Foto: © Schirmer
Philharmonie Berlin, 30. Januar 2018
Berliner Philharmoniker
Rundfunk Chor Berlin (Einstudierung: Gijs Leenaars)
Leitung: Marek Janowski
Anton Bruckner: Messe Nr. 2 e-Moll
Anton Bruckner: Symphonie Nr. 6 A-Dur
von Kirsten Liese
Ich wurde in letzter Zeit sehr verwöhnt mit grandiosen Bruckner-Konzerten. Überrascht hatte mich im Dezember Riccardo Muti, der die siebte Sinfonie dank langsamer Tempi in ihrem klanglichen Reichtum mit den Wiener Philharmonikern so hörbar machte wie einst ein Sergiu Celibidache. Solche stark berührenden Erlebnisse schrauben die Ansprüche unweigerlich sehr hoch.
Marek Janowski, der nun in drei Abo-Konzerten mit den Berliner Philharmonikern Bruckners Sechste brachte, zählt neben Muti, Thielemann, Haitink und Barenboim unter den heutigen Dirigenten noch zur alten Garde, die sich auf diesen Komponisten versteht. Seine Sinfonien auswendig zu dirigieren, ist für ihn eine Ehrensache.
In bester Erinnerung geblieben ist mir vor allem aber Janowskis konzertanter grandioser Wagner-Zyklus 2013 mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, was ich vorausschicken möchte, weil die Resultate mit einem Klangkörper, den ein Künstler über einen längeren Zeitraum als Chef prägen kann, sich nicht vergleichen lassen mit den Möglichkeiten eines Gastdirigenten, der mit wenigen Proben auskommen muss.
Damit ist mein Eindruck von dem jüngsten Konzert mit den Berlinern grob umrissen: Die Sechste geriet handwerklich perfekt, präzise in den Übergängen, majestätisch strahlend im A-Dur-Glanz, jedes einzelne Solo makellos dargeboten seitens der Musiker. Aber: Es öffnete sich keine Himmelspforte, die magischen Momente blieben selbst im feierlichen Adagio aus, der musikalischen Reise fehlte die spirituelle Dimension!
Dafür gab es mehrere Gründe: Janowski geht die Musik – wiewohl er das herrliche Triolenthema im Maestoso mit der gebotenen Gewichtigkeit herausstellt – zu schnell an, vor allem in den Ecksätzen, wo doch Bruckner in seinem Scherzo und im Finalsatz eigens vermerkte „nicht zu schnell“!
Gewiss, die Vorstellungen von langsam und schnell mögen sich im Laufe von Jahrzehnten verändern, Geschwindigkeit ist eine subjektive Empfindung, darüber lässt sich nicht streiten – über das klangliche Resultat allerdings schon. In der Sechsten ging es bisweilen so rasant zu, dass sich bei den bombastischen Gipfelstürmen die Klangmassen nicht nur türmten, sondern vom Höreindruck überlagerten wie eine Kakophonie. Das hört sich bei deutlich langsameren Tempi eben doch ganz anders an.
Hinzu kam, dass Janowski etwas gleichförmig dynamisierte. Bei ihm bewegte sich diese Sinfonie überwiegend in den Bereichen zwischen Mezzoforte und Forte, und wurde es einmal leise, dann ohne spannungsvolles Knistern.
Und dann spielt wohl noch ein Umstand eine Rolle: Die Berliner Philharmoniker haben sich in den vergangenen Jahren sehr verjüngt. Über den Generationswechsel sind nur noch wenige an Bord, die unter Abbado – geschweige denn unter Karajan, Celibidache oder Furtwängler musiziert haben. Es ist mir nicht zum ersten Mal aufgefallen, dass diese jüngere aufgerückte Generation bei den Berliner Philharmonikern höchst brillant musiziert, aber im Lyrischen nicht sensitiv genug. Dies betrifft in erster Linie die Streicher. An technischer Perfektion sind sie nicht zu überbieten, aber es fehlt die Beseeltheit, die es braucht, um nicht nur die Oberfläche zu polieren.
Den stärksten Eindruck in der Sechsten unter Janowski hinterließ das Scherzo, in dem sich die Hörner mit ihren feierlichen Fanfaren im reizvollen Wechselspiel mit den filigranen Pizzicati der Streicher prächtig entfalteten.
Die Streicher zu einem empfindsameren Spiel anzuleiten, aber erscheint mir eine größere Aufgabe der Orchestererziehung und damit des kommenden Chefdirigenten nach Jahren, in denen dieser Anspruch vernachlässigt wurde.
Als eine schöne Idee erwies es sich, der sechsten Sinfonie mit der e-moll-Messe noch ein weiteres, seltener zu hörendes Werk von Bruckner voranzustellen. Sie rührt mich nicht so stark an wie die geniale f-moll-Messe, bezeugt aber einen ganz eigenen Reiz, schon mit seiner ungewöhnlichen Besetzung von Chor und Bläserensemble. Im archaisch anmutenden Kyrie schweben die imitatorisch einsetzenden Stimmen über weite Strecken herrlich schwerelos durch die Philharmonie und versetzen in eine meditative Ruhe. Dagegen steht das Credo mit kraftvollen Unisono-Einsätzen und das Sanctus, das entgegen der Tradition gar nicht majestätisch daher kommt, sondern überraschend lyrisch.
So erstklassig wie in der Einstudierung mit dem wieder einmal großartigen Berliner Rundfunkchor wird man diese Messe vermutlich nicht so schnell wieder hören, die allen voran an die in der Höhe stark geforderten Soprane Ansprüche stellt, denen ein Laienchor vermutlich nicht gewachsen wäre.
Gleichwohl hoffe ich, weiterhin viel Bruckner zu hören, insbesondere seine seltener aufgeführten Werke wie die ersten beiden Sinfonien sowie die „Nullte“. Vielleicht wären das auch künftige Aufgaben für Marek Janowski als neuem musikalischen Leiter der Dresdner Philharmonie? Ich wäre sehr gespannt darauf.
Kirsten Liese, 31. Januar 2019, für
klassik-begeistert.de
Sehr geehrte Frau Liese, auch ein Laienchor kann den gleichen Stimmumfang wie ein Profichor haben. Ich habe die e-Moll Messe von Bruckner schon 1970! zusammen mit der jungen kantorei (Frankfurt) unter der Leitung von Joachim Martini mit Begleitung der Bläser der Wiener Symphoniker auf „Schallplatte“ (LP von Telefunken!) mitgesungen. Danach haben wir die Messe noch im Wormser Dom und in Holland (Liveübertragung im Rundfunk) aufgeführt!
Michael Stein, noch aktiver Chorsänger seit 1964 in über 50 verschiedenen Chören unter über 70 verschiedenen Dirigenten! z.B. Michael Gielen, Horst Stein, Philippe Augin, Hans Drewanz, Yuri Simonow, Georg Schmöhe, Karl-Friedrich Beringer, Jan Krenz, Muhai Tang, Nicol Matt, Siegfrid Köhler etc.