Foto: Hösl (c)
La Bayadère, Marius Petipa/ Patrice Bart – Musik: Ludwig Minkus
Bayerische Staatsoper, München, 14. Oktober 2017
Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts
Bayerisches Staatsorchester
Michael Schmidtsdorff Dirigent
von Raphael Eckardt
Es ist noch nicht allzu lange her, als das Bayerische Staatsballett mit „La Bayadère“ einen eher durchschnittlichen Erfolg landete. Da überrascht es aktuell umso mehr, dass Marius Petipas Meisterwerk erneut im Opernspielplan zu finden ist. Nein, feige sind sie da nicht im feinen München! Geht einmal etwas schief, versucht man es beim nächsten Mal eben erneut. Nur ein bisschen besser, mit besserer Besetzung, einer hoffentlich reiferen musikalischen Struktur und ein bisschen mehr Charme.
Leidenschaft, große Gefühle und ein emotionales Feuerwerk: Petipas „La Bayadère“ darf man ohne Zweifel als mit das Anspruchsvollste bezeichnen, was das Ballett der letzten 150 Jahre zu bieten hat. Zwei schöne Frauen kämpfen um einen stolzen Krieger in einer exotischen Ballett-Atmosphäre: Brahmanentempel, ein Radschapalast und jede Menge tolle Bilder untermalen Petipas Meisterwerk eindrucksvoll.
Nur: Ballett ist eben nicht nur Tanz und Bühnenbild, sondern auch musikalische Finesse. Und genau die sollte an diesem Abend wieder einmal zu kurz kommen. Wie schon beim Spartacus, wie schon beim Schwanensee und wie schon bei so vielen anderen Ballettaufführungen in München. Wieder einmal wurde bei einer Ballettaufführung nur die C-Garde des Bayerischen Staatsorchesters eingesetzt, und wieder einmal ging dieses mittlerweile zur Gewohnheit gewordene Experiment völlig daneben. Unerklärlich, unverständlich und – vor allem bei dieser tänzerischen Weltklassebesetzung – jammerschade!
Mit Prisca Zeisel (Gamzatti) und Sergei Polunin (Solor) stehen an diesem Abend zwei Namen auf dem Programm, die in der internationalen Ballettszene zum tänzerischen Nonplusultra zählen. Hier eine schnelle Drehung, da eine Pirouette: Alles wirkt harmonisch, alles geschieht in einer penibel sauber durchgeführten Synchronität. Mein lieber Freund, sind diese Tänzer gut! Während im Hintergrund chaotische Menschentrauben unruhige Schwingungen aufs Parkett trampeln, bleiben Zeisel und Polunin die Ruhe selbst. Mit beeindruckender Gestik schwingt sich Solor bereits im ersten Akt in himmelhoch jauchzende Sphären auf. Wie ein bunter Drache, dem die Thermik des Herbstwindes zu Gute kommt, scheint Polunin über den Dächern der Staatsoper zu schweben. Zeisel agiert etwas bodenständiger: Ihre feinfühligen Trippelschritte begeistern dabei allerdings keineswegs minder.
Und dann ist da noch Lauretta Summerscales! Als leidenschaftliche Nikija überstrahlt sie an diesem Abend ihre Tänzerkollegen beinahe allesamt: Schatten von Luftschlangen weben sich durchs Publikum. Transparent und dennoch mit scharfen Konturen versehen verweben sie sich zu einem Netz, dessen Maschen enger und enger zu werden scheinen. Alles ist wunderbar authentisch, wunderbar emotional, ja, für das Auge ist dieser Abend ein Hochfest an Farben, Emotionen und Bewegungen.
Genau deshalb muss man an dieser Stelle zwei Personen ganz besonders loben, die für die musikalische Verkorkstheit dieses Abends wohl am allerwenigsten können: Zum einen den französischen Choreographen Patrice Bart und zum anderen den japanischen Kostümbildner Tomio Mohri. Chapeau, meine Herren, das ist ganz ganz große Kunst!
Während im Hintergrund wilde Hindu-Tänzer für einen Funken Erotik sorgen, brilliert im Vordergrund Yonah Acosta als kraftvoll-kantiges „Goldenes Idol“. Münchens – vom Merkur einst als „edel-kühle“ Myrtha bezeichnete – Ballettdiva Elaine Underwood kehrt auch dieses Jahr für „La Bayadère“ als kundig-wichtige Spitzenschuhverwalterin aufs Edelparkett zurück. Ihre Rolle als oft zum Drama neigende Sklavin Aija wirkt eigentlich durchaus authentisch. Zarte Bewegungen wechseln sich mit impulsiven Elementen ab. Man wähnt sich in einem Labyrinth aus tänzelnden Lianen: Jede Windböe legt neue Wege frei. Gekonnt bahnt sich Underwood ihren Weg aus den Tiefen des Urwalds. Eine eigentlich famose Darbietung! Doch wie alle Tänzer hat sie an diesem Abend ein nicht abzustreitendes Problem: Wie alle Tänzer wird auch Underwood an diesem Abend musikalisch fallen gelassen.
In der musikalischen Planung der Bayerischen Staatsoper bedarf es dringend einer Änderung: Wenn man einen wirklich guten Klangkörper wie das Bayerische Staatsorchester und außerordentlich talentierte Ballettbesetzungen zur Verfügung hat, darf man beides auch einmal kombinieren. In Gesamtheit mangelt es an der für dieses Ballett unbedingt geforderten ausgefeilten, geschliffenen Technik und Musikalität.
Ludwig Minkus ist freilich kein Aram Chatschaturjan oder Peter Tschaikowski. Nein, Minkus ist aber dennoch ein Komponist, der sein Handwerk durchaus verstanden hat und sehr passable Ballettmusik komponiert hat. Im vergangenen Juli habe ich Chatschaturjans „Spartacus“ an der Bayerischen Staatsoper besucht und mich über die musikalische Leistung des Opernensembles geärgert.
Nun, an diesem Abend wird klar: Wer Minkus musikalisch nicht versteht, kann die Komplexität eines Chatschaturjan erst recht nicht verstehen. Musikalische Phrasen verwaschen zu einem unerträglichen Einheitsbrei, dynamische Nuancen sucht man die komplette Dauer über vergeblich. Nein, auch den ungeschulten Hörer dürfte man mit einer solch lieblosen Darbietung kaum überzeugen können.
Der musikalische Unterschied zwischen Münchner Opernaufführungen und Ballettdarbietungen wurde in den vergangenen Jahren immer größer. Es wird allerhöchste Zeit, dass sich der Umbruch, der im vergangenen Jahr in der Münchner Ballettszene stattfand, auch auf das musikalische Niveau auswirkt. Tänzerische Glanzleistungen gehen in München mit beängstigender Regelmäßigkeit an musikalischem Mittelmaß zugrunde, das so an einem Opernhaus von internationalem Format nichts zu suchen haben darf. Denn, ob man es glaubt oder nicht: Auch ein tänzerisch dahindudelnder Minkus kann, wenn er verstanden und gut musiziert ist, durchaus ansprechend klingen.
Raphael Eckardt, 15. Oktober 2017, für
klassik-begeistert.de