Meine Lieblingsoper, Teil 5: "Don Carlos" von Giuseppe Verdi: Bei Dieser Oper ist man immer auf der sicheren Seite

Meine Lieblingsoper, Teil 5: „Don Carlos“ von Giuseppe Verdi,  klassik-begeistert.de

Birgit Nilsson, Mirella Freni, Edita Gruberova, Plácido Domingo, Luciano Pavarotti: Der Hamburger Mediziner Dr. Ralf Wegner hat die großen Weltstars der Opernwelt seit Ende der 1960er-Jahre alle live erleben dürfen: vor allem in der Staatsoper Hamburg, die in den 1970er-Jahren noch zu den weltbesten Opernhäusern zählte und sich heute um Anschluss an die europäische Spitze bemüht. Begeben Sie sich in ein wunderbares Stück Operngeschichte und reisen sie mit in eine Zeit, die scheinbar vergangen ist.

Foto: Staatsoper Hamburg © 2008 Brinkhoff/Mögenburg

von Dr. Ralf Wegner

Fast gleichrangig mit dem „Troubadour“ schätze ich Verdis Schillervertonung des „Don Carlos“. In dieser Oper gibt es nicht nur 4, sondern 6 Hauptpartien: König Philipp II (Bassbariton), der dem psychisch instabilen Sohn Don Carlos (Tenor) die versprochene Braut Elisabeth (Sopran) nimmt, Philipps Geliebte Eboli (Mezzosopran), dem heldenmütigen Carlos in Freundschaft verbundenen Posa (Bariton) und der mehr als Philipp die Macht des Staates durchdrückende Großinquisitor (Bass). Allen hat Verdi großartige Arien und Szenen komponiert, nur nicht für Carlos. Vielleicht liegt das an seinem Charakter, an seiner Beziehungsschwäche zum Freund, auch an seiner nicht ganz glaubhaften Liebe zu Elisabeth. Da hilft auch der vorgeschaltete Fontainebleauakt nicht. Der verlängert nur die Oper. Bei Konwitschny hat die Oper inklusive des Zwischenspiels mit der Ballettmusik fast Götterdämmerungsausmaße.

Ich bekenne mich damit zur vieraktigen Fassung und vor allem zur italienischen Version. Die in letzter Zeit häufiger zur Aufführung gelangende französische Erstfassung finde ich klangtechnisch befremdlich. Italienisch klingt wegen des Vokalreichtums einfach schöner als das zum Nasalen neigende Französisch.

Die musikalischen Höhepunkte im „Don Carlos“ sind: Das Freundschaftsduett Posa-Carlos „Dio, che n’ell alma infondere“, Ebolis Schleierlied „Nei giardin del bello“, Philipps berühmte Arie „Ella giammai m’amo“, das Duett Philipp-Großinquisitor „Il Grande Inquisitor“, ,Ebolis großartiges „O don fatale“, Posas Arie und Sterbeszene „Per me giunto“ , „O Carlo ascolta“ und schließlich Elisabeths große Arie „Tu che le vanita“. Zu erwähnen sind auch das Sextett der flandrischen Deputierten, die Stimme vom Himmel oder der Chor beim Autodafé.

Im Gegensatz zum „Troubadour“ enttäuschte „Don Carlos“ nie, auch nicht die zuletzt vor einem Jahr an der Hamburgischen Staatsoper gesehene Vorstellung mit Lianna Haroutounian als Elisabeth, Elena Zhidkova als Eboli oder Gabor Bretz als Philipp. Hans-Peter König war 2019 in Duisburg ein herausragender Großinquisitor, Danielle Halbwachs 2001 und 2004 eine gute Elisabeth und George Petean 2004 und 2008 ein passabler Posa. Die großen Gesangstars traten in der ausufernd langen Konwitschny-Inszenierung aber nicht mehr auf, die waren an der Hamburgischen Staatsoper eher während der 1970/80e- Jahre zu hören gewesen. Beginnend 1974 mit Gwyneth Jones (Elisabeth), Patricia Johnson (Eboli), Placido Domingo (Carlos), Tom Krause (Posa), Martti Talvela (Philipp) und Hans Sotin (Großinquisitor) oder 1977 mit Martina Arroyo, Fiorenza Cossotto, Carlo Bini, Norman Mittelmann, Nicolai Ghiaurov und Harald Stamm.

