Starke Frauen in russischer Provinz: Anna-Maria Kalesidis begeistert als Katja Kabanowa

Theater Freiburg, 27. Januar 2018
Leoš Janáček, Katja Kabanowa
Philharmonisches Orchester Freiburg
Opernchor des Theater Freiburg
Musikalische Leitung     Fabrice Bollon
Regie                                      Tilman Knabe
Dikoj                                       Juan Orozco
Boris                                       Harold Meers
Kabanicha                            Anja Jung
Tichon                                   Roberto Gionfriddo
Katja                                       Anna-Maria Kalesidis
Kudrjasch                             Joshua Kohl
Warwara                               Inga Schäfer

von Leah Biebert

Gebrechliche Mütterchen in Kopftüchern, aufgebrezelte Mädchen in hautengen Jeans. Ein Obdachloser sammelt Müll am Flussufer, man trinkt Wodka und raucht Zigaretten. Ein allzu klischeehaftes Bild der russischen Provinz ist es, das dem Theaterbesucher an diesem Samstagabend in Freiburg vermittelt wird. Die Inszenierung von Leoš Janáčeks dreiaktiger Oper Katja Kabanowa wirkt trotz unkonventioneller Lichteffekte ideenlos, was aber vor allem die weiblichen Darsteller durch ihr großartiges Spiel wieder wettzumachen wissen.

Am Ufer der Wolga klagt Boris (Harold Meers) seinem Freund Kudrjasch (Joshua Kohl) sein Leid: Er muss die Schikanen seines Onkels ertragen, von dessen Wohlwollen er abhängig ist, muss bei ihm in der Provinz leben und hat sich auch noch in eine verheiratete Frau verliebt. Dass sich die russische Jugend heutzutage singend unterhält, wirkt fast wie Realität, so ungekünstelt lässig stehen die beiden am Rand der Bühne, Nebelschwaden hinter sich, und rauchen eine Zigarette nach der anderen. Süß erklingt die Melodie einer Flöte.

Katja Kabanowa (Anna-Maria Kalesdis), Boris‘ Herzensdame, ist nicht weniger unglücklich als er. Sie vertraut sich Warwara (Inga Schäfer) an, die als Pflegetochter im Haus der Kaufmannswitwe, Katjas Schwiegermutter Kabanicha (Anja Jung), lebt. Erinnerungen an glückliche Kindheitstage durchströmen sie, bis sie schließlich die Liebe zu einem anderen gesteht: Boris, nicht Tichon, liebe sie tatsächlich.

Katja möchte frei sein wie die Vögel; ihre Stimme fliegt nach oben, Streicher und Flöte tun es ihr gleich. Von Alpträumen heimgesucht erzittert alles an ihr; die Geigen kreischen vor Schreck auf. Mit ihrem polarisierenden Spiel löst Sopranistin Anna-Maria Kalesidis tosende Begeisterungsstürme beim Publikum aus. In beigem Mantel und grauem Rock entspricht ihr Aussehen der landschaftlichen und emotionalen Tristesse, in der sie sich befindet. Doch sie entfaltet eine solche Ausdruckskraft, kiekst vor Wahnsinn in der einen Sekunde und schluchzt vor Schrecken in der nächsten, dass sie nichts weiter als ihre Stimme braucht, um sich von ihrer Umgebung und den anderen Figuren abzuheben. Paukenschläge dröhnen, als sie unter Stroboskopblitzen zuckend zusammenbricht.

Als Tichon zu einer Geschäftsreise aufbricht, steckt Warwara Katja heimlich den Hausschlüssel zu, damit sie sich mit Boris treffen kann. Auch Inga Schäfer, die das junge Mädchen spielt, legt einen ausgezeichneten Auftritt hin. Angesichts der ungemein hohen Schuhe und der eng geschnürten Jacke, die sie trägt, ist die Kraft ihres Mezzosoprans bemerkenswert. Keck lehnt sie am Türrahmen und steht mit ihrem neckenden, sorglosen Gesang für die Lebenslust der jungen Generation ein.

