Klavierhauptprobe „Der Freischütz“ Bregenzer Festspiele © anja koehler
Ich frage mich allen Ernstes, wieso darf eine Oper kein Event sein? Wieso darf man keinen Spaß haben, wenn man Oper hört und erlebt? Ist diese „Kunstform“ nur für einen kleinen Kreis Interessierter gedacht, der sie auch versteht und der die Höhen und Tiefen der Sänger beurteilen kann?
von Ralf Krüger
Anfang des Jahres erlebte ich in der Staatsoper Unter den Linden das erste Mal in meinem Leben den Rosenkavalier. Ich hatte mich vorbereitet, hatte die Handlung inhaliert, die Alltagskleidung abgelegt und im Foyer an der Theaterbrezel geknabbert. Was dann folgte war ein großartiger Opernabend mit entzückender Musik, wunderschönen Kostümen und Kulissen.
Von den Sängerinnen kannte ich nur Diana Damrau. Sie hatte vor einiger Zeit eine CD mit Operettenliedern veröffentlicht, die mir gut gefiel. Aber es war mir völlig egal, wer dort vorne sang. Was zählte war das Gesamtpaket: Ein Opernspektakel, ein Event, dass mich gut gelaunt in den nächsten Tag geleitete.
In seiner Kolumne bei klassik-begeistert mahnte Peter Sommeregger in dieser Woche: „Die Kunstform Oper sollte sich davor hüten, zum Event zu verkommen.“
Ich lese die Beiträge von Herrn Sommeregger immer sehr interessiert und gebe gerne zu: Man kann als Freund der Klassischen Musik hier sehr viel lernen und aus seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz schöpfen.
Doch ich frage mich allen Ernstes, wieso darf eine Oper kein Event sein? Wieso darf man keinen Spaß haben, wenn man Oper hört und erlebt? Ist diese „Kunstform“ nur für einen kleinen Kreis Interessierter gedacht, der sie auch versteht und der die Höhen und Tiefen der Sänger beurteilen kann?
Seit einigen Jahren gehen meine Frau und ich jeweils an den Nachmittagen des ersten Weihnachtsfeiertages in die Staatsoper. Vor zwei Jahren gab es La Bohème, voriges Jahr Die Zauberflöte und für dieses Weihnachten ist Schwanensee angekündigt. Diese Vorstellungen sind ungemein beliebt.
Ganze Familienformationen strömen hinein. Die Kinder sind chic angezogen und selbst der Papa hat seine Krawatte umgebunden. Man bemerkt bei vielen Zuschauern die Spannung, das Aufgeregt-Sein, aber auch die Freude, trotz hoher Eintrittspreise dabei sein zu können. Sie alle wollen etwas Schönes erleben, einen Feiertag mit Opernmusik, ein Event, von dem man noch lange spricht.
Der Höhepunkt der sommerlichen Konzertübertragungen von ORF III und 3sat war für mich in diesem Jahr das Konzert mit Elīna Garanča, ihren Gästen und dem Symphonieorchester der Volksoper Wien. Übertragen wurde es aus einer privaten Schlossanlage in Kitzbühel. Es war viel Giuseppe Verdi zu hören, Franz Lehár, Instrumentales von Johann Strauss, bevor man sich zum Schluss Rosen in Tirol schenkte. Meine Mutter sagte mir hinterher, dass sie ihre Tränen vor Begeisterung nicht zurückhalten konnte. Ja, das war Große Oper für Alle! Ein Abend, der lange nachhallt!
Ich frage mich: Muss man sich hier schämen, Oper wieder als Fest, als Event betrachtet zu haben?
Ich kann die Argumentation von Peter Sommeregger verstehen. Er gehört einer Generation an, die noch Klassische Musik gezielter vermittelt bekam und die (wahrscheinlich) mehr Möglichkeiten hatte, sie zu genießen und vor allem zu verstehen. Seine Sorgen sind (vielleicht) begründet. Denn wer erzählt einem heutzutage von der Geschichte dieses Musik-Genres, wer stellt Werke vor, wer gibt Anreize, ins Opernhaus zu gehen?