© Künstleragentur Seifert, Elena Zhidkova

Harald Stamm war immer eine Stütze des Hauses. 1975 hatte Domingo den Carlos schon im Vorfeld abgesagt, was beim Publikum nicht gut ankam. Als am Abend der Aufführung Ruggero Raimondi als Philipp ausfiel, kam Unmut im Publikum auf, was die Sänger, vor allem Katia Ricciarelli als Elisabeth, offensichtlich stresste. Meiner Erinnerung nach hatte man sich um Kurt Moll als Ersatz für  Raimondi bemüht, dieser wollte aber allenfalls den Großinquisitor übernehmen; deshalb wechselte Harald Stamm vom Großinquisitor zum Philipp und bestand mit Bravour; als Posa stand an dem Abend Sherill Milnes auf der Bühne, als Eboli Carol Wyatt.

Weitere bemerkenswerte Aufführungen gelangen 1978 unter Rafael Kubelik (Sylvia Sass, Grace Bumbry, Vasile Moldoveanu, Bernd Weikl, Simon Estes, Kurt Moll), 1981 (Mara Zampieri, Eva Randova, Luis Lima, Leo Nucci, Ruggero Raimondi, Harald Stamm) und 1985 (Julia Varady, Bruna Baglioni, Giorgio Lamberti, Mikael Melbye, Paul PlishkaKurt Moll). Hervorragende Leistungen boten auch Claire Watson (München 1968), Eva Marton und Margaret Price als Elisabeth; eine bewunderungswürdige Brigitte Fassbaender (München 1968 und 1979) und Jelena Obraszowa als Eboli; Giacomo Aragall als Carlos, Vladimir RuzdakPiero Cappuccilli sowie Wolfgang Brendel (München 1979) als Posa und Theo Adam (1965, meine erste Carlos-Aufführung in Hamburg), Franz Crass oder Samuel Ramey als Philipp.

© Roberto Ricci, Leo Nucci

Warum fällt nun der sängerische Vergleich der Aufführungen „Troubadour“ / „Don Carlos“ zugunsten letzterem aus? Vermutlich sind die Anforderungen im „Troubadour“ höher, erforderlich ist ein Tenor mit stabiler brustgestützter Höhe und großer Schallkraft, der auch noch lyrisch klingen soll, eine Sopranistin, die den Regenbogen leuchten lassen und ebenso Berggrate durchwandern kann, eine Mezzosopranistin oder Altistin, die ihr Fach mit Schönstimmigkeit und exzessiver Dramatik beherrscht und ein Bariton, der stimmlich Gewalt und Liebe vereinbaren muss.

Im „Don Carlos“ sind die Sängerinnen und Sänger offensichtlich weder gesanglich noch darstellerisch diesen Spannweiten ausgesetzt. Die musikalischen und auch emotionalen Anforderungen sind eindimensionaler als beim „Troubadour“. Die sängerische Spannweite macht den Reiz des letzteren aus, auch wenn die Hoffnung, einen wirklich großartigen Abend erleben zu dürfen, oft enttäuscht wird. Bei Verdis „Don Carlos“ ist man dagegen immer auf der sicheren Seite.

Dr. Ralf Wegner, 7. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

3 Gedanken zu „Meine Lieblingsoper, Teil 5: „Don Carlos“ von Giuseppe Verdi,
klassik-begeistert.de“

  1. Außer Sängern und Sängerinnen gibt es auch Dirigenten, Inszenierungen etc.
    Ich vermisse seit Folge 1 (Rosenkavalier, Carlos Kleiber wurde am Rande erwähnt) ein deutlicheres Eingehen auf das gesamte Werk.
    Folglich siehe Satz 1.

    ANSONSTEN WEITER SO MIT KLASSIK BEGEISTERT

    Heinz Stollenwerk

  2. Ich finde gerade die französische Erstfassung wunderschön!! Es ist sehr schade, dass diese extrem selten gespielt wird. Also ich bin für die Erstfassung, die absolut einmalig und einzigartig in Verdis Gesamtschaffen klingt.

  3. Danke für diesen erhellenden Beitrag, auf den ich leider sehr verspätet gestoßen bin.

    Für mich zählt der Don zu den ganz großen Opern: Persönlich führe ich ihn unter meinen 3 Lieblingsopern, neben dem Tristan und dem andern Don.

    Abgesehen von der im Vergleich zu bspw. Così oder Traviata hoch komplexen Handlung und dem Spiel zwischen den Charakteren schätze ich auch die musikalisch freiere Gestaltung sehr: Neben dem üblichen Wechsel zwischen Arie und Rezitativ spielen Chöre, Liedelemente und tanzähnliche Szenen eine Rolle. Ein ganzer „Ring“ im Kleinen, dafür ohne Längen und von Beginn bis Ende durchgehend fast stringent.

    Wunder nimmt mich allein, dass diese Oper in keiner Liste der Top 10-20 Opern erscheint. Nicht wichtig, aber für mich persönlich erstaunlich.

    Rodrigo

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