Foto: Martin Haselboeck (c) Meinrad Hofer
Anlässlich seines 70. Geburtstags gab Martin Haselböck im Wiener Konzerthaus einen Orgelabend mit bemerkenswerten Werken des 20. Jahrhunderts. Der Höhepunkt war zweifellos Ligetis bahnbrechende Komposition Volumina.
Arnold Schönberg
Variationen über ein Rezitativ, op. 40
Zwei Fragmente aus der Sonate für Orgel
Ernst Křenek
Orga-Nastro für Orgel und Tonband, op. 212
György Ligeti
Volumina
Gladys Nordenstrom-Křenek
Signals from nowhere
Ernst Křenek
Vierter Satz (Boreas) der Four Winds Suite (Die vier Winde) für Orgel, op. 223
Martin Haselböck
Orgel
Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 10. November 2024
von Dr. Rudi Frühwirth
Martin Haselböck ist nicht nur ein anerkannter Dirigent und Verfechter der Originalklangbewegung, sondern auch ein meisterhafter Orgelspieler. Anlässlich seines 70. Geburtstags gab er ein Konzert, das die gewaltige Bandbreite seines Repertoires wie auch seine enorme technische Virtuosität unter Beweis stellte. Es war auch ein Rückblick auf seine Laufbahn, denn alle Stücke des Abends hat er in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten im Konzerthaus aufgeführt.
Der Abend begann mit zwei Werken von Schönberg. Die Variationen op. 40 bedienen sich nicht der Zwölftonmethode, auch wenn das Thema alle zwölf Töne der chromatischen Skala enthält. Sie weisen vielmehr ein tonales Zentrum auf, das dem unbefangenen Zuhörer freilich erst ganz am Ende deutlich gemacht wird. Das 11-taktige Thema wird in zehn ebenfalls 11-taktigen Variationen verarbeitet. Durch abwechslungsreiche Registrierung gibt Haselböck den Variationen klangliche Identität. Den Abschluss bildet eine längere Kadenz, die in strahlendem D-Dur endet. Anders als in den bekannten romantischen Variationswerken von Brahms, Reger und Schmidt ist das Thema im Verlauf der Variationen nur selten herauszuhören; man kann das Werk aber ganz unanalytisch als spannendes, klangprächtiges Orgelstück genießen.
Die zwei Fragmente, die auf die Variationen folgten, sind Teile einer begonnenen, aber nicht fertiggestellten Sonate für Orgel. Diese war nach der Zwölftonmethode geplant. Schönberg ließ aus verschiedenen Gründen die Komposition liegen und wandte sich dann den Variationen op. 40 zu. Besonders beeindruckt haben mich die Bruchstücke nicht, aber das liegt wohl in der Natur der Sache.
Ernst Křeneks Orga-Nastro für Orgel und Tonband entstand 1971, etwa dreißig Jahre nach Schönbergs op. 40. Das Werk ist ein Zwiegespräch zwischen elektronisch erzeugten Klängen und der Orgel. An manchen Stellen mögen die Geräusche vom Band auch verfremdete Instrumentalklänge sein. Charakteristisch ist jedenfalls der Gegensatz zwischen den wohldefinierten Frequenzen der Orgelpfeifen und den künstlich erzeugten Tönen, die ein breites Frequenzspektrum beinhalten, das manchmal bis in ein weißes Rauschen expandiert. Mit diesem klanglich faszinierenden Stück konnte Haselböck seine komplette Beherrschung der Orgeltechnik überzeugend demonstrieren.
Das wohl radikalste Stück des Abends waren die Volumina von György Ligeti. Komponiert zehn Jahre vor Křeneks Orga-Nastro, fordert es völlig neue Spieltechniken und eröffnet bis dahin ungehörte Klangwelten. Die Partitur zeigt keine Notenwerte, sondern ist rein graphisch realisiert. Die graphische Darstellung wird für jede Ziffer präzisiert durch ausführliche verbale Beschreibungen der Klangvorstellungen des Komponisten. Trotzdem hat der Interpret ein Ausmaß an Freiheit, das seit der Wiener Klassik in der “ernsten” Musik vor Ligeti unüblich, ja unerwünscht war. Das Stück verlangt daher neben der Bewältigung der enormen technischen Schwierigkeiten die Fähigkeit, sich in die Intentionen des Komponisten einzufühlen und sie adäquat umzusetzen.
Hier kann Haselböck seine Vertrautheit mit dem Instrument voll ausspielen. Er schöpft alle technischen Raffinessen der Rieger-Orgel des Konzerthauses aus, das Schwellwerk, die Tremulanten, das Fernwerk, die zahllosen vorprogrammierten Registerkombinationen. Seine Hände fliegen über die fünf Manuale, seine Füße springen über die Pedale, seine Unterarme erzeugen betäubende Toncluster und stellen wahre Klangblöcke in den Saal – wie ein Magier bezwingt er das Publikum, das hingerissen zuhört.
Den Abschluss des regulären Programms bildete ein Werk von Gladys Nordenstrom-Křenek, Ernst Křeneks dritter Frau. Es trägt den Titel Signals from nowhere und konfrontiert wie Orga-Nastro elektronisch erzeugte Musik mit den Klängen der Orgel. Der elektronische Klang symbolisiert die Signale, die wir von den unbekannten Weiten der Unendlichkeit erhalten. Die Musik der Orgel reflektiert unsere Reaktionen auf diese Nachrichten. Obwohl Haselböck wieder sein Bestes gab, mussten die Signals nach den unerhörten Eruptionen von Ligetis Volumina zwangsläufig etwas abfallen.
Als Encore hörten wir schließlich den vierten Satz, Boreas, aus der Four Winds Suite von Ernst Křenek. Der winterliche Nordwind wird lautmalerisch mit scharfen Dissonanzen und virtuosen wogenden Läufen dargestellt. Am Ende dankte herzlicher Beifall dem Organisten für einen ebenso ungewöhnlichen wie mitreißenden Abend.
Dr. Rudolf Frühwirth, 11. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at