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wäre ein guter Partner. Doch wie sieht die Realität aus? Für Berlin und Brandenburg gibt es Radio 3 als Kulturwelle, werbefrei und von den Rundfunkgebühren finanziert. Klassische Musik wurde in die Nische von 10 bis 16 Uhr verbannt. Opernmusik gibt es dienstags und mittwochs von 14 bis 16 Uhr zu hören. Das sind tolle Sendungen mit fachkundigen Moderatoren – aber für die breite Mehrheit zu einem ungünstigen Zeitpunkt ausgestrahlt.
Also, wer bringt einem „Oper“ bei – wenn man es nicht selber tut!
Ich werde mit meiner Einschätzung, dass Oper doch ein Event sein kann und muss, in diesem Blog keine Mehrheit finden. Aber das macht nichts. Es ist erlaubt, unterschiedlicher Meinung zu sein.
Ich halte es mit meinem Kollegen, der letztes Jahr beim Freischütz in Bregenz war und mir sagte: Wenn Oper so spannend, so gruselig, so unterhaltsam daherkommt, dann gehe ich wieder mal hin.
Ralf Krüger, 28. August 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt 292: Rettet die Oper klassik-begeistert.de, 27. August 2025
Carl Maria von Weber, Der Freischütz, Romantische Oper Seebühne Bregenz, 17. Juli 2024 (Première)
Ich kann das nur bestätigen. Mein Mann und ich waren am 17. August bei der letzten Vorstellung des Freischütz bei den Bregenzer Festspielen. Weder ich und schon gar nicht mein Mann sind grosse Opernbesucher, aber dieser Abend hat uns total begeistert. Tolles Bühnbild, wunderbare Sänger und mitwirkende. Tolle Geschichte spannend inszeniert. Besser als jeder Tatort der letzten Jahre. Vor allem legeres Publikum aus allen Altersgruppen und Bevölkerungsschichten.
A. Urban
Wir waren auch bei der letzten Vorstellung am 17. August und sehr enttäuscht von der Inszenierung!
z.B: Warum müssen sämtliche Darsteller 3 Stunden durch ein undefinierbares Wasser waten?
Ernestine Bruckner-Siedler
Ich bin mir sicher, dass viel mehr Menschen in die Oper gehen würden, wenn schon in der Schule mehr Oper vermittelt werden würde. Außerdem würde der Zugang auch dadurch erleichtert werden, wenn die lokalen Theater mehr Operette wagen würden. diese Kunstform ist m.E. viel zu wenig auf den Spielplänen zu finden. Hätte schon mal den Vorteil, dass hier meistens auf Deutsch gesungen wird. Das würde der Verständlichkeit sehr entgegenkommen.
Und zum Schluss muss ich noch sagen, dass Oper ein Event ist und nicht für elitäre Snobs gedacht ist.
Ulrich Spahr
Lieber Herr Krüger,
…ich werde mit meiner Einschätzung, dass Oper doch ein Event sein kann und muss, in diesem Blog keine Mehrheit finden…
Vielleicht finden Sie hier in diesem Blog keine Mehrheit, da die meisten Opernberichte von vermeintlichen Kennern stammen und oft genug für diejenigen, die nicht jede Woche mindestens zwei mal eine Aufführung besuchen, überheblich und abgehoben klingen.
Bei mir hingegen rennen Sie offene Türen ein! Seit ich zu meinem 13. Geburtstag von meiner Patentante eine Karte für „Madama Butterfly“ geschenkt bekam, bin ich der Oper total verfallen und habe in meinem langen Leben vieles gesehen und gehört und auf zahlreichen Reisen rund um die Welt so manches Opernhaus besucht. Aber immer war es mir auch wichtig, dass die Aufführung ein „Event“ war und nicht nur ein einschläferndes „Rumstehchen“.
Zu meiner Schulzeit war der Musikunterricht obligatorisch, ich habe im Schulchor und später in Erwachsenenchören gesungen und so hat sich mit den Jahren mein Musik- und Opernverständnis herausgebildet und gesteigert. Leider wird das Fach Musik inzwischen an den meisten Schulen nach und nach völlig eingestellt. Und auch in den Elternhäusern besteht wenig Interesse an diesem Kulturzweig.
Dieser Tage gab es in der SZ einen Artikel mit dem Titel:
Kann Oper süchtig machen?
