Mahler-Doppel: Die Münchner Philharmoniker meistern einen Kraftakt

Münchner Philharmoniker, Valery Gergiev, Gustav Mahler,  Philharmonie im Gasteig, München

Foto: Kai Bienert (c)
Münchner Philharmoniker
Valery Gergiev, 
Musikalische Leitung
Großer Konzertsaal der Philharmonie im Gasteig, München
3. Abonnementkonzert am 14. Dezember 2018

Anna Lucia Richter,Sopran
Tanja Ariane Baumgartner,Mezzosopran
Andreas Schager,Tenor

Gustav Mahler, Symphonie Nr. 4 G-Dur
Gustav Mahler, Das Lied von der Erde

Von Phillip Schober

Die Sinfonien Gustav Mahlers sind komplex und anspruchsvoll. Sie stehen normalerweise einzeln auf dem Spielplan eines Sinfoniekonzerts oder werden in Verbindung mit einem kurzen Werk eines anderen Komponisten aufgeführt. Welche Überraschung präsentieren jedoch die Münchner Philharmoniker zur Adventszeit! Dieses Orchester kombiniert kurzerhand zwei umfangreiche Hauptwerke Mahlers miteinander an einem Abend: seine vierte Sinfonie und das Lied von der Erde.

Hier zeigt sich die Qualität eines Spitzenorchesters wie den Münchner Philharmonikern. Denn nur solchen ist es vergönnt, solch ein Abonnementkonzert mit komplexer Musik zu einem orchestralen Ereignis der Extraklasse werden zu lassen. Mahler selbst dirigierte 1901 die Uraufführung seiner vierten Sinfonie mit eben jenen Münchner Philharmonikern, damals noch unter dem Namen „Kaim-Orchester“.

Beide Werke Mahlers könnten unterschiedlicher nicht sein. Seine vierte Sinfonie ist in ihrer Form ganz an die vergangene Epoche der Wiener Klassik angelehnt: Die Aufführungsdauer nur etwa eine Stunde, vier Sätze mit verhältnismäßig kleinem Orchester, ein Werk mit einfachen, gängigen Harmonien. Diese Sinfonie verzaubert auch Nicht-Kenner der Mahlerliteratur und hebt sich ab von der Emphase der beiden früheren Wunderhorn-Sinfonien.

Es ist immer wieder faszinierend, wie der Dirigent in seiner leichten, gänzlich auf Pathos verzichtenden Spielweise mit seinem anvertrauten Orchester musiziert: Valery Gergiev entlockt den Münchner Philharmonikern Klänge, die an einen späten Mozart oder Beethoven erinnern. Er dirigiert schnell und transparent und verzichtet dabei auf einen großen Klangrausch. Gergiev demonstriert seinem Publikum, dass die vierte Sinfonie von einem anderen, einem früheren Mahler komponiert wurde als jenes für den Zuhörer anspruchsvollere und auf den ersten Blick verwirrende Lied von der Erde.

Im letzten Satz betritt die junge Sopranistin Anna Lucia Richter für „Der Himmel hängt voll Geigen“ die Bühne. In seiner Partitur fordert Mahler für diesen Satz eine „äußerst diskrete Begleitung der Sängerin“ durch das Orchester. Gergiev setzt diese Anweisung behutsam um und nimmt den Orchesterapparat seiner Philharmoniker zurück. Der Dirigent gibt dieser wundervollen Sopranstimme jeden Raum zur Entfaltung.

Anna Lucia Richter singt in leichter, heller und klarer Stimme jene Worte aus Des Knaben Wunderhorn,mit denen Gustav Mahler in einfühlsamer Leichtigkeit die menschliche Seele seines Publikums berührt: „Wir führen ein englisches Leben, sind dennoch ganz lustig daneben, wir tanzen und springen, wir hüpfen und singen, Sanct Peter im Himmel sieht zu“.

