80 Prozent Auslastung – 80 Prozent Leistung

La Cenerentola (Aschenbrödel), Gioachino Rossini
Hamburgische Staatsoper, 5. Oktober 2016

Opernfreunde, die das Vergnügen hatten, schon einmal länger im 970 Kilometer entfernten Wien zu verweilen, dürften ein wenig enttäuscht auf den Beginn der Opernsaison an der Hamburgischen Staatsoper blicken. In den Monaten September und Oktober bringt das Haus an der Dammtorstraße fünf verschiedene Opern auf die Bühne. An der Wiener Staatsoper sind es 13 Opern. Und es gibt an der Donau bei mit 1,8 Millionen Einwohnern gleicher Bevölkerungszahl insgesamt drei Opernhäuser, so wie in Berlin. Nein, ein Mekka für Opernenthusiasten ist Hamburg im deutschsprachigen Raum eher nicht. Die Opernsaison kommt an der Elbe sehr langsam in Schwung.

Nach einer verkorksten Premiere mit der „Zauberflöte“ von Wolfgang Amadeus Mozart am 23. September – warum fängt die Opernsaison in Hamburg eigentlich so spät an? – , die mit einem „Buh-Orkan“ (NDR 90,3) für die grauenvolle Lichtinszenierung quittiert wurde, kam jetzt als zweites Werk der Saison „La Cenerentola“ (Aschenbrödel) von Gioachino Rossini auf die Bühne. Bei der zweiten Aufführung war die Staatsoper zu 80 Prozent besucht – und so war auch die musikalische Leistung an diesem Abend zu bewerten: Unterm Strich gut, aber nicht 100 Prozent: nicht sehr gut.

Drei Sänger lieferten bei der 29. Aufführung seit dem 8. Mai 2011 im fast sehr guten Bereich ab: Allen voran der Armenier Tigran Martirossian als Don Magnifico. Der Stiefvater von Aschenbrödel überzeugte durch einen profunden Bass und sehr viel Spielfreude. Der Rolle angemessen gab er sich darstellerisch wie stimmlich tölpelhaft – eine wirklich schöne Darbietung. „Ich freue mich, dass ich diesen phantastischen Bass insgesamt fünf Mal als Don Magnifico hören werde“, bilanzierte der Opernenthusiast Matthias Prettl, 61, aus Hamburg.

Sehr angenehm anzuhören war auch das Ensemblemitglied Dorottya Láng als Cenerentola. Die ungarische Mezzosopranistin hat mit ihren 30 Jahren eine sehr schöne Tiefe und wusste vor allem auch zum Schluss des zweiten Aktes („Nacqui all’affanno“ / „Aus Kummer und Tränen“) in der Höhe zu gefallen. Wer allerdings schon einmal Elīna Garanča in dieser Partie gehört hat, weiß, dass dies keine internationale Spitzenleistung war.

Mit beeindruckendem Volumen und angenehmer Stimmfarbe überzeugte auch der Bariton Giorgio Caoduro als Alidoro. Der junge Italiener gastierte bereits an vielen renommierten Opernhäusern weltweit, darunter am Teatro alla Scala in Mailand, am Royal Opera House Covent Garden in London, an der San Francisco Opera, in der Opéra National de Paris und an der Berliner Staatsoper. Sein Debüt an der Dammtorstraße gab er in der Spielzeit 2013/14 als Rolando in „La Battaglia di Legnano“ von Giuseppe Verdi.

Groß angekündigt hatte die Hamburgische Staatsoper Levy Sekgapane in der Rolle des Don Ramiro, Prinz von Salerno. Der junge Tenor wurde in Kroonstad in Südafrika geboren. In den letzten Jahren hat er verschiedene Preise gewonnen, darunter 2015 den 1. Preis beim Montserrat Caballé Wettbewerb in Spanien. Seit Beginn der Spielzeit 2015/2016 ist Levy Sekgapane Mitglied im Jungen Ensemble der Semperoper Dresden. Künftige Projekte bringen ihn als Albazar („Il turco in Italia“, Rossini) zum Rossini Opera Festival nach Pesaro. Er singt auch den Conte d’Almaviva („Il barbiere di Siviglia“, Rossini) am Aalto Theater Essen und an der Oper Oslo. An der Oper Kopenhagen und der Oper Rom wird er den Liebenskof der Rossini-Oper „Il viaggio a Reims“ singen.

Keine Frage, der Südafrikaner hat sehr großes Talent, aber zahlreiche Intonations- und Textfehler zeugten davon, dass er sich noch weiter entwickeln muss. Dass er das hohe C zu singen vermag, bewies er mehrfach, allerdings nicht leichtens, sondern gepresst. Ein Wohlfühl-Tenor hört sich anders an.

Keinen guten Eindruck machte an diesem Abend das Philharmonische Staatsorchester unter der Leitung von Gregor Bühl. Die Hälfte des Orchesters weilt derweil auf einer dreiwöchigen Tournee durch Südamerika, so ist bei „La Cenerentola“ ein Viertel der Besetzung mit Aushilfen abgedeckt. Und das war deutlich zu hören: Fehler über Fehler in fast allen Orchesterteilen. Das stört! Ja, und es fehlte die Einheit, der Rossini-Sound. Das war bei vielen Musikern mehr ein „Vom-Blatt-Abspielen“.

Der Regisseur Renaud Doucet und der fürs Bühnenbild und Kostüme zuständige André Barbe sorgen mit ihren bildgewaltigen Bühnenelementen, mit Rollerbladefahrern und rollenden Maschinenfiguren für eine abwechslungsreiche bunte Szenerie: „Wir verlegen die Handlung von ‚La Cenerentola‘ in eine Zukunft, wie sie sich die Menschen im dritten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts ersehnt haben“, sagen Renaud Doucet und André Barbe. „Die 30er-Jahre waren eine Krisenzeit, der jeder mit Hilfe seiner Träume zu entkommen suchte: Man stellte sich eine ideale, modernistische Welt im nächsten Jahrtausend vor, deren Bewohner wieder glücklich und unbeschwert sein würden.“

Andreas Schmidt, 6. Oktober 2016
klassik-begeistert.de

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