Die Kabanicha bemerkt zunächst nichts von Katjas nächtlichem Verschwinden: Der betrunkene Dikoj, Boris‘ Onkel, verbringt die Nacht bei ihr. Anja Jung und Juan Orozco verkörpern die beiden Alten auf eine zurückhaltende, aber brillante Art und Weise. Mit voller Stimme zetert die Kabanicha hinter ihrem Sohn Tichon und dessen Frau her und strahlt trotz Gehhilfen eine robuste Dominanz aus. Orozco wiederum ist der einzige der männlichen Darsteller, der es schafft, sich mit seinem wuchtigen Bass über den dichten Orchesterklang zu erheben.

Das Philharmonische Orchester Freiburg leistet unter der Leitung Fabrice Bollons eine insgesamt hervorragende Leistung. Vor allem die Streicher heben sich im Zusammenspiel mit den Holzbläsern immer wieder effektvoll hervor. Die Flöte sorgt mal für süße, mal für freche Lichtblicke innerhalb einer ansonsten düsteren Atmosphäre. Stärkere dynamische Unterschiede wären durchaus wünschenswert gewesen, bleiben die einzelnen Instrumentengruppen, allen voran die Blechbläser, doch immer relativ laut. Zwar werden die verschiedenen Stimmungen des Stücks stilistisch wunderbar eingefangen, doch die Lautstärke bleibt bei voller Orchestrierung meist unverändert.

Kudrjasch trifft Warwara des Nachts am Ufer der Wolga, auch Boris und Katja finden sich schließlich dort ein. Der Eintritt Joshua Kohls in den Theaterraum durch einen der Zuschauereingänge ist zunächst etwas irritierend; doch frisch und aufgeweckt singt er mit dem Orchester zusammen. Das Publikum darf dem Tenor bei seinem Gang zur Bühne aus nächster Nähe lauschen. Zunächst redet Kudrjasch Boris noch ins Gewissen, er solle die Verheiratete nicht ruinieren. Doch Katja ist bereit, die Folgen auf sich zu nehmen und gibt sich ihrer Liebe hin. Immer wieder stechen die Geigen dabei in herausragender Klangqualität hervor.

Ein aufkommendes Gewitter zwingt die Bewohner, sich in einem heruntergekommenen Haus unterzustellen. Kudrjasch schlägt den Bau eines Blitzableiters vor, Dikoj widerspricht ihm: Die Blitze seien eine Strafe Gottes. Von der Bühnendecke plätschert das Wasser lautstark herunter. Der strömende Regen schränkt die Verständlichkeit des Gesangs immens ein, Joshua Kohl wirkt schwach, während Orozco nun glänzen kann. Lichtblitze zucken über die Bühne, parallel zu den Paukenschlägen aus dem Orchester.

Katja bekennt sich öffentlich zu ihrem Ehebruch. Schuldtrunken droht sie inmitten des dissonanten Tongeflechts den Verstand zu verlieren. Eine Vision von der gemeinsamen Zukunft des Paares türmt sich ihr auf; die Flöte erklingt lieblich, das alternde Paar ist in warmes Licht gehüllt. Doch dann protestieren die Blechbläser alarmierend und kündigen das nahende Unheil an. Katja schluckt den Inhalt sämtlicher Pillendosen und kippt Wodka hinterher. Anstatt sich dramatisch ins tosende Wasser der Wolga zu stürzen, breitet sie die Arme aus und verschwindet hinter regenbogenfarbenen Nebel.

Als ihr lebloser Körper am Bühnenrand liegt, künden die Streicher auf dramatische Weise von ihrem Tod. Der Einsatz von Blechbläsern und wummernden Pauken intensiviert noch einmal die Spannung – dann ist nur noch Vogelgezwitscher zu hören und die Bühne wird in Dunkelheit getaucht. Ein idyllisches Ende, das nach dem Wahnsinn in der lasterhaften Provinz fehl am Platz wirkt.

Leah Biebert, 28. Januar 2018, für
klassik-begeistert.de

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