Hamburgische Staatsoper, 19. November 2021
Lise Davidsen, Sopran, und Bryan Wagorn, Klavier
Es gibt sicher wärmere, engelgleichere Stimmen; was Davidsen aber vor allem auszeichnet, ist ihr Vermögen, den gesungenen Text zu beseelen, die in den Arien steckenden Emotionen direkt zum Herzen der Zuschauer zu transportieren.
von Dr. Ralf Wegner
Was für eine Stimme, welcher Schalldruck, der das Haus flutet, welch eine dunkel timbrierte, auch noch in der Tiefe klingende Stimme, kraftvoll wie blauer Stahl, mit was für einem Farbenreichtum und welchen Gestaltungsmöglichkeiten. Frau Davidsen begann mit der Arie der Leonora Pace, pace, mio Dio aus Verdis „Macht des Schicksals“ und überzeugte mit enormer Durchschlagskraft, farbenreicher, ausgeglichener Mittellage und klangvollen Höhen. Das ging unter die Haut und stimmte das Publikum in einen besonderen, an der Hamburgischen Staatsoper lange nicht erlebten Gesangsabend ein.
Es gibt sicher wärmere, engelgleichere Stimmen; was Davidsen aber vor allem auszeichnet, ist ihr Vermögen, den gesungenen Text zu beseelen, die in den Arien steckenden Emotionen direkt zum Herzen der Zuschauer zu transportieren. Lange habe ich nicht mehr ein so beseeltes Vissi d’arte aus Puccinis „Tosca“ gehört. Lise Davidsen erinnerte mich mit ihrem Einfühlungsvermögen an Eva Marton, die zudem auch über eine enorme stimmliche Durchschlagskraft verfügte.
Davidsens dunkel gefärbte, farbreiche Mittellage würde sie zur Brünnhilde prädisponieren, zum Abschied von Siegmund und zum Zwiegesang mit Göttervater Wotan. Vielleicht wird die erst 34jährige Lise Davidsen mal eine legitime Nachfolgerin von Birgit Nilsson, wenn sie sich bis dahin nicht ihre Stimme ruiniert hat. Neben der Arie der Manon aus Puccinis „Manon Lescaut“ und dem Arioso der Lisa aus Tschaikowskys „Pique Dame“ imponierte mir besonders die Arie der Ellen Orford, die sogenannte Stickerei-Arie aus Brittens „Peter Grimes“, bei der die Sopranistin mit strahlend glänzender Höhe berührte.
Die sympathische Sängerin griff zweimal zum Mikrofon, berichtete über ihren ersten Aufenthalt in Hamburg, als sie noch in Kopenhagen studierte und sagte, dass ihr als Norwegerin Edvard Grieg besonders am Herzen liege und sich für diesen Abend, der im Titel die Art of Lise Davidsen führt, entschieden habe, dem Publikum sechs Lieder dieses Komponisten (opus 48) zu präsentieren.
Das gelang ihr emotional bewegt und für sie einnehmend. Am Endes des Abends entschied sie sich noch für Lieder von Richard Strauss (aus opus 24 und opus 39), bei denen sie ihre Stimmkraft und ihre strahlenden Höhen noch einmal unter Beweis stellen konnte. Einleitend erklärte sie, wieviel ihr an der deutschen Kultur liege und, zur Erheiterung des Publikums, auch am deutschen Essen. Als erste Zugabe gab es endlich Wagner, Elisabeths Hallenarie aus „Tannhäuser“ und als Abschluss etwas ganz anderes: I could have danced all night aus „My Fair Lady“, weitgehend mit zurückgenommener, aber klangvoller Stimme und mit glanzvoller, lang gehaltener Höhe abgeschlossen.
Das Publikum war begeistert, der Intendant überreichte ihr einen Strauß Blumen, fast vor ihr in die Knie gehend. Hoffentlich hilft das, und er kann Frau Davidsen zukünftig auch einmal für eine Opernrolle engagieren. Wir würden uns das sehr wünschen.
Dr. Ralf Wegner, 19. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Lise Davidsen, Exklusiv-Interview mit dem Wagner-Stern aus Norwegen, Teil 1
Lise Davidsen, Exklusiv-Interview mit dem Wagner-Stern aus Norwegen – Teil II klassik-begeistert.de
Lise Davidsen, Exklusiv-Interview mit dem Wagner-Stern aus Norwegen – Teil III klassik-begeistert.de