Daniil Trifonov © Jens Gerber
Ein selten zu hörendes Repertoire beim Klavier-Festival Ruhr.
Essen, Philharmonie, 24. Mai 2025
Peter Tschaikowski (1840-1893) – Klaviersonate cis-Moll op. 80 posth. und Auswahl aus dem Ballett Dornröschen op. 66a (arr. Mikhail Pletnev)
Frédéric Chopin (1810-1849) – Sechs Walzer
Samuel Barber (1910-1981) – Sonate es-Moll op. 26
Daniil Trifonov, Klavier
von Brian Cooper
Daniil Trifonov hat ganz bestimmt, frei nach Marlene Dietrich bzw. Hildegard Knef, noch einen Koffer in Leipzig. Zwischen Auftritten beim dortigen Schostakowitsch-Festival – demnächst folgt noch das 1. Klavierkonzert – beehrt er einmal mehr das Klavier-Festival Ruhr. Am Vorabend war er in Frankfurt, der Freund schwärmt und schreibt begeistert. Und am Montag spielt er, also Trifonov, noch in Hamburg.
„Trifonov spielt einfach ergreifend und von Herzen kommend und berührt uns mit seinem Spiel.“ Diese Worte aus einer E-Mail-Ankündigung des Klavier-Festivals Ruhr könnten wahrer nicht sein.
Viele Menschen kamen ganz bestimmt des großen Namens wegen, hat dieser Ausnahmepianist doch schon seit vielen Jahren seinen festen Platz im pianistischen Olymp sicher. Nicht wenige dürften aber auch vom Programm angetan gewesen sein, denn es gab – bis auf eine Auswahl Chopin’scher Walzer – weitgehend unbekanntes Repertoire bekannter Komponisten zu hören. Dabei ist die Essener Philharmonie, wenngleich gut besucht, bei weitem nicht ausverkauft. Übersättigung?
Con fuoco eröffnet Trifonov den Abend mit Tschaikowskis cis-Moll-Sonate. Gilels hat sie gespielt, gilt als Fürsprecher, Tschaikowski komponierte sie noch als Student.
Von Beginn an erlebt das Publikum wieder diese faszinierende Palette zwischen großer Geste, ja: Pranke, und andererseits einer schier unerschöpflichen Bandbreite an zartestem und sehr lyrischem Klavierspiel. Der Mann hat gefühlt über 30 verschiedene piano-Schattierungen. Sein Anschlag ist unerhört variabel. Da verwundert es nicht, dass zwei Menschen in der Pause leidenschaftlich und kenntnisreich über ihre Faszination für gerade diesen Pianisten diskutieren. Einer der beiden hat ihn kürzlich sogar in Sydney gehört.

Ich selbst bin völlig baff, plötzlich Material aus dem Scherzo der 1. Sinfonie zu hören. Sie trägt den Beinamen „Winterträume“, ist natürlich längst nicht so bekannt wie die 4. bis 6., aber die herrliche Karajan-Aufnahme zählte zu meinen ersten drei CDs überhaupt, und ich habe sie rauf- und runtergehört. Soso, denke ich, hat der gute Piotr auch seine Ideen wiederverwendet, genau wie Bach, und warum auch nicht…
Es gibt hochspannende bis wilde Modulationen in dieser Sonate, der Schluss gelingt fulminant, und vor der Pause schließt Trifonov eine kleine Suite aus Walzern von Chopin an: federleicht und elegant, spätestens im zweiten Walzer (f-Moll, op. 70,2) befinden wir uns in einem wunderschönen Salon mit schweren Brokatvorhängen, die Blumen duften verführerisch. Der fünfte Walzer (a-Moll, op. 34,2) scheint eine Reminiszenz: Vielleicht ist es die Erinnerung an einen geliebten Menschen, der nicht mehr da ist.
Den zweiten Teil seines Rezitals eröffnet Trifonov mit der Sonate in es-Moll (!) von Samuel Barber. Aufgewühlt und kraftvoll klingt das, mitunter durchaus dissonant. Es gibt Anklänge an Skrjabin, wie ich finde, und auch dieses Werk hatte in Vladimir Horowitz einen prominenten Fürsprecher. Trifonov erweist sich als ein weiterer: Er erzeugt mit wiederum allerfeinsten Schattierungen und klugem Pedaleinsatz eine sehr reizvolle Klangwelt, die bisweilen mit tosender Meeresgischt daherzukommen scheint.
Im zweiten Satz huschen die Hände förmlich über die Tasten; man meint, Anklänge an Walzer und Spieluhr zu vernehmen. Der dritte Satz, Adagio mesto, wird bewegend zelebriert wie ein Gebet, eine Meditation, Forte-Akkorde tönen wie Glockenklang. Der letzte Satz beginnt als Fuge, Trifonov wählt ein beglückendes Tempo, alles ist durchhörbar, man staunt wie so oft über die unerschöpfliche technische Meisterschaft des Pianisten. Absolute Kontrolle. Von fern schimmert Jazziges durch: Es ist der vielleicht „amerikanischste“ Satz der Sonate.

Pletnevs Arrangement von Tschaikowskis Dornröschen ist ein Fest der Bilder. Trifonov hebt Witz und Charme hervor, besonders eindrücklich geraten hier vor allem der gestiefelte Kater, ein ziemlich bekloppter Kanarienvogel sowie Rotkäppchen und der Wolf. Kurz gibt es dazu im ansonsten andächtig lauschenden Publikum ein lautes Hustduett, senza Armbeuge.
Es war ein großer Abend, der natürlich nicht mit Dornröschen endete. Bleibt die Frage, wie Daniil Trifonov in so wenigen Wochen in einem so breit gefächerten Repertoire solch ein durchweg unfassbar hohes Niveau hält. Wie es ihm gelingt, uns jedes Mal aufs Neue zu überraschen. Man bleibt ob dieser Kunst einfach nur staunend, dankbar und beglückt zurück.
Dr. Brian Cooper, 25. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schostakowitsch Festival I Gewandhaus zu Leipzig, 15. Mai 2025
Schostakowitsch-Festival VIII Gewandhaus zu Leipzig, 18. Mai 2025