In der Nähe des Festspielparks ist jede Straße nach einer von Wagners Opern oder einigen seiner HeldInnen benannt. Die Siegfried-Allee führt direkt zum Theater. Am Zaun eines der Häuser am Rand des Festspielparks hängt ein Schild, an dem die eingravierte Inschrift verkündet: „IN DIESEM HAUSE KOMPONIERTE RICHARD WAGNER… nichts“. Das Wort „NICHTS“ steht in der letzten Zeile, so klein geschrieben, dass man es leicht übersehen kann.
von Jolanta Łada-Zielke
Die Besitzerin des Hauses Dr. Christa Pawlofsky ist Ärztin für psychosomatische Medizin und praktiziert Psychoanalyse sowie Psychotherapie. Ich besuchte sie und fragte, wie sie auf die Idee von einer solchen Botschaft kam, die so trotzig klingt, besonders in dieser Umgebung, wo sich alles um Richard Wagner dreht.
Das war ein lustiger Einfall von mir. Ähnliche Schilder gibt es auch auf anderen Häusern, zum Beispiel „hier wohnte Richard Wagner, Jean-Paul, von dann bis dann“, und so weiter. 2013 habe ich beschlossen, so eine Art Schild aus Messing fertigen zu lassen, worauf steht, dass Wagner hier „nichts“ komponierte. Also ein kleiner Scherz. Es geht mir nicht darum, gegen den Komponisten aufzubegehren. Ich mag Richard Wagner und die Festspiele. Was mich stört, ist der elitäre Charakter dieser Veranstaltung, die allen zugänglich sein sollte, die sich dafür interessieren. Noch bis vor kurzem war es für die Bayreuther schwierig, Eintrittskarten für das Festspielhaus zu bekommen. Sie sind jetzt leichter verfügbar, vor allem durch den Onlineverkauf. Die Preise sind aber so hoch, dass es sich ein Durchschnittsbürger nicht leisten kann. Vielleicht haben Sie also ein bisschen Recht dazu, dass eine gewisse Provokation gegen dieses Elitäre des Festspielbetriebs enthalten ist.
Hat man Sie schon einmal wegen dieser Inschrift angesprochen?
Ja, manchmal kommt es vor, dass jemand klingelt und fragt: „Dürfte ich das Haus von innen sehen? Hier hat ja Wagner komponiert!“ Dann sage ich: „Lesen Sie das Schild bitte nochmal genau.“ Diese Person guckt sich das Schild an, und ich deute auf das letzte, kleine Wort hin. „Ach, so…“, sagt man dann. Aber ich freue mich, dass Sie dieses Wort sofort gesehen haben.
Dr. Pawlofsky erzählt mir von ihren anderen künstlerischen Aktionen, die sie in Bayreuth unternommen hat. 2012 wurden im Festspielpark die bunten Wagnerskulpturen von dem Nürnberger Künstler Ottmar Hörl errichtet, die etwa halb so groß sind, wie der Komponist wirklich war. Christa zog ihnen damals selbstgenähte Zwergenmützen an. Letztes Jahr, als auf dem Grünen Hügel Totenstille herrschte, setzte sie eine selbstgefertigte medizinische Maske auf Wagners Gesicht auf seinem Podest im Festspielpark. Die Maske hatte man drei Stunden später wieder entfernt.
In ihrer Freizeit spielt die Ärztin Klavier und malt. In ihren Bildern stellt sie zum Beispiel eine Tastatur im Grünen dar; so zeigt sie die Verbindung der Musik und Kultur zur Natur. In ihrem Garten hat sie ein Klavier als Kunstobjekt vergraben. Es heißt Moments musicaux . Das zeigt, dass alles vergänglich ist. Natürlich wollen wir, dass die Musik uns überlebt, aber sie dauert nur einen Augenblick, un moment…
Christas Lieblingsfilm ist „Das Piano“ von Jane Campion. Ich erzähle ihr die Geschichte über Chopins Flügel, den die russische Polizei durch das Fenster seiner Warschauer Wohnung geworfen hat.
Brünnhilde als Triumph der Weiblichkeit
Christa hat sich eine eigene Geschichte von Brünnhildes Schwangerschaft ausgedacht und einen Bilderzyklus zu diesem Thema gemalt. Eins von ihnen besteht aus drei Teilen und heißt „Sehnsucht nach Siegfried“. Es gibt eigentlich zwei Arten von dieser Sehnsucht. Die erste ist unbewusst, nach dem unbekannten Helden, der sie aufwecken soll. Die zweite ist reif und verzweifelt, nach dem verlorenen Siegfried, der seine Geliebte verraten hat. Aber es gibt da auch einen Hoffnungsschimmer für einen Neuanfang.
Wir sprechen auch über Wotans Beziehung zu Brünnhilde, die seine geliebte Tochter war, solange sie seine Erwartungen erfüllte. „Er hat nur an sich gedacht“, behauptet Christa. Wir teilen auch unsere Meinung zur zeitgenössischen Inszenierung von Wagners Werken. Dr. Pawlofsky sagt, dass es zu wenige Geheimnisse in den aktuellen Inszenierungen gibt. Das ist alles ein Regietheater, beraubt des Mystizismus, der ein wichtiger Bestandteil von Wagners Schaffen ist.
Wenn Sie den Vorschlag bekommen hätten, das Bühnenbild zu einer der Wagner- Opern zu machen, welche würden Sie wählen?
Ich würde „Den Ring“ am liebsten machen.
Christa zeigt mir ihre Illustrationen zum „Ring des Nibelungen“. Einige sind ihre eigene Interpretation einzelner Szenen. Am meisten bewegt mich die Darstellung, als Gutrune dem Siegfried die Haare schneidet, wobei Brünnhilde die beiden erwischt. Das erinnert mich an den biblischen Samson, der seine Macht verlor, nachdem man ihm die Haare abgeschnitten hatte. Die Darstellung von Brünnhilde in den Bildern von Christa ist Weiblichkeit in ihrer reinen Form; nackt, ohne Rüstung oder Waffen, dabei aber wunderschön und voller Leben.
Meiner Meinung nach könnte Dr. Pawlofsky erfolgreich die Szenerie für die Wagnersche Tetralogie vorbereiten. Manchmal lädt man hierzu Leute mit berühmten Namen aus der Ferne ein, ohne zu wissen, welchen Schatz man in seiner Nähe hat. Ein solcher Schatz befindet sich in Bayreuth, in einem Haus, in dem Wagner NICHTS komponiert hat…
Jolanta Łada-Zielke, 1. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Liebe Frau Kollegin!
Eine ganz tolle Klassikwelt! Und dazu die Bilder!! Heute als Morgenlektüre genossen. Da fängt der Tag schon gut an.
Herzliche Grüße!
Lothar und Sylvia Schweitzer
Danke schön 🙂
Jolanta Łada-Zielke