Ist dies der spätromantische Mahler, vor welchem so mancher Konzertgänger in Ehrfurcht erstarrt? Anna Lucia Richter verwandelt das Finale dieser vierten Sinfonie gar zu einer verschollenen Blondchen-Arie aus Mozarts Entführung aus dem Serail. Mahler klingt hier untypisch einfach und in Verbindung mit dieser lyrischen Stimme außergewöhnlich anrührend.

Das Lied von der Erde steht hierzu im krassen Gegensatz. Nur eine kurze Pause trennen beide Werke an diesem Abend voneinander. Diese erst kurz nach dem Tode Mahlers uraufgeführte Komposition ist eine der bedeutendsten und komplexesten Werke der Musikliteratur des 20. Jahrhunderts. Andreas Schager und Tanja Ariane Baumgartner gestalten gemeinsam die sechs Orchesterlieder, abwechselnd für Tenor- und Alt-Solo.

Die Münchner Philharmoniker musizieren weiterhin technisch einwandfrei, ein herrlich routiniertes Zusammenspiel auf höchstem musikalischen Niveau. Insbesondere in den zahlreichen Soli dieser Orchesterpartitur wird deutlich, welch hervorragende Musiker an diesem dritten Adventswochenende zusammenkommen. Die Mahlersinfonien sind den Münchner Philharmonikern geradezu auf den Leib geschrieben.

Die Tücken im Lied von der Erde liegen eindeutig in der Komposition der Gesangsstimme. Mahler zeigt hier ganz im Gegensatz zu seiner früheren Vierten kein Erbarmen mit seinen beiden Sängern. Gergiev hat gerade in diesem zweiten Teil des Abonnementkonzerts einige Schwierigkeiten, die Balance zu finden. Der Dirigent kann die Stimmen nicht über das große Orchester hinwegführen, sie sind verdeckt im starken Klang des Orchesters. Weder in den drei Tenor- noch in den drei Alt-Lieder vermag Valery Gergiev eine klangliche Ausgewogenheit zwischen den Sängern und dem Orchester herzustellen.

Andreas Schager ist auf der Bühne des Gasteigs seitlich hinter den Hörnern platziert, während Tanja Ariane Baumgartner nur wenige Schritte von Gergiev entfernt mittig aus dem Orchester singt. Beide Plätze erscheinen ungünstig, die Stimmen verschwimmen und gehen im großen Orchester vollkommen unter. Selbst in den vorderen Reihen sind lediglich einzelne Wörter der Sänger zu verstehen. Vielleicht hätte ein häufigeres Mezzoforte im Orchester schon geholfen, die Gesangsphrasen deutlicher erklingen zu lassen.

Ist die Philharmonie im Gasteig für Stimmen denkbar ungeeignet, oder hätte eine andere Positionierung der Sänger auf der Bühne den Klang besser getragen? Valery Gergiev ist mit seinem Orchester der Hausherr des Saales, er könnte es am besten wissen.

Baumgartner und Schager beweisen beide regelmäßig in den Opernhäusern dieser Welt, dass sich ihre Gesangstechnik durch eine hohe Durchschlagskraft bei deutlicher Textverständlichkeit auszeichnet. Beide vollbringen mit den Mahler-Liedern eine Spitzenleistung, die nur in Ansätzen hörbar wird. Nach dem Konzert wird im Foyer und an der Garderobe heftig diskutiert, auf den hinteren Plätzen sind die Sänger offenbar überhaupt nicht zu hören gewesen.

Es ist frustrierend, dass Valery Gergiev diesen wunderbaren Mischklang der vierten Sinfonie zwischen Stimme und Orchester nicht auf das Lied von der Erde übertragen kann. Herr Schager als auch Frau Baumgartner bieten das Potential für einen großartigen Vortrag dieser Nicht-Sinfonie. An diesem Abend kann das „Lied vom Kummer“ eben nicht „auflachend in der Seele erklingen“.

Ein Trost bleibt: Das Publikum wird Zeuge von vorbildlichem Musizieren seiner Münchner Philharmoniker. Vielleicht hätten sie sich doch lieber auf nur das eine Hauptwerk Gustav Mahlers fokussieren sollen?

Phillip Schober, 16. Dezember 2018, für
klassik-begeistert.de

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