Mozartwoche Salzburg: Rolando Villazón vereint Bach, Monteverdi und Puppenmagie

Mozartwoche Salzburg  Haus für Mozart & Großer Saal, Mozarteum, 26. Januar 2025

Die Mozartwoche in Salzburg – ein Platz für Exzentriker. Intendant Rolando Villazón trällert aus allen Lautsprechern. „Viva Mozart“, morgens, um 11:00 Uhr, bereits im Mozarteum. Da ist sein Auftritt als „L’Orfeo“ noch Stunden entfernt. Kurz danach schlägt Fazıl Say ein neues Kapitel auf: Bachs Goldberg-Variationen einmal anders – manieristisch, aber sensationell!

Haus für Mozart & Großer Saal, Mozarteum, 26. Januar 2025

von Jürgen Pathy

„Der Gould hat auch einst in Salzburg gespielt.“ Nur dessen Goldberg-Variationen habe die Dame bislang gehört. Auf Tonband natürlich, 1982 ist er verstorben. Ähnlichkeiten legt Fazıl Say auch an den Tag. „Ach, der war’s, der ständig gemurmelt hat.“ Gespräche vorm Café Bazar, nachdem das Publikum im Mozarteum gejubelt hat.

Fazıl Say – große Klasse mit wenigen Abstrichen

Die Goldberg-Variationen kann man auf viele Weisen anlegen: konservativ, klassisch, nach dem Interpretationsstil der Ursprungszeit. 1741 hatte Bach diesen Höhepunkt der barocken Variationskunst geschrieben. Ohne Einsatz des Pedals, wie manch Puristen meinen. Oder man legt sie wie Fazıl Say aus. Eins vorweg: Es war sensationell. Über weite Passagen schmiegen sich seine Piani an einige Variationen wie Seide. Weich, kaum wahrnehmbar, mit einem Anschlag, der bisweilen gar an Horowitz erinnert.

An anderen Stellen donnert er durch die Partitur, als wäre es ein Chopin-Scherzo. Variation 15, Andante notiert. Mehr Angaben gibt Bach generell nicht vor. Keine Dynamiken, keine Fermaten, keine Tempi. Fazıl Say gestaltet dieses Highlight: laut, fast brachial. Das ist das Einzige, was man ihm ankreiden kann. Eine Kehrtwende, eigentlich in einer Atmosphäre, die an den „späten Beethoven“ erinnert. Jenseitig, nicht von dieser Welt. Bei Fazıl Say verlässt Bach das Diesseits hier etwas nüchtern, „mittlerer Beethoven“ vom Stil her.

Einen Höhepunkt setzt er bereits zuvor: Variation 12 als Einleitung, bei Variation 13 legt er seinen ganzen Ausdruck hinein. Transzendental, überirdisch, zum Hineinkriechen und Sterben legen. So schön klingt das. Die eröffnende Aria ebenso – zart im leisesten Pianissimo, wie der Teodor Currentzis des Klaviers. Den Abschluss, die Wiederholung der Aria, hingegen wieder eher ein Knall. Langer Tritt ins Pedal dazu. Um danach – ein Fauxpas – fast direkt noch drei Stücke anzuhängen. Nach Bachs Gebet muss eigentlich Ruhe herrschen.

Intendant, Clown und Sänger in einer Person

Szenenwechsel, 15:00 Uhr, Luftlinie 800 Meter weiter. Haus für Mozart. Eins bleibt gleich: Rolando Villazóns markanter Auftritt via Lautsprecher. „Viva Monteverdi – and Mozart too“, heißt es dieses Mal. Am Programm: Monteverdis „L’Orfeo“, die erste Oper, heißt es zumindest irrtümlich. Als Titelfigur: Intendant und Ausnahmeerscheinung Villazón höchstpersönlich. Die Stimme? Klar, die hält nicht mehr, was sie verspricht. Villazón hat viele Strapazen hinter sich. Die Darstellung: einzigartig. Orpheus hat es in die Unterwelt geschafft, um seine Eurydice zu befreien. Doch er versagt. Seine Geliebte ist nicht mehr zu retten.

Regisseur Nikolaus Habjan hat die mythische Geschichte mit seinen markanten Puppen inszeniert. Diese hätten einen Vorteil: „Puppen sterben besser“. Der Grund: Sie haben nie gelebt. Es bricht einem das Herz, wie Villazón um seine tote Gefährtin trauert. Weinen möchte man mit ihm. Einen Hauch von Hoffnung schenken.

Den Fährmann besticht Villazón auch noch stimmlich. Dargestellt wie in einem Herr der Ringe-Mystery-Streifen steht der überdimensional im Hintergrund. Als Puppe natürlich, Rauchschwaden strömen aus seinen hell leuchtenden Augen. Ein einprägsames Bild – für die Ewigkeit.

„L’Orfeo“ als mystischer Puppenzauber

In dieses Sujet – Mythos, Unterwelt, Götter – fügen sich Habjans Puppen ideal. „Auf der Opernbühne funktioniert alles – nur nicht Realität“, ist Habjan auch überzeugt. Ob andere Stoffe ebenso passen würden, stellt sich meine Frage. „Wenn es einen Sinn ergibt, klar“, erwidert Habjan, der in Graz geboren ist. Genauso wie Dirigentin Christina Pluhar, die mit dem Ensemble L’Arpeggiata viel Gewicht auf die barocken Federn legt. Für historische Instrumente fast ein wenig zu viel.

Für die Darsteller stellen die Puppen natürlich eine enorme Herausforderung dar. Überhaupt, weil Villazón und Tamara Ivaniš, seine Eurydice, selbst die Puppen führen. Gemeinsam mit zwei Puppenspielern, jeweils an der Seite beider Hauptdarsteller. Das reduziert natürlich die Beweglichkeit – Ivaniš löst das bemerkenswert solide. Das Ego muss man ebenso hinten anstellen, weil die Puppen in den Fokus rücken und die Sänger und Sängerinnen nicht die volle Aufmerksamkeit erhalten.

Die Sensation des Tages

Cyril Auvity aber schon. Der ist 48, Tenor – und führt eine Stimme wie der junge Villazón. Fast dasselbe Timbre und Charakter. Schließt man die Augen, schreckt man kurz auf. Nicht nur, weil er die Entdeckung dieser Vorstellung ist. Auch abseits der Bühne spielen sich Dramen ab.

„Pfuuu! – Mir ist ganz übel“, ist von hinten zu vernehmen. Keine zehn Sekunden später liegt die Dame am Boden. Kreislaufzusammenbruch, müsste man schätzen. „Den beiden geht es wieder gut“, beruhigt die Billeteurin zur Pause. Ein weiterer Gast war bereits zuvor zusammengebrochen. „Unser Ärzteteam kümmert sich um die Gäste.“ Ende gut, alles gut also: Fazıl Say beeindruckt, Villazón liegen sie zu Füßen. Trotz gewisser Verschleißerscheinungen stimmlicher Natur, als Person hat er an Charisma nichts eingebüßt.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 27. Januar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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