Concerts du 2 septembre 2025 à Ciboure – Festival Ravel © Valentine Chauvin
Im Geburtsort des Komponisten erklingt in zwei Konzerten das Gesamtwerk für Klavier. Teil 2, fast im Dunkeln gehört, ist voller Atmosphäre.
Pierre-Laurent Aimard, Klavier
Maurice Ravel (1875-1937) – Miroirs; Gaspard de la nuit
Pierre Boulez (1925-2016) – 1. Klaviersonate; Incise
Ciboure, Église Saint-Vincent, 2. September 2025, 21 Uhr
von Brian Cooper
Im zweiten Konzert des Marathon-Tages, an dem in Ciboure das gesamte Klavierwerk Maurice Ravels zu hören war, spielte Pierre-Laurent Aimard zwei der technisch anspruchsvollsten Werke des Basken, Miroirs und Gaspard de la nuit. Damit nicht genug: Die mit Pause gut anderthalb Stunden Gesamtspielzeit des Konzerts, das damit wesentlich kürzer war als das Nachmittagsrezital, wurden durch zwei extrem schwierige Werke von Pierre Boulez ergänzt, der in diesem Jahr 100 geworden wäre.
Schwierig zu spielen – der Schweiß floss in Strömen. Und schwierig zu hören. Ich gestehe freimütig, dass ich mich immer wieder mit der Musik des Pierre Boulez befasst habe, bislang jedoch keinen Zugang gefunden habe. Es ist Musik, für die man jemanden braucht, der oder die sie einem erklärt.
Man kann sich jedoch keinen besseren Anwalt dieser sperrigen Musik wünschen als Pierre-Laurent Aimard: Wie der Komponist und Dirigent Boulez ist auch der Pianist Aimard ein durch und durch Intellektueller, ein Analytiker, möglicherweise sogar ein Getriebener.

Man verließ die Église Saint-Vincent mit der Überzeugung: „So und nicht anders soll es klingen“. Dies gilt freilich nicht nur für Boulez’
1. Klaviersonate und die 50 Jahre später entstandenen Incises, sondern auch und vielleicht vor allem für Maurice Ravels Klaviermusik.

Und das, obwohl Aimard seine Hörerschaft vor neue Lesarten stellt. Sein Ravel klingt zunächst vielleicht etwas härter, gläserner, als man es von den großen Interpretinnen und Interpreten der Vergangenheit und Gegenwart gewohnt ist. Das Wort „Analytiker“ kam mir gleich zu Beginn der Miroirs in den Sinn. Die Noctuelles evozieren den Flug einer Schmetterlingsart, genauer: der Eulenfalter. Auf einer sprachlichen Ebene ist das Nocturne nicht weit, doch der erste Teil der Miroirs kommt alles andere als ruhig daher. Da die Eulenfalter nur nachts und in der einbrechenden Dunkelheit aktiv sind, hatte dieses Stück in der einbrechenden Dunkelheit von Ciboure eine sehr besondere Wirkung. (Titel für eine künftige Auftragskomposition: La nuit de Ciboure.)

Der zweite Teil, Oiseaux tristes, klang wie improvisiert. Aimard schien zu spielen, als sei er von der besonderen Atmosphäre des Ortes inspiriert. Der Geist von Ravel war dort. Im dritten Teil, Une barque sur l’océan, enstanden Bilder, wie sie im Nachmittagskonzert mitunter gefehlt hatten. „Das ist groß“, ging es mir durch den Kopf. Der Clown, el gracioso, des vierten Teils war einer, der die Welt gesehen hat und gemessen durchschreitet. Der fünfte Teil schließlich, La vallée des cloches, gefiel meinem Nebenmann, der inzwischen seine Sandalen ausgezogen und den rechten Fuß auf die Vorderbank gelegt hatte, so gut, dass er völlig gebannt lauschte und einigermaßen enthemmt mitdirigierte.
Egal, wie man zu Pierre Boulez steht: Es ist faszinierend, einem Grandseigneur wie Aimard bei seiner Interpretation zuzusehen – neben dem Zuhören. Große Teile des Publikums waren hingerissen von der Darbietung der Sonate, wie auch der Incises. Es ist eine physische Musik, die die Extreme der 88 Tasten ausreizt, hohe und tiefe Töne, es ist erratisch, expressiv und, wie Kollege Yegor aus Riga hinterher sagte, „intense and theatrical“. Er war angetan.
Der Gaspard schließlich, für den viele sicher auch gekommen waren, war meisterlich. Schade, dass die Kirche nicht ausverkauft war. Allein Scarbo war eine Wucht. Als der Gnom im allerletzten Takt verschwindet, davonhuscht, sieht man Aimards erhobene rechte Hand, dazu ein staunendes Gesicht – die Augenbrauen! – und versteht irgendwie alles.

Bei Boulez ging es mir nicht so, was aber keinesfalls eine große Darbietung anspruchsvoller Musik schmälern soll.
Dr. Brian Cooper, 4. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Klaviermusik von Maurice Ravel, Hyunji Kim Ciboure, Église Saint-Vincent, 2. September 2025, 17 Uhr
Ravel-Festival 2025 Urrugne, Église Saint-Vincent, 1. September 2025
Ravel, Seong-Jin Cho, Klavier Kölner Philharmonie, 19. Mai 2025