioniert immer. Sein Genie kommt auch in diesen drei sehr unterschiedlichen Werken zum Vorschein, vom intensiven Drama von Il Tabarro bis zum herzzerreißenden Kummer von Suor Angelica und der komischen Erleichterung von Gianni Schicchi.

klassik-begeistert: Letzte Spielzeit haben Sie Tosca an der Wiener Staatsoper dirigiert, ab dem 13. Oktober 2024 leiten Sie diese Puccini-Oper in Hamburg. Beides sind eher klassische Inszenierungen, worin unterscheidet sich deren Kernaussage?

Giampaolo  Bisanti: Ich möchte das im Geiste der letzten Frage beantworten: Für mich  liefert die Inszenierung lediglich den Rahmen für die Handlung. Die Kraft der musikalischen Botschaft wie auch die Emotionen, das wird vom Orchester und den Sängern vermittelt…Beides sind tatsächlich Produktionen, die sich eng am Originallibretto, der Epoche des Komponisten wie auch der Historie orientieren. Das kann man gut oder schlecht finden, Opernneulingen hilft es aber ungemein, sich das Werk zu erarbeiten.

Giampaolo Bisanti© Laila Pozzo

klassik-begeistert: Ich würde beide Häuser nicht vergleichen wollen, aber hat das Philharmonische Staatsorchester Hamburg einen speziellen Klang? Den Wienern wird ja immer wieder ein Goldener Klang nachgesagt…

Giampaolo  Bisanti: Sie sagen es, zwei Institutionen mit solch einem Prestige, solch einer Geschichte und solch außergewöhnlichen Qualitäten zu vergleichen, das ist meiner Meinung nach unmöglich. Da müssten Sie bitte konkreter werden.

klassik-begeistert: OK… Klingen die Hamburger anders, wenn Sie dirigieren? Zum Beispiel weil das Orchester  einzigartige Qualitäten und Merkmale besitzt, die Sie herauskitzeln?

Giampaolo  Bisanti: Ich liebe es, hier in Hamburg zu arbeiten. Weil die Musiker sehr aufmerksam, bestens vorbereitet und enthusiastisch sind, ist die Arbeit sehr lohnend, und auch einfach. Das kommt mir sehr entgegen, weil es  mir  wichtig ist, während der Proben eine wunderbare menschliche und musikalische Synergie zu schaffen. Die Musiker ziehen da immer mit… Aber ich glaube, Sie haben bei Ihrer Frage ganz wichtige Menschen vergessen (guckt sehr streng).

klassik-begeistert: Oh jeh, natürlich, der Chor der Hamburgischen Staatsoper!

Giampaolo  Bisanti:  Richtig, und diese Zusammenarbeit ist genau so wunderbar. Eine sehr aufmerksame, flexible und kooperative Vereinigung ist das. Beide, also Chor und Orchester, wollen unbedingt in den italienischen Stil der jeweiligen Komponisten eintauchen. Dabei geht es insbesondere um Tempoangaben und dynamische Farbwechsel… Gerade im italienischen Repertoire vertrauen die Musiker mir, meiner Erfahrung, und lassen sich inspirieren.

Giampaolo Bisanti© Laila Pozzo

klassik-begeistert: Wie kann sich ein Orchester heute noch seinen eigenen Klang bewahren?

Giampaolo  Bisanti: Ich verstehe, man sagt gerne, in Zeiten der Globalisierung klingen alle Orchester gleich. Aber so ist das nicht… Jedes Orchester ist ein lebender Organismus, der aus großartigen Musikern besteht, die ihre eigene Sensibilität und musikalische Vision mitbringen. Zuvörderst sehe ich hier den Generalmusikdirektor in der Verantwortung, daraus einen Klang zu gestalten, der zum Markenzeichen wird. Zeit, Probentage und das Charisma der Stimmführer tragen zum besonderen und charakteristischen Klang eines jeden Orchesters bei.

klassik-begeistert: Reizt es Sie, international mehr Symphonik zu dirigieren?

Giampaolo  Bisanti: Auf jeden Fall! Symphonische Musik ist auch eine Leidenschaft von mir. Aber in diesem Stadium meiner Karriere bin ich ganz auf den Opernbetrieb eingebunden und es bleibt nicht viel Zeit, neue symphonische Partituren zu studieren.

klassik-begeistert: Warum gibt es eher wenig symphonisches Repertoire aus Ihrer wunderschönen und hochmusikalischen Heimat?

Giampaolo  Bisanti: Italien war schon immer eine Hochburg der Oper mit einer blühenden Tradition an Opernkomponisten, Sängern und Theatern. Der kulturelle Schwerpunkt des Landes auf der Oper hat natürlich zu einer stärkeren Fokussierung auf dieses Genre geführt, sogar bis in die Romantik und Moderne hinein. Mir ist jedoch wichtig anzumerken, dass es viele talentierte italienische Symphoniker gibt, in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Komponisten wie Ottorino Respighi, Alfredo Casella und Gian Francesco Malipiero haben bedeutende Werke im symphonischen Genre geschaffen. Darüber hinaus haben zeitgenössische italienische Komponisten wie Ennio Morricone und Ludovico Einaudi internationale Anerkennung für ihre Filmmusiken und andere symphonische Werke erlangt.

klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Jörn Schmidt, 4. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Teil 2/3 unseres Interviews mit Giampaolo Bisanti lesen Sie morgen
(4. Oktober 2024) hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Giuseppe Verdi, Aida, Giampaolo Bisanti, Jorge de León, Tatiana Serjan, Anna Smirnova, Noel Bouley, Ante Jerkunica, Ievgen Orlov, Deutsche Oper Berlin

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