Ergriffenheit macht sich breit bei Janáceks "Katja Kabanova" in der Hamburgischen Staatsoper

Leoš Janácek, Katja Kabanova,  Hamburgische Staatsoper, 24. September 2019

Foto: © Forster

Hamburgische Staatsoper
24. September 2019

Leoš Janácek, Katja Kabanova

von Iris Böhm

Vor genau 100 Jahren, mit 65, begann Leos Janacek damit, diese wunderbare Oper zu komponieren. Als Vorlage diente ihm das russische Schauspiel „Das Gewitter“ von Alexander Ostrowski. Janacek war sein eigener Librettist, hat sich trotz Kürzungen weitgehend an die Vorlage gehalten. Es war ihm ein besonderes Anliegen, das russische Volk darzustellen, da er eine tiefe Verbundenheit zu Russland verspürte.  

Meine letzte Katja-Aufführung liegt ungefähr 30 Jahre zurück. Damals hat sich Karita Mattila in mein Herz gesungen. In dieser Vorstellung ist es Olesya Golovneva. Sie geht die Partie ganz anders an als damals Karita Mattila in der Inszenierung von Peter Ustinov. Olesya Golovneva ist eine grazile, zerbrechliche Katja, die mit dem Leben nicht zurechtkommt, deren Seele restlos zerstört wird in dieser eiskalten erstarrten von Gefühllosigkeit geprägten Familie. Ihre Seele will davonfliegen.

„Warum können wir nicht fliegen“ singt sie. Sie stellt diese einfache Frage in den Raum und ich spüre als Zuschauer, Olesya Gogovneva will es wirklich wissen. Sie breitet die Arme aus und singt sehnsüchtig, herrlich frei, schlicht und doch voller Schattierungen, himmlisch schön. Zum Ende hin schafft sie es, nach fast 90 Minuten Bühnenpräsenz noch weiter stimmlich aufzublühen. Diese Sängerin ist mit ihrer Bühnenpräsenz, ihren Bewegungen und Blicken und ihrem Spiel für diese Inszenierung eine absolute Idealbesetzung.

Willy Decker und Wolfgang Gussmann bieten ihr die Bühne dafür. Der „goldene“ Käfig in Form eines Bretterkastens lässt sich variabel verwandeln. Einmal öffnet er sich zu einem Himmel voller Vögel, dann engt er sich ein gleich einem Sarg, ein anderes Mal flutet für einen Augenblick die Sonne den Raum mit Hoffnung, wenn Katja den Schlüssel zum Liebesglück in den Händen hält.

So schlicht und ergreifend das Bühnenbild ist, so stark ist auch die Inszenierung. Als sich der Vorhang nach dem ersten Akt schließt, macht sich Ergriffenheit aufgrund der aussichtslosen Atmosphäre breit.

Für diese Atmosphäre ist das gesamte Ensemble auf der Bühne verantwortlich.

Jürgen Sacher als willenloser Tichon ist zwischen dem Gehorsam zu seiner Mutter und seiner Rolle als Ehemann von Katja hin- und hergerissen. Er versteht die Welt nicht. Er versteht vor allem seine Frau nicht und wirkt hilflos seinem Leben ausgeliefert. Sehr schön gespielt und überzeugend gesungen von dem schon lange Jahre verbundenen Tenor Jürgen Sacher.

Edgaras Montvidas in der Rolle des Boris, der Katja liebt, ist in der Darstellung ein zurückhaltender, passiver Mann, der sich seiner Rolle in der Familie fügen muss. Er liebt von Herzen, ist aber feige. Jeder Auftritt des litauischen Tenors Edgaras Montvidas ist intensiv, anmutig und glaubwürdig. Er ist ein sehr männlicher, großer Typ, dazu hat er eine tragende, lyrische, das Herz wärmende Stimme. Verständlich, dass Katja ihm ihr Herz geschenkt hat.

Die befreiten, fröhlichen und lebensbejahenden Auftritte der Ensemblemitglieder Oleksiy Palchykov als träumerischer Wanja und der reizenden Mezzosopranistin Ida Aldrian als Varvara führen jedesmal in die beschwingte Leichtigkeit des Lebens. Und genauso singen beide auch. Das Liebespaar harmoniert stimmlich perfekt miteinander. Sie sind mit ihrer ansteckenden Fröhlichkeit der absolute Kontrast zu allen anderen Figuren. Es ist eine Freude, den klaren, jugendlich klingenden Stimmen zuzuhören.

Hanna Schwarz stellt die eifersüchtige Mutter unerbittlich, eiskalt fordernd, ohne Mitgefühl dar. Sie ist immer noch eine starke Persönlichkeit auf der Bühne des ihr so viele Jahre vertrauten Hauses. Sie zickt und hext, dass man manches Mal in seinem Opernsessel zusammenzuckt.

Unbedingt erwähnt werden muss noch Oliver Zwarg als Dikoj, der mit schauspielerischer Glanzleistung und samtig-warmer Bassstimme herrlich ungestüm über die Bühne stolpert.

Das Philharmonische Staatsorchester wurde etwas leidenschaftslos geleitet von Johannes Harneit. Es hat in der Komposition von Janacek so viele Facetten und Farben, bleibt aber hinter dem Bühnengeschehen zurück. Die russische Seele, die auf der Bühne so stark und beklemmend ist, kommt im Orchestergraben nur wenig zum Ausdruck.

Insgesamt bleibt ein wunderbarer, spannungsgeladener Opernabend im Gedächtnis. Aber auch die fragilen, verletzlichen Eindrücke regen weiter zum Nachdenken an. Das begleitende Programmheft ist voller berührender Texte und liebevoll ausgesuchter Bilder. Ich freue mich schon auf die nächste Katja-Vorstellung.

Iris Böhm, 25. September 2019, für
klassik-begeistert.de

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