Einen Absatz daraus möchte ich hier gerne zitieren, denn er hat mich besonders begeistert:
Der grandioseste Moment einer Opernpremiere ereignet sich ganz am Ende, wenn auf die dafür oft zu kleinen Bühnen nach und nach alle Beteiligten kommen. Da drängen sich Tänzer, Chöre, Orchestermusiker, Techniker, Sängerinnen und Solisten, Regisseur, Dramaturgin, Choreograf, Bühnenbildner, Kostümmensch, Beleuchterin, Statisten, Dirigentin, Chormeister, Bühnenarbeiter, Video- und Sounddesigner, Komponistin, Librettist. Da erscheint die ganze Welt, vertreten durch die verschiedensten Gewerke, durch Künstler, Intellektuelle, Handwerker.
Das ist es was Oper zu einem Event macht – das Zusammenspiel aller Beteiligten in dieser Aufführung – zur großen Begeisterung des Publikums!
Angelika Evers, Hamburg
Liebe Frau Evers,
vielen Dank für Ihre Einschätzung. Auch für mich ist Oper ein „Event“, also ein Ereignis – allerdings NICHT mit Videopoweranimationen, mit durchgeknallt-verkopften Inszenierungen, mit Besuchern, die meinen filmen, schmatzen, rascheln und reden zu müssen.
Oper lebt von der Komposition, von den Stimmen, vom Orchesterklang, von der Interaktion, ja sie allein machen die Magie dieses EREIGNISSES aus, nicht die Megatechnik, nicht die bräsig-tumben Zuschauer, nicht die Realisationen von Regisseuren, die nicht mal ein Instrument spielen können.
Unser Blog fördert diese einzigartige, wunderbare, belebende, vitalisierende Oper und „Klassik“ – da sind wir nicht „überheblich und abgehoben“ – das ist Unsinn, pardon.
Wir glauben an und lieben hervorragende Stimmen, hervorragende Orchester, Inszenierungen, die die Handlung wertschätzen und nicht ablenken.
Leider geht heute kaum noch ein Jugendlicher mit 13 in die Oper. Und die doppelverdienenden Helikoptereltern sorgen sich mehr um das iPhone 20.0 für den Nachwuchs und dass dieser eine kaum aussprechbare asiatische Kampfsportart erlernt.
Andererseits ist mir um den spitzenmusikalischen Nachwuchs nicht bange, da a) in bildungsnahen Familien noch immer herausragende Musikerinnen und Musiker geformt werden…
und b) der Andrang von herausragenden jungen Musikern aus anderen Ländern wie Russland und China enorm ist.
Schließlich: Nennen Sie mir ein Medium, dass so profund wie verständlich über „Klassik“ schreibt – und das noch kostenfrei…
Kommen Sie gut durch den Abend,
herzlich,
Andreas Schmidt, Herausgeber
Sie haben die Magie der Oper wunderbar beschrieben. Gestern gab es auf der Berliner Museumsinsel den Stummfilm „Der Rosenkavalier“ von 1926 mit Orchesterbegleitung. Natürlich sehr schön: Gestik, Mimik, Ausstattung.
Aber mir hat der Gesang gefehlt!
Die Schlussszene habe ich mir dann zuhause mit verschieden Interpreten angehört – so war es ein kompletter Opernabend.
Petra Wagner
Lieber Herr Schmidt,
es ist durchaus verständlich, dass Sie Ihren Blog loben. Dabei betonen Sie aber auch gleich am Anfang sehr genau, was Sie über die Opernbesucher denken, die nicht Ihre musikalische Vorbildung haben und dennoch ein Konzert oder eine Oper besuchen.
Selbstverständlich bin ich auch nicht mit allem einverstanden, was mir auf manchen Bühnen vorgesetzt wird und ärgere mich über ein unkonzentriertes Publikum, würde es aber dennoch nicht als bräsig und tumb bezeichnen. DAS IST ÜBERHEBLICH!
Da bleibt wohl als einzige Alternative nur noch die CD oder DVD zu Hause.
