Der Fall François-Xavier Roth: Erleben wir gerade den Niedergang einer Ikone?

Kommentar: Der Fall François-Xavier Roth: Erleben wir gerade den Niedergang einer Ikone? klassik-begeistert.de, 26. Mai 2024

François-Xavier Rot © Daniel Dittus

Ein Kommentar von Daniel Janz

Es klingt unglaublich, was da am 22. Mai 2024 publik wurde. »Ein hübsches Kompliment, und zack, schon folgte das Dickpic« – so lauten u.a. die erschütternden Vorwürfe, denen François-Xavier Roth sich ausgesetzt sieht. „Virtuelle Duschen“, „Sexnachrichten“, Genitalbilder. Das alles soll sich der 2025/2026 zum SWR Symphonieorchester wechselnde Dirigent des Gürzenich-Orchesters und Generalmusikdirektor der Stadt Köln geleistet haben. Hat François-Xavier Roth, der 1971 in Neuilly-sur-Seine geboren wurde und seit 2015 in Köln amtiert, seine Musiker etwa belästigt, genötigt und ist sogar sexuell übergriffig geworden?

So stellt es sich heute jedenfalls dar. Zu allererst berichtete die französische Tages- und Satirezeitung „Le Canard enchaîné“. Mit 7 Musikerinnen und Musikern soll das Magazin über Roth gesprochen und dabei Entsetzliches zu Tage gefördert haben. „Dieser Herr hat sich auf ekelhafte Weise verhalten“, wird eine von ihnen zitiert. Entsprechende Chatnachrichten, kompromittierende Fotos und Aussagen sollen der Zeitung ebenfalls vorliegen. Dazu zählt auch ein Brief eines Mitglieds des Gürzenich-Orchesters an dessen Geschäftsführung, in dem Roth „sexuell übergriffiges Verhalten gegenüber Orchestermitgliedern“ vorgeworfen wird. Auf diesen Brief stützen sich auch andere Magazine.

Inzwischen verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. So berichten auch BR-Klassik, Focus, die FAZ und diverse weitere Magazine. Sie alle sprechen von „schweren Entgleisungen“ – wie auch „Le Canard enchaîné“.

Ein Magazin, das kein Blatt vor den Mund nimmt, wie auch dieses Foto
des Magazins auf X (ehemals Twitter) belegt:

 https://x.com/canardenchaine/status/1793164487966744899/photo/1

Als ich gestern von den Kollegen Ehepaar Gras auf die Berichterstattung gestoßen wurde, konnte ich es erst nicht glauben. Roth, oder FXR, wie er oft abgekürzt wird, ist ein Charmeur, weiß wie man Menschen von sich und Kunst überzeugt. Obwohl seine Werkauswahl nicht immer meinen Geschmack traf, habe ich ihn als Dirigenten sehr zu schätzen gelernt. Mehrere Male ermöglichte er mir, mit ihm zu sprechen. Hier in Köln, wo man sich gerne so unnahbar gibt, ist das schon etwas Besonderes. Sein baldiges Scheiden beim Gürzenich-Orchester Köln empfinde ich als Verlust, hat sich dieses unter ihm doch zu einer Instanz entwickelt, die ich erst kürzlich als „das beste Orchester am Rhein, wenn nicht sogar deutschlandweit“ bezeichnen durfte.

Und doch scheinen diese Vorwürfe nicht aus der Luft gegriffen zu sein. So berichtet VAN, dass bereits zwischen 2005 und 2010 junge Musiker angeblich davor gewarnt worden seien, auf Textnachrichten von Roth zu reagieren. Auch 2019 wurde dies zum Thema, als der ehemalige Intendant der Philharmonie de Paris, Laurent Bayle, Roth in der Auswahl für das Amt des neuen Chefdirigenten sah. Die Stadt Paris informierte ihn in diesen Zusammenhang über die entsprechenden Vorwürfe, bestätigte Bayle. Klaus Mäkelä machte schließlich das Rennen.

Das alles steht also nicht erst seit gestern im Raum. Sogar von einem „sich wiederholendem Schema“ und Muster ist die Rede. Solche Aussagen sind nicht kleinzureden. Gerade auch, weil Roth als Dirigent und Orchesterleiter in einer Machtposition zu seinen Musikern steht. Der Verdacht vom Machtmissbrauch ist also nicht weit weg. Ob die Gürzenicher vielleicht auch deshalb immer noch kein Programm für die kommende Saison 2024/2025 – immerhin Roths Abschiedssaison – veröffentlicht haben? Ist Roths Stellung als Generalmusikdirektor und Chefdirigent möglicherweise in Gefahr? Oder der Antritt seiner Stelle beim SWR?

