Meine Lieblingsoper (62): "Rigoletto" von Giuseppe Verdi

Meine Lieblingsoper (62): „Rigoletto“ von Giuseppe Verdi

Die Hamburger Rigoletto-Inzenierung des Jahres 1994 (Andreas Homoki). Aufführung am 27.10.2016 mit Franco Vassallo (Rigoletto), Hayoung Lee (Gilda), Ivan Magrì (Herzog), Andrea Mastroni (Sparafucile), Nadezhda Karyazina (Maddalena), Foto: © R. Wegner

„Verdi schüttete eine unglaubliche Fülle schöner Melodien über dieses, sein wahrscheinlich berühmtestes Werk. Es wird wohl ewig bestehen und die Menschen immer wieder berühren.“

von Dr. Ralf Wegner

Ich mag Verdis Oper Rigoletto: Ein vom Vater (Rigoletto, Bariton) behütetes Mädchen (Gilda, Sopran) verliebt sich in einen vagabundierenden Studenten (alias Herzog von Mantua, Tenor) und opfert sich für ihn, wohl wissend um dessen Betrug an ihr. Gilda ist Betrogene und Betrügerin zugleich. Mit ihrem inszenierten Selbstmord betrügt und betrübt sie ihren Vater, der am Ende alles verloren hat.

Die Hauptperson dieser Oper ist aber nicht Gilda, sondern Rigoletto. Ein Hofnarr, körperlich verunstaltet, gemieden, wenn nicht gehasst von der Gesellschaft. Seinem hohen Herrn, dem triebgesteuerten Herzog, dient er dafür umso ergebener. Rigolettos Handlungen sind böse, vielleicht im Laufe der Zeit auch erst böse geworden. Nur im Inneren bewahrt er sich ein liebendes Herz für die von ihm versteckt gehaltene Tochter Gilda.

Diese denkt allerdings nicht daran, das Leben ungekostet an sich vorbeiziehen zu lassen. Oder ist sie einfach naiv und will den Betrug des als Studenten daherkommenden Herzogs einfach nicht wahrhaben? Warum geht sie für einen untreuen Geliebten in den Tod? Weil sie geschwängert wurde? Weil sie in ihre väterlich behütete Welt nicht mehr zurückkehren wollte? Oder ist sie einfach psychisch krank, weil sie so bewusst den Selbstmord wählt?

Verdis großartige Komposition gibt hierauf keine Antwort. Wir leiden mit Gilda und wir leiden mit dem unglücklichen Vater. Oder perlt es an uns ab? Das hängt ganz entscheidend von der stimmlichen und darstellerischen Qualität des Sängers des Rigoletto ab. Leo Nucci war so einer, der uns mitleiden ließ (1987 in Hamburg) und uns mit dem Racheduett „Sì, vendetta, tremenda vendetta“ mitreißen konnte.

„Rigoletto“ in Verona (2013) mit Leo Nucci und Aleksandra Kurzak (Foto: R. Wegner)

Noch drei Jahrzehnte später (2016) brachte er mit seiner Bühnentochter Aleksandra Kurzak die Arena von Verona zum Kochen; das enthusiasmierte Publikum erzwang Wiederholung, womit Nucci wohl gerechnet hatte. Nuccis Paraderolle ist mehrfach auf YouTube zu sehen, am schönsten wohl beim Dacapo in der Mailänder Scala am 20. Februar 2016 mit einer großartigen Nadine Sierra. Manche Sänger des Rigoletto mögen eine schönere Stimme gehabt haben, aber Nuccis musikdramatische, fast gewalttätige Ausdruckskraft haben wohl nur wenige erreicht.

Beim Dacapo: Leo Nucci als Rigoletto mit einer ausgezeichneten Nadine Sierra als Gilda (Videostill Youtube) https://www.youtube.com/watch?v=HAIA-6e2qoQ; 1:59-4:04

Ohne einen überragenden Bariton funktioniert Verdis Oper nicht. Am Tenor sollte man nicht, könnte man aber notfalls sparen und mit der Gilda eine profilierte Nachwuchssängerin betrauen. Der Sänger des Rigoletto kann alles herausreißen, wenn er denn gut ist.

