Lena Belkina © Stefan Seelig
Großer Ehrbar Saal, Wien, 12. Mai 2023
Lieder von Dvořák, Schubert, Liatoshynskyi, Ravel und de Falla
Lena Belkina, Mezzosopran
Alejandro Picó-Leonís, Klavier
von Dr. Rudolf Frühwirth
Die ukrainische Mezzosopranistin Lena Belkina war am 12. Mai 2023 zu Gast im großen Ehrbar Saal im Rahmen der Schubertiade Wieden. Für alle, die Wien nicht so gut kennen: Wieden ist der 4. Wiener Gemeindebezirk und beherbergt auch die Ehrbar Säle, erbaut von 1876 bis 1877. Nach einer wechselvollen Geschichte werden die Säle heute von der Klaviermanufaktur C. Bechstein betrieben.
Der Bogen, den Lena Belkina spannte, reichte von Schubert über Dvořák, Ravel und de Falla bis zum 1968 verstorbenen ukrainischen Komponisten Borys Liatoshynskyi. Sie sang also in nicht weniger als fünf Sprachen. Alejandro Picó-Leonís, der Initiator und künstlerischen Leiter der Schubertiade, war der Sängerin ein stilsicherer und einfühlsamer Begleiter. Er spielte einen Bechstein-Flügel, dessen warmer Klang mir sehr gut gefiel.
Der Abend begann mit den Zigeunermelodien op. 55 von Antonín Dvořák nach Texten von Adolf Heyduk. Die sieben Lieder sind abwechslungsreich, teils beschwingt und tänzerisch, teils ruhig und sehnsuchtsvoll, während das letzte als Hymnus auf die Freiheit verstanden werden kann. Sängerin wie Pianist boten eine inspirierte Interpretation.
Der folgende Abschnitt brachte fünf der bekanntesten Lieder von Franz Schubert, dessen Sterbehaus nur ein paar Gehminuten entfernt von den Ehrbar Sälen liegt, ebenfalls „auf der Wieden“, wie es auf gut Wienerisch heißt. Lena Belkina begann mit dem „Erlkönig“, hochdramatisch gestaltet und effektvoll. Die Differenzierung der drei Stimmen von Vater, Sohn und Erlkönig gelang ihr ausgezeichnet. Im folgenden „Gretchen am Spinnrad“ mit seiner rastlosen Klavierbegleitung brachte sie die quälende Unruhe und Sehnsucht des Gretchen überzeugend zum Ausdruck. Das „Lied der Mignon“ erklang schmerzlich, „Auf dem Wasser zu singen“ wieder ruhig, im Einklang mit der lautmalerischen Klavierbegleitung. Im abschließenden „Du bist die Ruh“ folgte ihr das Publikum in lautloser Stille, so innig war der Gesang von Lena Belkina in diesem wundervollen Lied, so tiefempfunden ihr Wunsch nach Frieden.
Der Teil nach der Pause begann mit den Liedern aus op. 6 und op. 9 von Borys Liatoshynskyi, nach Gedichten von Hebbel, Heine, Verlaine, Wilde und drei russischen Dichtern, alle in Übersetzungen in das Ukrainische. Ich hörte die Lieder aus den Jahren 1922 und 1924 an diesem Abend zum ersten Mal, ich kann daher lediglich sagen, dass sie mir harmonisch interessant durchaus interessant vorkamen, mit hörbaren Einflüssen von Skrjabin und vielleicht auch Schostakowitsch. Die Interpretin war hier in ihrem Element. Sie wusste die düstere, schmerzliche Grundstimmung perfekt zur Geltung zu bringen, mit gedämpftem und doch ausdrucksvollem Stimmeinsatz.
Die fünf griechischen Volkslieder von Maurice Ravel sind entzückende Miniaturen aus dem griechischen Landleben, in das Französische übertragen von Michel Calvocoressi. Die Vertonung ist typischer Ravel, mit mediterranen Anklängen und einem transparenten Klaviersatz. Die Interpretation durch Lena Belkina und ihren Begleiter war entsprechend beschwingt und leicht.
Den Abschluss des regulären Programms bildeten die sieben spanischen Volkslieder von Manuel de Falla. Hier haben mich besonders die verschiedenen spanischen Tanzrhythmen hingerissen, so zum Beispiel die Seguidilla aus Murcia oder die Jota, die mit virtuosem Klaviersatz glänzt. Der spanische Pianist war ein idealer Begleiter der Sängerin, die hier ihr lebhaftes Temperament ausspielen konnte.
Die Zugabe war ein ukrainisches Volkslied. Mit großer Emphase gesungen, animierte es das Publikum zu einem herzlichen Applaus zum Abschied.
Dr. Rudolf Frühwirth, 16. Mai 2023, für
Klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
P.S.: Am 23. und 24. Mai wird Lena Belkina im Königlichen Theater in Kopenhagen in Anwesenheit der dänischen Königin das Agnus Dei aus dem Requiem für Mariupol von Illia Razumeiko singen.
Lena Belkina, Benefiz / CD-Präsentation „Spring Night“, Mozarthaus, Wien, 19. März 2022
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