Missa solemnis, Dom St. Petri (Foto Dr. Gerd Klingeberg)
Ludwig van Beethoven: Missa solemnis
Agnieszka Tomaszewska Sopran
Helena Poczykowska Alt
Mirko Ludwig Tenor
Henryk Böhm Bass
Bremer Domchor
Concerto Bremen
Tobias Gravenhorst Leitung
Dom St. Petri in Bremen, 31. Oktober 2025
von Dr. Gerd Klingeberg
Ludwig van Beethoven hat seine 1823 vollendete, zeitgleich mit seiner 9. Sinfonie veröffentlichte „Missa solemnis D-Dur“ als sein bestes Werk bezeichnet. Anders als unzählige Vertonungen des lateinischen Messtextes durch andere Komponisten ist Beethovens Missa nicht für den gottesdienstlichen Gebrauch konzipiert; sie stellt vielmehr per se, ohne weitere Wortverkündigung, einen sehr persönlich geprägten Gottesdienst dar.
Doch damit dies den Zuhörern adäquat vermittelt werden kann, braucht es auch angemessen gute Interpreten.
Ein Kriterium, das bei der Aufführung im Dom bestens erfüllt wurde: Mit dem seit 1856 bestehenden Bremer Domchor stand ein in vielen kirchenmusikalischen Sparten erfahrener Chor zur Verfügung. Als gleichermaßen profiliert gilt das vor allem im norddeutschen Raum agierende Concerto Bremen. Die jeweiligen Sängerinnen- und Sänger-Vitae aller vier Solisten – Agnieszka Tomaszewska (Sopran), Helena Poczykowska (Alt), Mirko Ludwig (Tenor) und Henryk Böhm (Bass) – weisen ebenfalls ein beachtliches Maß an Konzert- und Oratorienrepertoire auf. Und bei dem seit 2008 als leitender Bremer Domkantor tätigen, außerordentlich versierten Kirchenmusiker Tobias Gravenhorst war die Gesamtleitung ohnehin in allerbesten Händen.
Häufig wird die Missa solemnis quasi sinfonisch in Konzertsälen aufgeführt; doch das Ambiente eines allein schon architektonisch beeindruckenden großen Kirchenraums intensiviert zweifellos den sakralen Charakter des Werkes; dies umso mehr, seit die ursprünglich allenfalls mäßigen akustischen Verhältnisse im Bremer Dom durch entsprechende Maßnahmen (Akustiksegel u.a.) in den letzten Jahren erheblich verbessert werden konnten.

Stimmig differenzierter Chor- und Sologesang
Optimale Voraussetzungen also für ein gutes Gelingen. Zwar schien es eingangs für einen Moment, als müssten sich die Musiker erst noch kurz sortieren. Aber mit den ersten chorischen Kyrie-Rufen samt solistischer Bestätigung kam im zunehmend dynamisch aufblühenden Geschehen die Solennität des Werkes in einer wahrhaft unter die Haut gehenden Weise zum Ausdruck. Ausnehmend gut geriet der dynamisch deutlich differenzierte Chorgesang, der gleichermaßen bei emphatischem Einsatz – etwa im jubelnden Gloria – wie auch in stark zurückgenommenen Partien – beispielsweise beim „Et in terra pax“ – stets sauber intoniert und sehr kontrolliert erfolgte und damit ein zugleich durchweg hohes Spannungspotenzial generierte.
Die insgesamt untereinander und mit dem Chor ausgezeichnet harmonierenden Solisten überzeugten dazu mit ungekünstelt klaren, nur dezent tremolierenden, indes dennoch für den riesigen Kirchenraum problemlos ausreichend tragfähigen Stimmen.
Geradezu frohgemut erklang das „Quoniam tu solus sanctus“, erhebend fulminant folgte in forsch pulsierendem Tempo das triumphale „Gloria“ in starker Verdichtung bis hin zum „Amen“, dessen Schlussakkord eine Weile lang den Raum erfüllte.
