Foto: Julia Wesely (c)
Lucerne Festival, KKL Luzern, Konzertsaal, 28. August 2018
Mahler Chamber Orchestra
François-Xavier Roth Leitung
Sol Gabetta Violoncello
Béla Bartók Divertimento für Streichorchester Sz 113 Bohuslav Martinů Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 H 196
Georges Bizet Jeux d’enfants. Petite suite d’orchestre
Joseph Haydn Sinfonie g-Moll Hob. I:83 La Poule
von Sarah Schnoor
Es ist der vorerst letzte Sommerabend in Luzern nach einigen Regentagen. Endlich können die Stehtische vor der KKL unter dem hohen Dach wieder aufgebaut werden. Gäste dürfen sich auf laue Luft und einen traumhaften Ausblick auf den Vierwaldstättersee in der Pause freuen. Doch erst einmal geht es zur Abkühlung in den klimatisierten Konzertsaal.
Das Mahler Chamber Orchestra beginnt unter der Leitung von François-Xavier Roth mit dem unglaublich intensiven Divertimento für Streichorchester von Béla Bartók einen musikalisch sehr dichten Abend, der besonders in der ersten Hälfte im Zeichen einer Vorahnung auf den Zweiten Weltkrieg steht. Kraftvoll beschwingt spielen die Streicher einen zwischen düsterer Heiterkeit und Bedrohung hin- und herspringenden Bartók. Roth dirigiert ausdrucksstark und geradezu pantomimisch. Die Musik in seinem Kopf überträgt er sichtbar mit seinem ganzen Körper, lässt die Musiker die Stimmungen sehen, hüpft und bleibt doch ohne übertriebene Show, alles wirkt organisch. Beeindruckend sind auch die schönen Solopassagen im Orchester – träumendes Streichquartett in Abwechslung mit gewaltigem Tutti.
Der zweite Satz lebt von einer unglaublichen Grundspannung im Piano. Warme Bässe und Celli tragen die lauernde Gefahr, die jederzeit um die Ecke zu kommen scheint. Im Kontrast dazu steht der dritte Satz, der geradezu wie ein geordnetes Reinhauen wirkt. Ein Divertimento soll nach Definition ein Stück sein, das sowohl Publikum als auch Spielende unterhält. Dass es dem Orchester Spaß macht, ist sofort sichtbar. Voller Inbrunst spielt es den aufkommenden Sturm, der abrupt endet.
Aus der gleichen Zeit, aber mit leicht anderem Charakter, schließt sich das 1. Cellokonzert von Bohuslav Martinů an. Die weltbekannte Cellistin Sol Gabetta tritt als Solistin und Botschafterin des weniger gespielten Konzertes auf. Bereits am Vortag hatte sie es vor Publikum gespielt. Neben den regulären Konzerten gibt es beim Lucerne Festival nämlich die Reihe „40min“. Jeder kann kommen, der Eintritt ist frei – es ist eine Mischung aus Generalprobe und Konzert mit Einblicken in die Probenprozesse.
Das Mahler Chamber Orchestra begleitet Gabetta unglaublich aufmerksam. Das Konzert ist ein komplexes Gebäude aus Wechseln zwischen großen Melodien, wie sie neoklassischer nicht sein könnten und interessanter, rhythmisch komplizierter moderner Musik, die Roth beinahe so intensiv interpretiert, wie den Bartók. Gabetta spielt mit absoluter Bogenkontrolle und Intonation, ist aber gleichzeitig herrlich virtuos und leidenschaftlich. Auch im träumerischen zweiten Satz verzaubert sie das Publikum mit einfachen, aber warmen und sehnsuchtsvollen Melodien. Eine starke Sogwirkung hat das wilde Allegro. Das Ganze ist geprägt von Akkordgriffen, Trillern und schnellen Läufen, die Gabetta meistert, als wäre es eine Leichtigkeit.
Zur Auflockerung gibt es nach der Pause eine Portion Humor und Kindheit. Bizets „Jeux d’enfants. Petite suite d’orchestre” ist eine willkommene Abwechslung voller Witz und farbenreichem Spiel. Ein Marsch, sich drehende Kreisel und spielende Puppen werden gekonnt vom Orchester imitiert. Der Konzertsaal der KKL kommt diesen fantastischen Musikern bei allem entgegen, da er akustisch nicht nur durchsichtig, sondern auch warm ist.
Der abschließende Haydn scheint zunächst unpassend, entpuppt sich aber als eine Symphonie, die auch stark mit Kontrasten arbeitet und trotz des Gegackers in Streichern und Holzbläsern (Symphonie Nr. 83: „La Poule“ – „Das Huhn“) von Roth hochdramatisch interpretiert wird. An einigen Stellen reizt er das Tempo zu sehr, glänzt aber mit herrlich präzisen Phrasenabschlüssen und lebendiger Gestaltung der abwechslungsreichen Musik. Ein guter Abschluss für einen Abend, dem trotz aufwühlender Musik die Balance zwischen düster und humorvoll gelingt.
Sarah Schnoor, 30. August 2018, für
klassik-begeistert.de