Christian Gerhaher und Gerold Huber; Foto Patrik Klein
Donnerstagabend in der Elbphilharmonie
Man könnte den Boden unter den Füßen verlieren vor so viel Kunst
Christian Gerhaher und sein Begleiter Gerold Huber interpretierten Hamburgs Sohn der Stadt, Johannes Brahms
Wann ist schon mal das Hamburger Publikum in der Elphi äußerst diszipliniert ohne Dazwischengeklatsche, ohne asthmatische Aussetzer, ohne Programmheftepolterer oder ohne Ferngläserkegler? Gestern Abend war es so weit. Äußerste Stille und äußerste Konzentration beim Liederabend im kleinen Saal.
Liedgesang, die Königsdisziplin der Gesangskunst, stand auf dem Programm. Es gab Johannes Brahms’ Jugendwerke bis hin zu den im Alter entstandenen und zunehmend introvertierteren Spätwerken. Gefühlswelten von epischer Breite überspannen seine Lieder. Sie sind mal heiter, besonnen, spannungsgeladen, voller Farben, harmonisch und in sich ruhend, sternenklar oder düster mit Liebe, Reue, pochendem Herzen, Freude, Leid und Lebenslust.
Scheinbar war gestern Abend alles verwoben und eine Geschlossenheit in der Noten- und Textgestaltung. Der Pianist Gerold Huber und der Bariton fielen an diesem Abend in eine Symbiose aus Gesang und Begleitung.
Christian Gerhaher, einer der derzeit bekanntesten und meist gefragten Sänger unserer Zeit, gestaltete mit hoher Textverständlichkeit, feinster Phrasierung und Dynamik. Auch klangen die Lieder bei ihm sehr konzentriert, mit einer hohen intellektuellen Durchdringung und Verschmelzung mit den Texten der Werke. Das ging dann manchmal ein wenig auf Kosten der gesanglichen Handwerkskunst. Aber das ist vielleicht auch sein Markenzeichen.
Das tosende Publikum ließ die beiden erst nach zwei Zugaben nach Hause ziehen.
PROGRAMM
Johannes Brahms
Sehnsucht / aus: Acht Lieder und Romanzen op. 14
Der Überläufer / aus: Sieben Lieder op. 48
Vor dem Fenster / aus: Acht Lieder und Romanzen op. 14
Von ewiger Liebe / aus: Vier Gesänge op. 43
Vom verwundeten Knaben / aus: Acht Lieder und Romanzen op. 14
Der Gang zum Liebchen / aus: Sieben Lieder op. 48
Neun Lieder und Gesänge op. 32
– Pause –
Johannes Brahms
Regenlied / aus: Acht Lieder und Gesänge op. 59
Dein blaues Auge / aus: Acht Lieder und Gesänge op. 59
Mein wundes Herz / aus: Acht Lieder und Gesänge op. 59
Nachklang / aus: Acht Lieder und Gesänge op. 59
Meine Lieder / aus: Fünf Lieder op. 106
Geheimnis / aus: Fünf Gesänge op. 71
Die Mainacht / aus: Vier Gesänge op. 43
O kühler Wald / aus: Fünf Gesänge op. 72
Treue Liebe / aus: Sechs Gesänge op. 7
Herbstgefühl / aus: Sieben Lieder op. 48
Lerchengesang / aus: Vier Gesänge op. 70
Die Kränze / aus: Vier Gesänge op. 46
Der Klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Nicht immer nimmt er sich Pressekarten im offiziellen Modus, sondern lauscht oder schaut privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei Klassik-begeistert – voller Leidenschaft – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – aber immer mit großem Herzen!