Probenphase mit Joana Mallwitz und Anna Vinnitskaya © Co Merz
…so schickt man jedes Fußballstation der Welt in die Kreisklasse!
Trotz parallel stattfindender Fußball-Europameisterschaft passte kaum noch ein Blatt Papier in die Isarphilharmonie, als Joana Mallwitz’ Begeisterung für alt- wie kaum bekannte Werke die Ränge des Münchner Konzertsaals eroberte. Auch die Pianistin Anna Vinnitskaya setzte sich mit einer überaus dominanten Aufführung des ersten Klavierkonzerts von Tschaikowski in der hart umkämpften Szene dieses Werks deutlich von der Konkurrenz ab.
Münchner Philharmoniker
Joana Mallwitz, Dirigentin
Anna Vinnitskaya, Klavier
Werke Béla Bartók, Pjotr Iljitsch Tschaikowski und Zoltán Kodály
Isarphilharmonie München, 15. Juni 2024
von Johannes Karl Fischer
Zu Beginn des Konzerts kam mal wieder jemand von der Intendanz auf die Bühne. Oha. Umbesetzung? Programmänderung? Nein, die Programmhefte waren verloren gegangen! Bartók und Tschaikowski laufen ohne Worte, in Zoltán Kodálys kaum bekannte „Háry János“-Suite würde die Dirigentin eine kurze Einführung geben.
Eine Einführung von der Dirigentin, diejenige, die sich zweifellos mit der Musik am besten auskennt… das könnte man doch gerne standardmäßig einführen! Denn aus Frau Mallwitz knapp erläuternden Worten entsprang eine grenzenlose Begeisterung für diese rar gespielte Suite, welche sich in der Musik nahtlos fortsetzte. Nach einem spaßigen musikalischen „Hatschi“ – ein Teil der Erzählung, so Frau Mallwitz – behielt das Orchester auf der Abenteuerreise stets eine zutiefst humorvolle Stimmung.
Die kecke, knappe, doch grandiose Musik war das perfekte Gegenspiel zu einer allmächtigen ersten Hälfte, Erinnerungen an Richard Strauss’ Till Eulenspiegels lustige Streiche wurden wach… jenes Werk, mit welchem Frau Mallwitz mich vor knapp zwei Jahren auf den allerersten Ton in ihr grenzenlos begeisterndes Dirigat hineinregissen hatte.
Heute war auch eine einzigartige Krone der Klavierliteratur zu hören: Bei wohl kaum einem Werk stapeln sich legendäre Einspielungen und Aufführungen so hoch wie bei Tschaikowskis erstem Klavierkonzert. Mit majestätischer Stahlkraft platzierte die Pianistin Anna Vinnitskaya die berühmten Eröffnungsakkorde in den Saal, das war eine mächtig kraftvolle Ansage an die pianistische Tschaikowski-Weltspitze! Ihr Klavierspiel sprengte nahezu alle musikalischen Dimensionen, ganz wie die türmende Riesengröße dieser Musik brachte sie die endlosen Weiten dieser klanglichen Landschaft in den Saal.
Auch die lyrischen Passagen schien sie sanft an die Hand zu nehmen und stets zum freudigen Tanz mit spritzigen Oktavläufen in die Arme zu umschlingen, als wäre sie in dieses Konzert unsterblich verliebt! Bis zum Ende baute sie einen immer heftiger wirkenderen Strudel auf, ehe sie in den feurigen Schlusspassagen alle Energie der Musik explodieren ließ. Stehende Ovationen waren die verdiente Folge!
Unweit von mir bemerkte eine Besucherin: „Das Klavier war mir ein bisschen zu hart, ein bisschen zu laut.“ Natürlich spürte man die Macht dieses Instruments im ganzen Körper, ein bisschen als stünde man inmitten eines eleganten Elefanten-Balletts. Und ja, dabei ist man halt von tonnenschweren, tanzenden Tieren umgeben. Irgendwie finde ich, das gehört dazu! Diese Musik klingt einfach eine Klasse größer, mächtiger als alles andere.
Vor diesem monumentalen Mammutwerk hatte das Orchester mit Béla Bartóks Suite aus „Der wunderbare Mandarin“ in den Abend eingestimmt. Rein ästhetisch schrammen die Klänge der Handlung entsprechend doch deutlich näher an der Grenze einer dunklen Brutalität als es der Titel vermuten lassen würde. Ganz wunderbar war dafür die musikalische Leistung der Münchner Philharmoniker unter Frau Mallwitz. Mit packenden Emotionen rissen sie das Publikum in den wahnsinnigen Strudel dieser Musik und steigerten die Begeisterung ins scheinbar unermessliche!
Zwei Künstlerinnen der absoluten Extraklasse versetzen die Isarphilharmonie in grenzenlose Begeisterung. Es ist mir ein bleibendes Rätsel, warum die Bahn für ein bisschen Rasenballgekicke mit viel Fernsehwerbung hunderte Extrazüge fahren lässt und an einem gewöhnlichen Abend viele BesucherInnen eines solch fulminanten Konzerts am Bahnsteig stehen lassen würde. Liebe Leute, hier spielt die Musik, nicht im Sportfernsehen und erst recht nicht im Stadion!
Johannes Karl Fischer, 16. Juni 2024 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at