Beste Grüße
A. Evers
Liebe Frau Evers,
Sie wollen mich nicht verstehen. Ich schrieb:
„Auch für mich ist Oper ein „Event“, also ein Ereignis – allerdings NICHT mit Videopoweranimationen, mit durchgeknallt-verkopften Inszenierungen, mit Besuchern, die meinen filmen, schmatzen, rascheln und reden zu müssen.“
Ja, liebe Frau Evers, ich erwarte mir in der Oper und im Konzertsaal: KEIN FILMEN, kein SCHMATZEN, kein RASCHELN und kein REDEN.
Ist das nicht eine Selbstverständlichkeit? Das hat nichts mit, wie Sie schreiben, „musikalischer Vorbildung“ zu tun…,
sondern NUR mit Benimm.
Ja, wer die (noch) musikinteressierte, viel Geld zahlende Majorität der Opernbesucher stört, ist genau dies: TUMB und BRÄSIG.
Er sollte lieber in eine Bar gehen (nicht mal ins Kino) und dort seinen Gelüsten – Handy, sabbeln, unruhig sein – nachgehen.
An meiner Argumentation ist nichts ÜBERHEBLICH. Ich möchte nur jeden Besucher fragen: Warum gehen Sie in die Oper?
Wenn die Antwort sabbeln, filmen, rascheln und unruhig sein ist, möge der Mensch sein gutes Geld für andere Aktivitäten ausgeben.
Diese Störenfriede vergehen sich AUCH am Werk und an den Künstlern.
Ich applaudiere innerlich jedem Menschen, der so einem Störenfried auf die Schulter tippt.
Leider ist meine Prognose für die geneigte ruhige Aufmerksamkeitsspanne von Opern-Besuchern eher verhalten.
Herzlich,
Andreas Schmidt
Wir sind ein bisschen vom Thema abgekommen, lieber Herr Schmidt. Die eigentliche Frage in dem Artikel von Herrn Krüger lautete ja: Darf Oper ein Event sein? Und dafür möchte ich eine Lanze brechen! Nun sind wir hier bei der Publikumsbeschimpfung angekommen.
Oper sollte in erster Linie fesselnd und aufregend sein (egal ob mit oder ohne Video und ob mit oder ohne Spitzensänger*innen und Orchestern) und dem Publikum einen Abend bereiten, an den es lange und mit Freude zurück denken kann. Nur so wird es auch wieder kommen und hoffentlich unsere vielen schönen Opernhäuser nach und nach wieder füllen.
Beste Grüße
Angelika Evers
P.S.: Das was die SZ schreibt ist ein Ammenmärchen: Auf welchen Bühnen in D, A und CH kommen noch bitte nach einer Premiere so viele Mitarbeiter zusammen?
Das war doch wohl mehr im übertragenden Sinne zu verstehen und sollte uns, dem Publikum, klar machen, welche Kräfte für eine Opern-Theateraufführung mobilisiert werden müssen. Ich denke, darüber machen sich die wenigsten Zuschauer Gedanken.
Angelika Evers
…das war in der SZ im konkreten Sinne gemeint, und die Zeitung müsste die Bühnen benennen, wo es so zugeht…
AS
Ich weiß wirklich nicht was ein Event ist. Wenn ich Herrn Sommeregger und seinen Beitrag richtig verstanden habe, hat er überhaupt nichts gegen ein Opernevent, wie es zuletzt hier beschrieben wurde. Was aber nicht dazu gehört, weder zu einem klassischen Opernabend noch zu einem Opernevent ist Trinken während der Vorstellung, mit dem Handy das Bühnengeschehen für seine Follower aufzunehmen, den Handyscheinwerfer während der Vorstellung zu nutzen, um den Besetzungszettel besser sehen zu können oder sich etwas aufzuschreiben (das gilt auch für die eigene Branche), und vor allem geht es nicht an, nach der Vorstellung mit Gejohle und Gekreische oder gar Pfiffen, die den Nachbarn das Trommelfell platzen lassen, seine Wichtigkeit in den Vordergrund zu stellen.
Das in der Oper immer mehr zunehmende, gesundheitsschädliche, hochtonige Geschrei und an Kriegsgeheul erinnernde akustische Toben von Teilen des Publikums ist unangemessen egoistisch und rücksichtslos den Nachbarn gegenüber. Aber man darf nichts sagen, es wird nur noch lauter posaunt.
Dr. Ralf Wegner