Les Siècles / Isabelle Faust / Alexander Melnikov / François-Xavier Rot © Daniel Dittus
Wahnsinn, mit welch atemberaubender Grandezza und müheloser Melodik Isabelle Faust dieses haarsträubende Violinkonzert meistert! Vor einer meterhohen Partitur jongliert sie mit gewaltigen Akkorden und perlenden Läufen als würde sie eine Handvoll musikalischer Tiger streicheln und dabei auch noch auf einem Trapez tanzen. So lässt sich dieses eigentlich schwer verdauliche Violinkonzert plötzlich federleicht goutieren!
Les Siècles
François-Xavier Roth, Dirigent
Isabelle Faust, Violine
Alexander Melnikov, Klavier
Ligeti: Concert Românesc & Violinkonzert / Mozart: Klavierkonzert & »Jupiter«-Sinfonie
Elbphilharmonie, Hamburg, 26. September 2023
von Johannes Karl Fischer
Nein, im Ernst: Das Ligeti-Violinkonzert ist wirklich keine leichte Kost. Normalerweise ist man danach allein vom Zuhören ziemlich umgehauen, gar kaputt. Umso mehr kenne ich viele Leute, die mit diesen oft wirklich sehr schief klingenden Harmonien überhaupt nichts anfangen können. Sie alle sollten dieser Musik mit Isabelle Faust und dem historisch informierten Ensemble Les Siècles nochmal eine Chance geben. Denn diese Musiker und Musikerinnen wissen, diese höchst expressiven Klänge zum Klingen und Schwingen zu bringen.
Die Arie singt, die Passacaglia tanzt, ganz gleich wie bei tonaler Musik auch. Es klingt halt alles ein bisschen anders, ein bisschen schräger, verwirrter als ein Bach oder Beethoven. Die irrsinnigsten Läufe schimmern in der Luft, Doppelgriffe flitzen über die Bühne wie Blitze am Himmel. Eben der Wahn unserer Zeit, ganz gleich ob 1992 oder 2023. Doch lässt es sich in diesem Meer an wohlklingenden Dissonanzen eigentlich recht angenehm baden.
Dabei war es gar nicht mal das erste Ligeti-Werk des Abends: Das flotte Concert Românesc unter einem fulminanten Dirigat von François-Xavier Roth hatte bereits das Programm eröffnet. Ligeti als „Vorspeise“ und „Hauptgang“. Also quasi ein musikalisches 8-Gänge Menü. Egal, es klingt köstlich, federleicht wie perlender Champagner auf der Zunge. Und das war ja nur die erste Hälfte…
Nach der Pause dann zweimal Mozart. Und prompt werden dafür auch alle Instrumente durchgewechselt, neben der Epoche auch gleich noch die Instrumente quasi auf den Kopf stellen. Kann das gut gehen? Ja, und wie! Alexander Melnikov zaubert einen streichelnden Klang aus den Tasten des alten Flügels, kann mit dem etwas sanfteren Ton dieses Instruments die sonnenhellen Akkorde des A-Dur-Klavierkonzerts KVV 488 bestens zum Strahlen bringen.
Sei es im klagevoll singenden Adagio oder flott federnden Finale, hier zerschmelzen Solist und Orchester zu einer Einheit, zu einem Klang. Mozart at its finest. Nach dem 8-Gänge-Menü namens Ligeti nun einen leichten Kaffee hinterher.
Das wäre eigentlich der perfekte Schlussstrich gewesen. Aber es gab ja noch ein zweites Mozart-Werk auf dem Programm: Die Jupiter-Sinfonie. Mit feierlichen Fanfaren und prachtvollen Pauken stürzte sich François-Xavier Roth sich eifrig auch in das vierte Werk des Abends. Die magische Melodie im Kopfsatz schwebt vorbei wie auf Wolke sieben.
Leider muss ich sagen: Viel zu viel! Über zweieinhalb Stunden hat dieses Konzert gedauert. Doch die Länge per se ist nicht das Problem, ich kann ja auch Wagner hören. Aber sorry, das war einfach ein monumentales Werk zu viel. Ein Kaffee nach dem 8-Gänge Ligeti-Menü taugt immer. Aber nicht zwei deftige Nachspeisen. Auch das Ohr kann sich eben richtig gut satt essen.
Aber ganz ehrlich: So wunderbar und leicht serviert habe ich das Ligeti-Violinkonzert noch nie gehört. Nur der Applaus fiel leider viel zu gemäßigt aus… vielleicht muss man dieser Musik einfach noch etwas mehr Zeit geben?
Johannes Karl Fischer, 27. September 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Daniels vergessene Klassiker Nr 16: Dmitri Schostakowitsch – Violinkonzert Nr. 2 (1967)
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