Weihnachtlich sanftes Leuchten
Vor dem „Credo“ gab Domprediger Christian Naegeler eine kurze, auf wesentliche Informationen beschränkte Erläuterung der weiteren Sätze. Eine ungewohnte Zäsur, aber für viele Zuhörer gewiss auch hilfreich für ein besseres Verständnis dafür, welche spezifischen, ganz persönlichen Sichtweisen Beethoven mit seiner Vertonung vermitteln wollte.
So ließen sich etwa die exakt ausgeführten subito Pianissimos (z.B. beim „invisibilium“) gleich richtig einordnen.
Berührend geheimnisvoll, wie ein weihnachtlich sanftes Leuchten, wurde die Menschwerdung Jesu („et incarnatus est“) geschildert; zutiefst ergreifend geriet die Darbietung des Leidens und Sterbens („passus et sepultus est“). Umso freudiger, zugleich aber das überraschende Erstaunen nachvollziehend, besang der Chor die Auferstehung des Gekreuzigten. Das noch so gänzlich Unvorstellbare eines ewigen Lebens in der kommenden Welt, etwas, dass laut paulinischer Aussage „kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat“, kam im lang ausgeführten „Et vitam venturi saeculi“ mit vielfacher kraftvoller „Amen“-Bekräftigung nachhaltig zum Ausdruck.
Aber zumindest eine leise Ahnung himmlischer Sphären vermittelten das meditative, vom Solistenquartett sehr einfühlsam vorgetragene „Sanctus“ und das nicht minder feierliche „Benedictus“ mit einer geradezu mystisch anmutenden, stimmungsvoll von dezenten Holzbläserharmonien untermalten Melodie der Solovioline.
Irritierendes „Dona nobis pacem“
Selbst wenn man die „Missa solemnis“ bereits gut kennt: Jedes Mal erneut überrascht und verwirrt Beethoven mit dem merkwürdigen Ablauf seines „Agnus Dei“. Adorierend und mit feierlichem Ernst, fast schon mit heiliger Scheu, starten Orchester, Solo-Bass und tiefe Chorstimmen; mit starker emotionaler Färbung erfolgen im weiteren Verlauf erst die „Miserere“-Rufe, dann der in unterschiedlicher Ausprägung vielfach geäußerte Wunsch nach Frieden: „Dona nobis pacem“, teils in nahezu gehauchten Pianissimo oder aber bis hin zu mächtigem Fortissimo. Und urplötzlich unterbrechen heftig störende martialische Trommelwirbel den breit hymnischen musikalischen Fluss.

Das Ensemble betont diese sonderbaren, in einer Messe ziemlich irritierend anmutenden, aber eben auch nachdenklich machenden Episoden sehr deutlich. Und unterstreicht damit die Aktualität des Werkes: Dem unabhängig von Konfessionen und Weltanschauungen allen Menschen innewohnenden tiefen Sehnen nach Frieden steht leider eine ganz und gar nicht friedvolle Realität gegenüber. Etwas, das auch in der langen, am Ende von lediglich kurzem Triumph gekrönten Schlussphase der Missa solemnis nicht etwa euphemistisch in Abrede gestellt würde.
Der kraftvolle dreifache Finalakkord entschwindet allmählich im Nichts, dann herrscht eine ungewohnt lange Phase absoluter Stille, bevor der begeisterte Beifall einsetzt. „Von Herzen – möge es wieder – zu Herzen gehen!“ schrieb Beethoven über seine Missa solemnis. Und genau dies war zu spüren bei der Aufführung im Bremer Dom.
Als just dann beim Schlussapplaus ein ohrenbetäubender Knall von außen zu hören ist, erscheint dies wie das unterstreichende Indiz einer wahrhaft unfriedlichen Welt, auch wenn es sich dabei vermutlich nur um einen eher harmlosen Halloween-Böller gehandelt haben mag.
Dr. Gerd Klingeberg, 1. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
CD-Rezension: Beethoven/Missa Solemnis klassik-begeistert.de, 13. Januar 2025
Ludwig van Beethoven, Missa solemnis Philharmonie Berlin, 12. November 2023