Vladimir Ruždjak war mein erster beeindruckender Rigoletto, mit Mattiwilda Dobbs als Gilda. 1974 stellte Sherrill Milnes in Hamburg seine Prachtstimme für den Rigoletto zu Verfügung. Danach wurde der Rigoletto für Franz Grundheber zur Paraderolle (1994-2008). Zusammen mit Hellen Kwon als Gilda dominierte er die Bühne, sodass die oft allenfalls befriedigenden, manchmal auch mangelhaften Sänger des Herzogs darüber vergessen werden konnten. Gute Leistungen als Rigoletto hörte ich auch von Paolo Gavanelli sowie von Philippe Rouillon, Andrzej Dobber oder Franco Vassallo.

Franz Grundheber als Rigoletto mit Hellen Kwon als Gilda (Foto: Hamburgische Staatsoper/Rüdiger Backmann)

Den Ohrwurm schlechthin singt Gilda mit „Gualtier Maldè… Caro nome“. Kann das schlecht gesungen werden? Eigentlich nicht. In guter Erinnerung blieben mir, neben Hellen Kwon, besonders Lucia Aliberti (1987), Ruth Ann Swenson (1995) und Hayoung Lee (2008). Wie bereits angedeutet, ist die Liste der bemerkenswerten Herzöge kurz: Wirklich gut sangen Francisco Araiza (1987) und Joseph Calleja (2008), zu erwähnen wären auch noch Jerry Hadley (1995) und Vittorio Grigolo (2005).

Verdi bedachte bei seinen Opern, anders als Puccini, alle Stimmkategorien. Im Rigoletto sind es noch der professionelle Mörder Sparafucile (Bass) und dessen sich prostituierende Schwester Maddalena (Mezzosopran). Einen Kurzauftritt gönnt Verdi mit Monterone auch noch einem weiteren Bass, dem die Aufgabe zufällt, Rigoletto zu verfluchen. Meist werden mit diesen Rollen profilierte oder junge Ensemblemitglieder betraut. So war Harald Stamm als Sparafucile immer eine sichere Bank, später reüssierte auch der koreanische Bass Simon Yang mit diesem Part. Als Monterone trat jahrzehntelang der 1934 im kalifornischen Hollywood geborene Bass Carl Schultz auf, dessen Fluch besonders eindrucksvoll über die Rampe kam. Als Maddalena blieben neben Hanna Schwarz (1974), Graciela Alperyn (1987) und Nadezhda Karyazina (2016) auch Yvi Jänicke und Ning Liang in Erinnerung.

Welches sind die musikalischen Höhepunkte in Verdis Rigoletto? Im ersten Akt die kurze Arie des Herzogs „Questa o quella“ und Gildas Romanze „Gualtier Maldè“, im zweiten Rigolettos verzweifelte Wutbitte an die Höflinge „Cortigiani, vil razza dannata“ sowie das Racheduett „Sì, vendetta, tremenda vendetta“, im dritten „La donna è mobile“ des Herzogs, das Quartett Herzog, Maddalena, Gilda, Rigoletto „Bella figlia dell’amore“ und Gildas Sterbegesang „V’ho ingannato“. Verdi schüttete eine unglaubliche Fülle schöner Melodien über dieses, sein wahrscheinlich berühmtestes Werk. Es wird wohl ewig bestehen und die Menschen immer wieder berühren.

Das Libretto zu Verdis Rigoletto basiert auf Victor Hugos Theaterstück „Der König amüsiert sich“ aus dem Jahre 1832. Der Hofnarr Triboulet wird von Monsieur de Saint-Vallier, dessen Tochter vom König entehrt wurde, verflucht. Als Triboulets Tochter Blanche entführt und dem König zugeführt wird, schwört der Narr vergeblich Rache. Am Ende tötet er seine Tochter versehentlich mit der eigenen Hand. Hugos Stück wurde verboten, denn zu offensichtlich wurde die Macht des Adels und die Ohnmacht des erstarkenden Bürgertums thematisiert. Der Narr befindet sich zwischen diesen Polen, wie ein Gelenk, ohne Aussicht auf Anerkennung oder einen geordneten Rückzug in ein bürgerliches Leben. Triboulet resp. Rigoletto wird damit zur tragischen Figur, mit der wir mitleiden können, ohne uns aber persönlich betroffen zu fühlen.

Dr. Ralf Wegner, 25. Februar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dr. Ralf Wegner, Hamburg

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