Foto: Leif Ove Andsnes © Gregor Hohenberg
In Zeiten diverser Krisen sind es diese besonderen musikalischen Abende, die das Publikum für wenigstens 120 Minuten dazu einladen, die Alltagsgedanken beiseitezuschieben, zu genießen und sich in klingenden Momenten zu verlieren. Wenn erst das Saallicht den tosenden Applaus eindämmen kann, ist wohl von einem vollen Erfolg zu sprechen.
Magnus Lindberg: Serenades for orchestra (2021)
Edvard Grieg: Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 16
Richard Strauss: Also sprach Zarathustra
Leif Ove Andsnes, Klavier
NDR Elbphilharmonie Orchester
Mikko Franck, Dirigent
Elbphilharmonie, 2. Dezember 2022
von Elisabeth Tänzler
Die Elbphilharmonie ist ausverkauft, schon seit einigen Wochen war es nur schwer möglich, Karten für die beiden Konzertabende am vergangenen Donnerstag und Freitag zu ergattern und so begrüßt ein voll besetztes NDR Elbphilharmonie Orchester den ebenfalls voll besetzten Großen Saal.
Ein vielseitiges Programm steht auf den Pulten bereit. Stellt man sich nun auf die abendlich einstimmenden Serenadenklänge ein, wird man von Magnus Lindbergs Serenades doch schnell überrascht. Das Orchester bereitet sich in nahezu Strauss-Größe vor und entrollt für die folgenden 15 Minuten einen immensen Klangteppich, der sich hin und wieder für die hervorragend dargebotenen Solopassagen der stimmführenden Hornistin, Claudia Strenkert, und auch für Markus Hötzel an der Tuba öffnet. Der entrollte Teppich mag dennoch ein fliegender sein, denn die Klangsphären bewegen sich in stetigem Auf und Ab. Mal so massiv, dass die Ohren den Augen folgen müssen, um die Instrumentierung greifbar zu machen, mal so einladend lyrisch, dass sich die Hörassoziationen sofort in Richtung einer John Williams-Filmmusik bündeln. Der aus Finnland stammende Lindberg bietet dem sich begeistert zeigenden Publikum ohne Frage ein Hörerlebnis, steigert jedoch auch gleichzeitig die Vorfreude auf das nachstehende Werk – Griegs Klavierkonzert in a-Moll.
Seinen eigenen auf Folklore aufbauenden und unverwechselbaren norwegischen Nationalstil entwickelte Edvard Grieg im Laufe seiner Kompositionen – darunter ist sein Klavierkonzert als absolutes Paradebeispiel zu nennen. Ohnehin steckt so viel Norwegen in diesen drei Sätzen, sodass der Norweger Leif Ove Andsnes, der das Soloklavier übernimmt, der gestrigen Aufführung die Krönung verleiht. Eine höchst ausdifferenzierte und charakterstarke Version lässt er dabei erklingen und bereitet nicht nur Gänsehautmomente, sondern bringt den gesamten Großen Saal während der Kadenz im ersten Satz zum gänzlichen Schweigen.
Nicht ein Husten ist zu vernehmen – und das bei gerade herrschender Grippe- und Erkältungswelle. Es scheint also doch einen großen Unterscheid zu machen, ob man als Interpret die gleiche Luft „atmen“ durfte. Ob Melodien und Tänze nicht nur folkloristische Elemente bilden, sondern jene schon gesungen und getanzt wurden – all das führt zu dieser so glaubhaften Darbietung am gestrigen Abend. Ohne einen kleinen Wermutstropfen darf das Publikum sich jedoch nicht in die Pause und somit der schnellen Einreihung in die Schlange an den Toiletten begeben. Die Übergänge zwischen Solopassagen und Orchestertutti gelingen häufig nicht reibungslos – eine Timingfrage, die Mikko Franck bis zum Schlusston leider nicht hundertprozentig abfangen kann, die den Genuss dieses Solokonzertes jedoch keineswegs schmälert.
Mit gipfelndem Intellekt, der Tondichtung von Richard Strauss zu einem der Hauptwerke Friedrich Nietzsches, Also sprach Zarathustra, eröffnet das NDR Elbphilharmonie Orchester die zweite Hälfte und beschließt damit gleichzeitig den Konzertabend. Es sind vermutlich jene 90 Sekunden Einleitung, die das Publikum fieberhaft erwartete, auch wenn die folgenden 33 Minuten Musik auf den Streamingplattformen so gerne übersprungen werden. Die Musiker und Musikerinnen beweisen jedoch, wieso das Vorspulen zum Fehler wird und erfüllen die Philharmonie mit strahlendem Klang, um diese zuweilen schwer fassliche programmatische Musik erlebbar zu machen. Etwas selbstständig muss der Orchesterapparat dabei agieren mit einem eher dekorativen Dirigat, wenn Mikko Franck den Musikern bei einigen Soloeinsätzen den Rücken zuwendet und die Zuhörenden das Gefühl erschleicht, sie würden von ihm mehr dirigiert als das Orchester selbst. Neben den eindrücklichen Soli des Konzertmeisters Roland Greutter, gestaltet der Bläsersatz mit hervorragend intonierten stehenden Akkorden einen atemberaubenden Schlussteil.
In Zeiten diverser Krisen sind es diese besonderen musikalischen Abende, die das Publikum für wenigstens 120 Minuten dazu einladen, die Alltagsgedanken beiseitezuschieben, zu genießen und sich in klingenden Momenten zu verlieren. Wenn erst das Saallicht den tosenden Applaus eindämmen kann, ist wohl von einem vollen Erfolg zu sprechen.
Elisabeth Tänzler, 3. Dezember 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Klavierabend Leif Ove Andsnes, Klavier Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 11. November 2022
Liebe Elisabeth,
Es freut mich, dass Du dich vom NDR EO so begeistern konntest. Ich persönlich habe dieses in letzter Zeit eher als „Beamtenorchester“ denn als Spitzenklangkörper wahrgenommen. Aber das ist Geschmackssache.
Eine Korrektur hätte ich dennoch: Die Kartensituation in der Elphi ist, gerade beim NDR Orchester, weit entspannter als an anderen Häusern. Beispiel Wien: Die heutige Meistersinger-Premiere ist seit Wochen ausverkauft, Karten gab es sporadisch für 189€+. Gestern um 10 Uhr früh ist das Stehplatzkontingent in den Vorverkauf gegangen. Die guten Plätze waren nach 2 Minuten weg, 2 Stunden später war nix mehr zu haben. Und nix heißt da auch nix, da sind genau nullolullzig Karten zurück gekommen. Es sei denn, man wollte 5-6 Stunden in der bitteren Dezemberkälte ausharren, um anschließend weitere 7 Stunden am Stehplatz zu stehen.
Als im Feber bei uns Netrebko die Mimì gesungen hat, gab’s Berichte von Leuten, die für 300€ pro Karte es vor der Abendkasse versucht haben. Und leer ausgegangen sind.
Beste Grüße aus Penzing
Peter Walter