Der Orchesterdirektor vom Gürzenich-Orchester teilte dem WDR jedenfalls mit, dass er die Berichterstattung „sehr ernst“ nehme und dem nachgehe. Ähnliche Töne sind inzwischen auch von SWR Symphonieorchester zu vernehmen. Es ist erschreckend, was für Szenarien sich hier abzeichnen! Und gerade auch in Zeiten, wo #MeToo immer mehr Beispiele für solch übergriffiges Verhalten aufdeckt, muss eine lückenlose Aufklärung erfolgen.

Es gilt die Unschuldsvermutung. Doch diese Vorfälle sind so brisant, dass eine Untersuchung unumgänglich ist. Möglicherweise auch ein juristisches Nachspiel? Denn dass Roth sich inzwischen in einem offiziellen Statement entschuldigt hat, spricht dafür, dass er hier mindestens fahrlässiges, unangebrachtes Verhalten an den Tag gelegt hat. „Es ist mir passiert, dass ich intime Gespräche per Telefon geführt habe. Wenn ich zu weit gegangen bin, entschuldige ich mich bei denjenigen, die ich schockiert habe“ – so wird er zitiert.

Egal in welcher Position man sich befindet und wie künstlerisch herausragend jemand ist – so etwas darf nicht passieren. Und geschieht es auch noch Mitarbeitern und Untergebenen gegenüber, ist der Skandal perfekt. Ganz besonders, wenn es dann auch noch Personen gibt, die dies als „Initiationsritus“ herunterspielen. Das Bild, das sich hier zeichnet, ist jedenfalls das eines Mannes, der sich selbst weder unter Kontrolle hat, noch den nötigen Anstand besitzt. Vorbildliches Verhalten sieht anders aus. Welche Folgen das haben wird, werden wir in Köln wohl live miterleben müssen. Ich fürchte aber, dass das diesmal kein Happy End geben kann.

Daniel Janz, 23. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

4 Gedanken zu „Kommentar: Der Fall François-Xavier Roth: Erleben wir gerade den Niedergang einer Ikone?
klassik-begeistert.de, 26. Mai 2024“

  1. Sehr geehrter Herr Janz,

    ich würde sie doch bitten, bevor sie in ihrem Kommentar Herrn Roth „faschistische Tendenzen“ vorwerfen, genauer zu recherchieren, bzw. für die Übersetzung ein Wörterbuch o.ä. zu benutzen. Denn „une fâcheuse tendance“ mit „einer faschistische Tendenzen“ zu übersetzen, ist zum einen schlicht falsch und zum anderen eine ungeheuerliche Unterstellung, die zumindest einer Richtigstellung bedarf und eine Entschuldigung wäre ebenso angebracht.

    Mit freundlichen Grüßen

    Karl Müller

    1. Werter Herr Müller,

      auf Ihre Anregung hin habe ich es selbst auch noch einmal mit einer anderen Übersetzungssoftware überprüft und muss zu meinem Bedauern einsehen, dass Sie Recht haben. Besonders verwundert mich daran, dass ich die Übersetzung von „fâcheuse tendance“ selbst in Google überprüft hatte. Aber auch der allmächtige Internetriese ist offensichtlich nicht unfehlbar.

      Für diese unabsichtliche Fehlübersetzung und dadurch möglicherweise entstandene Fehleindrücke entschuldige ich mich vielmals.
      Der Artikel wurde inzwischen dahingehend auch überarbeitet.

      Beste Grüße,
      Daniel Janz

  2. Sehr geehrter Herr Janz,
    die Nachrichten um François-Xavier Roth sind verstörend genug, und der Canard enchaîné nimmt bei seiner Wiedergabe der im Raum stehenden Anschuldigungen in der Tat kein Blatt vor den Mund. Aber vom Vorwurf „faschistischer Tendenzen“ ist – anders als Sie behaupten – im Artikel des frz. Magazins, der mir im vollen Wortlaut vorliegt, an keiner Stelle die Rede, und er würde auch keinen Sinn ergeben: Diese Keule sollten Sie bitte stecken lassen! Der Untertitel des Canard-Artikels spricht von „une fâcheuse tendance“ bei Roth, aber das meint sinngemäß etwa „peinlicher Hang“, „fatale Tendenz“, „irritierende Neigung“ o.ä. Mit Faschismus hat das nicht das Geringste zu tun – diesen Punkt sollten Sie besser schleunigst korrigieren.
    Mit freundlichem Gruß
    Prof. Dr. Werner Frick

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