Elke Heidenreich und Marc-Aurel Floros, Photo Andreas Ströbl
Lesung mit Musik im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals im Kuhstall Gut Pronstorf
Kuhstall Gut Pronstorf, 14, August 2024
Elke Heidenreich, Lesung
Marc-Aurel Floros, Klavier
von Dr. Andreas Ströbl
Was tut man, wenn man mal ein paar Stunden nach Venedig möchte, aber gerade in Schleswig-Holstein sitzt und, nur für eine Kurzreise, nicht zu den lauten Touristenmassen gehören möchte, die die ohnehin geplagte Lagunenstadt verstopfen, verschmutzen und mit ihrem Lärm beleidigen?
Ganz einfach: Man fährt nach Pronstorf bei Bad Segeberg und lässt sich von einer der besten Kennerinnen der Kulturgeschichte Venedigs entführen, in die Gassen, auf die Kanäle, in die Palazzi und vor allem die Opernhäuser und privaten Konzertsäle. Am 14. August 2024 gab es dazu Gelegenheit auf Gut Pronstorf, einem der charmanten ländlichen Standorte des Schleswig-Holstein Musik Festivals; der umgebaute Kuhstall dient seit vielen Jahren als Veranstaltungsort und hier las Elke Heidenreich aus ihrem Buch „Die schöne Stille – Venedig, Stadt der Musik“ – strukturiert und stimmungsvoll begleitet durch passende Musikstücke, die der Komponist und Arrangeur Marc-Aurel Floros aus dem Steinway-Flügel erklingen ließ.
Eigentlich sollten die Texte und Musikstücke ineinandergleiten, was die Autorin anfangs auch deutlich genug gesagt hatte. Aber das Publikum lehnte diese eher ruhige, dem Buchtitel und allem, was Elke Heidenreich sagte, angemessene Stimmung ab und so wurde eben doch nach jedem Musikstück geklatscht. „Ich bin jetzt hier und das soll auch jeder hören“ – diese Haltung entsprach auch dem voyeuristischen Hineinglotzen in den mit schwarzem Tuch abgehangenen Privatbereich, ungebetene Photos eingeschlossen. Personen des öffentlichen Lebens sind offenbar frei verfügbarer Besitz all der Gaffer und Selbstdarsteller, die anderen den Kulturgenuss vermiesen.
Sei’s drum – die Feinsinnigen konnten immer wieder eintauchen in die neblig-diesige Stimmung eines frühen Morgens vor San Marco oder gemeinsamen mit der Kennerin der leisen Töne entlang der nächtlichen Fondamenta streifen und auf das Plätschern des vergangenheitsdunklen Wassers lauschen, wenn der Tageslärm immer mehr verstummt. Offene Ohren vermögen dann wohl auch Musik vernehmen, die aus einem Palazzo mit kunstsinniger Besitzerschaft dringt, die seit Jahrhunderten dort residiert und deren Vorfahren bereits Wagner und Liszt zur Serenata geladen hatten, um unter sepiabraun patiniertem Stuck und von Tiepolo gemalten Sopraporten den morbiden Klängen zu lauschen, die die Seele noch tiefer hineinzieht in den schwermütigen Sog Venedigs, das seit Äonen seinen eigenen langsamen Untergang zelebriert und die Begriffe „Schönheit“ und „Tod“ unvergleichbar miteinander verschmelzen lässt.
„In Venedig ist man auf Moll gestimmt“, so die Autorin; man könnte jetzt ein Bonmot nach dem anderen zitieren oder auf ihre wunderbar sensiblen Wahrnehmungen der stillen Stadt verweisen, aber das erreicht nicht die Qualität der Ausführungen und so überlässt man das besser der Autorin.
Es mangelt nicht an literarischen oder filmischen Darstellungen Venedigs, aber wer wissen wollte, was das Musikalische der Stadt, die Nietzsche als Synonym für Musik verstand, ausmacht, war in Pronstorf am richtigen Ort. 16 Opernhäuser hatte diese Stadt mit ihren knapp 200.000 Einwohnern bis zum frühen 18. Jahrhundert, wie Elke Heidenreich schwärmte, und sie all die prägenden, schillernden und verehrungswürdigen Namen derer nannte, die über Jahrhunderte hinweg Venedig zu dem tönenden Glanz verhalfen, der bis heute nichts an Strahlkraft verloren hat.
Marc-Aurel Floros machte diese Musik erlebbar, „Alma del Cor“ von Caldara, das Albinoni-Adagio, „Ombra mai fu“ von Händel, Glucks „Orfeo“ – das ist selbstverständlich das barocke Venedig, das noch mehr glänzt als abblättert. Mit dem Zitat des bis zum Erbrechen von den Gondolieri geplärrten „’O sole mio“ neckte er die Autorin, die das Stück bewusst nicht hören wollte – ein wundervoller Spaß zwischen den beiden.
Verdis „Troubadour“ und „La Traviata“ beschienen das 19. Jahrhundert, dem Äon des Morbiden, das seine schönste und Liebestod-sehnsüchtige Steigerung in Wagners „Tristan“ fand; Liszts „La lugubre gondola“ als Sterbemusik für den Schwiegersohn zog das Moribunde noch weiter in die Tiefe des trüben Lagunenwassers. Zwei Gondellieder von Mendelssohn ließen da schon wieder die Sonnenlichter auf den sanften Wellen schimmern. Floros beschloss den Abend mit einem fast harschen Jupiter-Mozart, gleichsam als Trotz gegen das Plakative und Klischeehafte. Man hatte ja schon auf das Adagietto aus Mahler 5 gewartet, aber diesen Bezug hat tatsächlich erst Visconti hergestellt, und so blieben die tönenden Eindrücke auf die wirklichen Verbindungen von Stadt und Klang beschränkt.
Wer nach dieser launigen und einfühlsamen Liebeserklärung an die Serenissima Lust bekam, umgehend dorthin zu reisen, dem sei mit Elke Heidenreichs Worten empfohlen, den Herbst oder Winter abzuwarten. Dann gibt es in Venedig weniger Touristen, dafür aber mehr von der beschworenen Stille, die schon Wagner pries. Stille und Musik.
Dr. Andreas Ströbl, 14. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Buch Rezension: Willem Bruls, Venedig und die Oper, Klassik-begeistert.de
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