Klein beleuchtet kurz Nr 18: Das Gewandhausorchester brilliert in Hamburg mit neuen Hörgewohnheiten

Klein beleuchtet kurz Nr 18: Das Gewandhausorchester brilliert in Hamburg mit neuen Hörgewohnheiten

Gewandhausorchester Leipzig mit Andris Nelsons; Foto Patrik Klein

Das Gewandhausorchester Leipzig startete seine Europatournee in der Elbphilharmonie Hamburg mit Tschaikowsky

Andris Nelsons, Stardirigent aus Riga, seit 2018 musikalischer Leiter des ältesten bürgerlichen Orchesters der Welt, dem Gewandhausorchester Leipzig, und zudem noch Chefdirigent des Boston Symphony Orchestra, wählte herrliche Musik des mit dem Orchester eng verbundenen Komponisten Piotr I. Tschaikowsky zum Start der Europatournee in Deutschland, Luxemburg, Niederlande und Österreich.

Es waren zwei absolute Highlights der Orchesterliteratur, die auf dem Programm des ersten von zwei Konzerten in der Elbphilharmonie Hamburg standen. Zunächst das emotionale Violinkonzert und danach die absolut gegensätzliche, dunkle sogenannte „Schicksalssinfonie“.

Der griechische Geiger und Dirigent Leonidas Kavakos, der hier bereits einige Male mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester Hamburg zusammen auftrat, nahm die ursprüngliche Kritik an dem Werk nach seiner Uraufführung, nämlich dass es nach einem seltsamen Gemisch von Originalität und Rohheit, von glücklichen Einfällen und trostlosem Raffinement nur so strotzte, in keinem Falle für bare Münze, sondern zauberte aus der Heterogenität des Werkes eine Mischung aus Zartheit, Wildheit, Melancholie und rasender Virtuosität, die manchmal sogar ein paar Millisekunden vor dem Orchester lag. Schwelgerisch und ganz intim wechselten die Stimmungen in diesem von Orchester und Solist meisterhaft gespielten Musikstück, bevor dann das Konzert in einem furiosen Finale gipfelte.

Leonidas Kavakos, Andris Nelsons; Foto Patrik Klein

Nach der Pause durchzog ein gemeinsames Leitthema, das Schicksalsmotiv die Sinfonie Nr. 5. Der Satz begann mit einer bedächtigen Melodie der Klarinetten. Die Melodie leitete über zum energischeren, von Flöten und Klarinetten initiierten und von den Streichern übernommenen Hauptthema des Satzes. Das Hauptthema des zweiten Satzes wurde dann eindringlich von Klarinette und Oboe unterstützt, nachdem das vom donnernd einsetzenden Schicksalsmotiv das Hauptthema kurz unterbrochen wurde. Im dritten Satz, welcher wie ein Walzer daher kam, ließ sich das Schicksalsmotiv nur kurz störend aufzeigen. Wie der erste Satz begann auch der vierte Satz mit dem Schicksalsmotiv, das diesmal aber bestimmter, vor allem in Dur, auftrat. Nach einer ausführlichen Einleitung des Finales ging dieses, vom Schicksalsmotiv begleitet zu einem feierlichen Ausbruch des Orchesters über.

Andris Nelsons erzeugte mit dem ihm exakt folgenden Orchester einen differenzierten Klang mit vielen Variationen und einer Art und Weise, als wolle er die Partitur sezieren und wieder neu zusammensetzen. Das klang an vielen Stellen anders als jede Hörgewohnheit, die man von CDs oder anderen Konzerten kannte.

Das Publikum im Saal war am Konzertabend äußerst diszipliniert, ohne wilde Husterei oder Dazwischengeklatsche. Viel Applaus gab es für Dirigent, Solist und vor allem Orchester. Morgen folgt der zweite Streich.

Gewandhausorchester Leipzig
Leonidas Kavakos, Violine
Dirigent: Andris Nelsons

Piotr I. Tschaikowsky
Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35

Piotr I. Tschaikowsky
Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64

(c) Patrik Klein

Klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Nicht immer nimmt er sich Pressekarten im offiziellen Modus, sondern lauscht oder schaut privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft –ohne Anspruch auf Vollständigkeit – aber immer mit großem Herzen!

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